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Ganz in Weiß

Darf Architektur altern? Natürlich, das hält sie aus. Unser pedantischer Autor will es aber nicht akzeptieren und greift korrigierend ein.

21.12.20162 Min. Kommentar schreiben
Wolfgang Bachmann. (Foto: Myrzik Jarisch)

Text: Wolfgang Bachmann

Es gehört zu den Marotten älterer Leute, von früher zu berichten. Was es damals gegeben hat, was nicht und was man sich noch gar nicht vorstellen konnte. Unsere jungen Kollegen haben es beispielsweise nicht mehr erlebt, dass man seine Mitteilungen im Moment des Verfassens auf Papier fixieren musste. Schreibmaschinen hießen diese Geräte, und sie hörten auf so wunderbare Namen wie Erika, Gabriele oder Contessa. Da gab es kein unentschlossenes Fabulieren, irgendwas Hinschreiben, ich-kann-es-ja-nachher-löschen. Es sah peinlich aus, wenn man radiert oder falsche Buchstaben martialisch mit einem x vernichtet hatte.

Bis dann das Tipp-Ex erfunden wurde. Das Korrektur-Utensil kam zuerst als weiß beschichtetes Folienblättchen, dann als Flüssigkeit, zuletzt als Korrekturband in die Schreibstuben. Wir haben uns besonders mit den kleinen Fläschchen angefreundet. Zunächst enthielten sie noch giftige Substanzen, später waren sie auf Wasserbasis hergestellt. Eingetrocknet sind beide, gab es keinen griffbereiten Verdünner.

Was hat das mit Architektur zu schaffen? Ganz einfach: Tipp-Ex flüssig ist die Instandhaltungs- und Korrekturtinktur der Moderne. Scharfkantige, weiße Architektur ist nur akzeptabel, wenn sie scharfkantig und weiß bleibt. Sie nimmt keine Patina an wie ein alter Dielenboden, sie existiert nur mit dem Reinheitsgebot, makellos, fleckenlos. Was für ein Unglück, wenn man mit den Ölfingern vom Autobasteln neben den Lichtschalter tippt, die Kinder sich beim Türöffnen an der Wand abstützen und das Staubsaugerkabel an der Kante des Kamins scheuert. Die Verletzungsmöglichkeiten für die weiße Architektur sind endlos. Ein Bild umgehängt, eine Mücke erschlagen, einen Koffer durchs schmale Treppenhaus getragen – und wir brauchen Tipp-Ex. Mit dem zierlichen Pinselschwämmchen lassen sich im Nu alle unachtsamen Lebenszeichen entfernen. Mit der Zeit muss man allerdings das blendende Weiß etwas abtönen, am besten geht es mit Hausstaub oder Zigarettenasche. Ich habe inzwischen eine ganze Batterie unterschiedlicher Korrekturflakons, für jedes Zimmer die passende Farbe. Mein Vorschlag wäre, eine Art Patronengurt anzubieten, damit wir Architekturenthusiasten alle nötigen Nuancen immer mit uns führen können. Das sollte uns die weiße Architektur wert sein!

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