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„Invasion des Grüns“

Friedrich von Borries hat für Frankfurt einen Strahlen- und Speichenplan entworfen, der Umbrüche in weiten Teilen der Stadt vorsieht. Für ihn ist Grünplanung nicht nur eine räumliche und ökologische, sondern vor allem eine soziale Veranstaltung. Das Interview führt

27.04.201211 Min. Kommentar schreiben

Roland Stimpel

www.friedrichvonborries.de
Immer rein: Frischluft weht nach drinnen, Verkehrswege werden zu Grünschneisen. Der rechte Plan zeigt die Ambitionen: Grün ist der heutige Landschaftsgürtel, weiß die Frankfurter Siedlungsfläche – und darauf in Grau das Plangebiet für mehr Grün.

Ihr neuer Strahlen- und Speichenplan im Auftrag der Stadt Frankfurt sichert nicht defensiv bestehendes Grün, sondern sieht offensiv mehr Grün- und Freiräume in bebautem Gebiet vor.

Ja, es ist sozusagen eine Invasion des Grünraums in den Stadtraum. Das Neue daran ist, dass Stadtplanung vom Grün her aktiv betrieben wird. Es bleibt natürlich eine ehrenwerte Aufgabe, vorhandenen Grünraum zu sichern. Aber wir brauchen auch Konzepte, wie künftig neue urbane Grün- und Freiräume aussehen könnten. Und dafür braucht es einen Plan, wo solche Räume vorrangig realisiert werden sollen.

Ihr Plan wirkt auf den ersten Blick, als wollten Sie Teile der Stadt abreißen.

Nein, wir wollen nicht Methoden der klassischen wachstumsorientierten Planung jetzt auf eine Art grünen Bebauungs- oder Flächennutzungsplan übertragen und sagen: Hier kommt das Grün hin, also muss die Stadt da irgendwann weg. Sondern es geht nunmehr darum, die Stadt grün zu interpretieren, in ihr Freiräume zuzulassen, mit Lücken oder Brachen zu leben, vielleicht auch mal in Einzelfällen etwas abzureißen. Und nicht zuletzt geht es darum, Straßen anders zu denken und zu gestalten.

Die Stadt vom Grün her denken – ist das nicht ein Widerspruch in sich? Stadt fängt doch gerade da an, wo das große zusammenhängende Grün aufhört.

Das halte ich für eine verkürzte Auffassung von Stadt. Zu ihr hat immer auch das Umland gehört, und auch die klassische europäische Stadt hatte Landwirtschaft, Tierhaltung und Kleinstanbau. Der letzte Milchbauer mit 18 Kühen mitten in Berlin-Schöneberg ist erst 1978 wegsaniert worden.

Das ist historisch.

Aber heute ist die Natur erst recht kein Feind der Stadt. Im Gegenteil: Die Verfügbarkeit von Grün- und Freiräumen ist ein wichtiger Teil der Lebensqualität in Städten. Das wird teilweise romantisch überhöht, teils hat es aber auch sozialpolitische Gründe. Es wird für immer mehr Menschen eine pure Notwendigkeit, Nahrungsmittel wieder selbst anzubauen. Und nicht zuletzt kann ein Freiraum gerade für sonst Benachteiligte freien Raum für die Lebensführung bieten. Man sehe sich den heutigen Grüngürtel rund um Frankfurt an, den die Stadt vor 20 Jahren definiert hat. Der ist sogar Wohngebiet; da leben Saison- und Wanderarbeiter in illegalen Siedlungen, kleinen Zeltlagern und temporären Behausungen. Das sind Leute, die sich schlicht und einfach das Wohnen in Frankfurt nicht leisten können. Der Grünraum ist auch ein sozialer Pufferraum. Das ist eine Realität, die wir gern ein bisschen wegdrängen, wenn wir Grünraum nur als idyllisch angelegten Park sehen.

Ihr Grünplan ist für arme Minderheiten?

Nein, er ist für alle. Darin kann ein Waldkindergarten sein, ein Natur-Erfahrungsraum für Erwachsene oder eine Fläche zum Experimentieren für Jugendliche. Das sind Freiräume, die gar nicht im klassischen Sinn bepflanzt und gepflegt werden müssen. Es geht um Handlungsräume, die auch mal in ihrer Programmierung unterbestimmt sind, in denen man sich erproben und entfalten kann. Es geht nicht um Grünflächen als Container für Pflanzen.

Stadträume, die heute einander stark ähneln, sind mal von Ihrem Plan erfasst und mal nicht. Das wirkt willkürlich.

Das ist es nicht. Wir haben Räume ausgewählt, die sich besonders anbieten, um die dichte Frankfurter Innenstadt mit dem Freiraum draußen vor der Stadt zu vernetzen. Entweder weil es Klimaschneisen sind, durch die frische, kühle Luft vom Taunus durch die Stadt weht. Oder weil es Mobilitätsräume sind, die besonders gute Ansätze für den Straßenumbau bieten. Am liebsten hätten wir natürlich ganz Frankfurt überplant, aber es muss Prioritätsräume geben. Alle Speichen, die wir angelegt haben, entspringen einer Mischung aus Notwendigkeit, Sinnhaftigkeit und Pragmatismus. Man fängt dort an, wo schon bestimmte Potenziale bestehen.

Der Plan betrifft etwa die Hälfte der dicht bebauten Stadt. Ist das nicht zu viel, um Prioritäten zu setzen?

Es ist kein flächen- oder gar parzellenscharfer Plan, sondern eine Markierung besonders wichtiger Räume. Auch dort ist Neubau nicht verboten. Aber bei ihm soll man in diesen Räumen verstärkt darauf achten, dass die Kaltluft auch hinterher noch gut durchkommt. Und wo sie das nicht tut, kann man sogar erwägen, auch mal etwas abzureißen. Bei einem Thema für so weite Räume kann auch das Gebiet ein bisschen breiter sein, in dem das Stadtklima Vorrang hat.

Geht es rein ums Klima und ums Soziale?

Das geht Hand in Hand mit Mobilitätsfragen. Wir wollen grüne Straßen, breite Trassen für schnellen und gemächlichen Radverkehr und mit Freiräumen für die Anwohner. Unterm Asphalt liegt der Strand.

Darauf wartet die Autofahrer-Lobby.

Da grinse ich immer und sage: Die Leute mit dem Auto wählen in Bad Vilbel. Frankfurt ist zwar eine der autodichtesten Städte Deutschlands, aber ein Großteil des Verkehrs kommt aus dem Umland. Anwohner und Nachbarn würden sich dagegen eher freuen. Man hat es ja noch nicht probiert und weiß nicht, wie weit man Straßenrückbau denken und machen kann, wie weit Frankfurt hier mental ist. Warum soll man nicht einmal nachdenken und ausprobieren, wie ein Stück Innenstadt mit weniger Autos aussieht? Man muss ja nicht gleich mit einem riesigen Bauprojekt anfangen, sondern es kann mal die eine oder andere Straße ein Wochenende lang ohne Autoverkehr sein und wird anders programmiert. Auf unserem Plan sind die Straßen die grünen Speichen. Wir haben da die Begriffe Einsteigerspeiche, Klassikspeiche und Premiumspeiche gewählt. Die letzte ist dann richtig schön zurückgebaut, hat nur noch eine Spur für Autos statt vier zum Fahren und Parken. Aber bei so einem Alles-oder-nichts-Projekt ist die Gefahr des Scheiterns viel größer. Bei einer Einsteigerspeiche mit temporär anderer Nutzung schlägt zwar das Entwerferherz nicht so hoch, aber man kann die Leute besser mitnehmen. So etwas ziehe ich vor, auch wenn mir Bekannte sagen, damit sei ich eigentlich gar kein Architekt mehr.

Sind Banker bereit, aufs Rad umzusteigen?

Das kann man ja kultivieren. Frankfurt hat zum Beispiel einen der wenigen Weltflughäfen, den man von der City aus per Rad erreichen kann. Die Verbindung von Flugzeug und Fahrrad klingt zwar absurd. Aber Rein- und Rausfliegen gehört zu Frankfurts ökonomischen Grundlagen. Und wenn man sich lokal anders bewegen und etwas für seine Fitness tun kann, warum nicht? Das ist doch viel cooler als Taxi oder eine Stunde in der Londoner U-Bahn. Dies ist übrigens der Ansatz, aus dem heraus gerade Frankfurt den Mut zu seinem solchen Plan gewonnen hat: Es kann sich als kleine, aber besonders grüne und zukunftsfähige Global City profilieren.

Wer sein Grundstück auf einer Planungskarte wiederfindet, sagt in der Regel: Da möchte ich raus. Hier kann ich mir vorstellen, dass alle hineinwollen – aber die Lasten aufs Nachbargebiet abwälzen.

Zum Glück bin ich nicht Politiker und muss mir deshalb darum keinen Kopf machen. Spaß beiseite: Ich glaube, dass dieser Plan generell auf Zustimmung in Politik und Bevölkerung trifft, auch bei Konservativen. Eher sehe ich ein Problem in der Aufwertung der Quartiere und den damit steigenden Preisen und Mieten. Aber das ist ein klassisches Dilemma der Stadtentwicklung.

www.friedrichvonborries.de
Friedrich von Borries hat für Frankfurt einen Strahlen- und Speichenplan entworfen, der Umbrüche in weiten Teilen der Stadt vorsieht. Für ihn ist Grünplanung nicht nur eine räumliche und ökologische, sondern vor allem eine soziale Veranstaltung .

Es gab schon mal einen Großversuch mit Grün in der Stadt. Aber die aufgelockerte Stadtlandschaft der Nachkriegszeit hat uns einen Großteil der ökologischen Probleme beschert, die wir heute haben.

Wir wollen keine starre Funktionszuschreibung für den Freiraum, zum Beispiel zu Abstandsgrün, Parkplatz oder Spielplatz. Er heißt doch gerade deshalb Freiraum, weil er nicht durchprogrammiert ist und weil die Nutzungen nicht total festgelegt sind. Auch auf der gröberen Ebene wollen wir keine Funktionstrennung, sondern die Durchdringung von Funktionen als wesentliches Merkmal der Lebendigkeit von Stadt. Und wir wollen keine einheitliche mittlere Dichte, sondern Dichtekontraste. Davon lebt die Stadt.

Kann es auch in Ihrer grünen Stadt hier und da zehn straff bebaute Blöcke geben?

Natürlich, und auch Hinterhofgrün ist Teil der Stadtlandschaft. Aber die Stadt soll nicht durchgängig so dicht bebaut sein. Ein paar Blöcke müssen frei bleiben, oder man sprengt sie irgendwann weg. Blöcke mit ihren Kanten sind übrigens ein städtebauliches Element, das wir jetzt von der Grünraumplanung her denken. Bisher argumentieren Architekten: Wir müssen hier bauen, damit die Stadt schöner wird. Wir sagen: Wir müssen hier bauen, damit der Grünraum schöner wird. Man kann den Städtebau vom Grün her betreiben, so wie New York eine ordentliche Kante am Central Park bekommen hat.

 

Verbindlich ist der Plan nicht – nicht einmal für die Verwaltung selbst. Wie setzt man so etwas durch?

Das Umweltdezernat der Stadt Frankfurt, unser Auftraggeber, hat vor, diese Planungen im Magistrat der Stadt zu verabschieden – und das möglichst von allen drei großen Parteien, die ja schon gemeinsam vor 20 Jahren die Grüngürtel-Verfassung beschlossen haben. Dadurch bekommt das Ganze eine gewisse Verbindlichkeit. Es kann natürlich mit dem Plan kein Bürger vor Gericht ziehen, um ein Bauprojekt zu verhindern. Aber politisch hochhalten kann er ihn schon.

Es gibt Grundkonflikte zwischen grünen Zielen: hohe Dichte, wenig Landverbrauch und kurze Wege hier, ein möglichst weites, grünes Wohnumfeld dort. Wie geht der Plan damit um?

Ich lebe in Berlin. Gemessen daran sind in Frankfurt alle Wege kurz, und die Dichte ist überwiegend hoch. Im Rhein-Main-Gebiet drumherum mit seinen zwei Millionen Einwohnern kann man sich natürlich noch viel Verdichtung vorstellen – und das in einem Raum, der mit dem Fahrrad noch gut von der Frankfurter City aus erreichbar ist. Unser Bild ist, dass der 1991 fixierte Grüngürtel um die Stadt Frankfurt irgendwann ein innerstädtischer Gürtel ist.

Auch in den markierten Grünräumen Ihres Plans wird massiv verdichtet – man nehme nur das Europaviertel, den West- und den Osthafen.

An den Häfen gibt es zur Durchlüftung den Main. Dem Plan geht es hier vor allem um Mobilitätsfragen, also den Rückbau von Straßen und die Anlage von Fahrradtrassen. Daneben geht es um soziale Fragen, die mit Verdichtung und wirtschaftlicher Aufwertung zusammenhängen. Hier wird in mehrfacher Hinsicht Freiraum für Bewohner gebraucht.

Was halten Sie vom herkömmlichen Prinzip: Wer verdichtet und versiegelt, muss anderswo Ausgleich schaffen?

Das finde ich langweilig und fruchtlos. Viel wichtiger als eine nach Quadratmetern stimmige Ausgleichsfläche irgendwo außerhalb der Stadt kann doch zum Beispiel ein kleiner Naturraum für Kinder irgendwo in Frankfurt sein. So etwas kommt in der klassischen Öko-Diskussion immer wieder zu kurz. Sie betreibt, polemisch gesagt, einen technokratischen Biotopschutz. Das Soziale geht dabei unter. In Frankfurt hat unser Projekt deshalb eine städtische neue Arbeitsgruppe, in der Leute vom Sozialamt, Umweltamt und Planungsamt zusammentreffen. Dabei gibt es in Frankfurt eine lange Tradition, schließlich macht das Sozialamt viele Grün- und Freiraumprojekte – Nachbarschaftsgärten, lokale Begrünungen, die Unterstützung von Akteuren und so weiter. Und die Grün- und Stadtplaner denken ja auch sozialpolitisch. Aber oft läuft so etwas komplett nebeneinander her. Frankfurt geht da einen spannenden und sehr offenen Weg, aber viele andere Städte müssen hier noch total umdenken.

Und die Landschaftsplaner auch?

Ich bin keiner und will mir da nichts anmaßen. Aber ich sehe die Chance, dass sich mehr Landschaftsplaner Potenziale erschließen, wo bisher für sie keine Aktionsräume waren. Zu oft verstehen sich manche Landschaftsarchitekten bloß als Verschönerer des einen oder anderen Platzes. Ich wünsche mir generell, dass Landschaftsplanung viel weniger von Oberflächen oder Raumkonfigurationen her gedacht wird, sondern viel mehr von den Handlungen aus, die dort stattfinden – oder stattfinden könnten. Den sozialen Aspekt finde ich viel spannender als den rein gestalterischen.

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