Wer hätte es von Rheinland-Pfalz anders erwartet? Reben und Rüben, die Landeswerbung spricht vom „Weinland Rheinland-Pfalz“, da muss wohl auch die Architektur weinselig sein, gerne mit passender Königin dekoriert. Scheinbar ein liebenswertes Randthema, doch halt – internationale Bezüge drängen sich auf: Herzog & de Meuron im Napa Valley, Santiago Calatrava in der Riojaregion und natürlich die vielen österreichischen Beispiele.
Was hat das alles mit erfolgreicher Kammerarbeit zu tun? 1990 oder 2000, die Österreicher haben zwar damals schon gebaut, aber noch nicht so eifrig publiziert, das Thema – vermutlich nicht gerade beim Kaffeetrinken – für das Bundesland entdeckt. Zunächst skeptisch aus der Distanz betrachtet, von einigen belächelt, hat es sich inzwischen zum ersten Gewächs in Sachen Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit der Architektenkammer Rheinland-Pfalz entwickelt. Denn was so liebenswert landestypisch klingt, hat vielfältige und sehr erdverbunden-ökonomische Implikationen: Bei den Winzern gab es einen Generationenwechsel. Diejenigen, die die Betriebe jetzt übernehmen, sind an den Fachhochschulen gut ausgebildet und in aller Welt herumgekommen. Sie kennen die neuesten Forschungsergebnisse und Vinifikationsmethoden, setzen in der Mehrheit konsequent auf Qualität und möchten entsprechende Preise in der Vermarktung erzielen.
Ein Kundenpotenzial, das bereit ist, sich zum Genuss verführen zu lassen, das auf seinen Weinverstand und die Kennerschaft stolz ist, findet in mit Fassdauben und Weinlaub ausstaffierten Räumen aber keine Heimat. Die Qualität des Weines muss sich diesem anspruchsvollen Publikum auf den ersten Blick vermitteln. Die Haltung des Kellermeisters, seine kompromisslose Professionalität, soll sich im Erscheinungsbild des Weingutes vom Flaschenetikett über die Architektur bis zur Freiraumgestaltung manifestieren. So ist man bereit und in der Lage, zu investieren.
Seit 2005 haben inzwischen vier Symposien „Wein + Architektur“ den Informationsbedarf der Winzer aufgefangen. Zuletzt stand am 6. November 2008 in Trier die Verbindung von Architektur und Landschaftsarchitektur als Erfolgsfaktor für Weinvermarktung und Tourismus auf der Tagesordnung. Auch diese Veranstaltung war hervorragend besucht – wie schon drei vorangegangene und eine Veranstaltung, die im Paket mit der Teilnahme an der Stuttgarter Intervitis-Messe 2007 gemeinsam mit den baden-württembergischen Kollegen organisiert wurde. Die Symposien und der erste Architekturpreis Wein haben inzwischen Hunderte von Winzern und Architekten zusammengebracht. Es wird gebaut. Teilweise sind es kleine Maßnahmen, die entstehen, vom Anspruch her aber Leuchttürme, die erkennen lassen, dass gutes Bauen ein wirtschaftlicher Erfolgsfaktor sein kann.
Mainz wurde vor wenigen Monaten zur „Great Wine Capital“ erkoren, es gehört nun einem exklusiven Klub von nationalen oder regionalen Hauptstädten in weltweit bedeutenden Weinbauregionen an. San Francisco, Porto und Bordeaux, Florenz, Mendoza und Bilbao gehören auch dazu. Einmal im Klub angekommen, geht es auch hier um Baukultur. Die großen Weinhauptstädte sind ihrem Selbstverständnis gemäß ein weltweit agierender Marketingklub. Der Wein steht im Zentrum. Ihn bekannt zu machen, emotional aufzuladen, ihn mit Ideen und Träumen von herrlichen Landschaften, Lebensgenuss und Qualität zu verbinden, darum geht es. Also am Ende um die Frage, wie viele Menschen weltweit bereit sind, einen guten Preis für die Teilhabe am Savoir- vivre zu zahlen.
Wozu auch gutes Bauen gehört. Ende Oktober wurde in diesem Zusammenhang in Mainz der erste Architektenwettbewerb entschieden. Im alten Weinlagergebäude am Zoll- und Binnenhafen, einem städtebaulichen Entwicklungsgebiet, sollen im „Zentrum des Weins“ Weinverkauf und -erlebnis gebündelt werden. Das junge Mainzer Büro kercher + schnura hat den Einladungswettbewerb gewonnen, dicht gefolgt von gehbauer helten architekten aus Oppenheim.
„Wein + Architektur“ ist, auf professionellem Networking basierend, zu einem kommunikativen Glücksfall geworden: Das Thema weckt Neugierde, verlockt zur Beschäftigung mit mehr Baukultur und es führt Menschen, die bauen möchten, mit Architekten zusammen. Fast nichts kann deshalb die Euphorie trüben. Einzig die Notwendigkeit, ein Nachfolgethema mit ähnlicher Strahlkraft zu finden, droht uns Wasser in den Wein zu gießen.
Annette Müller ist Geschäftsführerin für Öffentlichkeitsarbeit der Architektenkammer Rheinland-Pfalz.