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Käselaib und Kornkreis

Nicht jede Kunst gefällt jedem. Ist sie goldgelb und kreisrund, scheint der Konflikt vorprogrammiert.

01.08.20172 Min. Kommentar schreiben

Kunstkritik-Kritik: Heiko Haberle

Eine Käsekrise erschütterte Münster in diesem Frühsommer. Sie entzündete sich nicht an einem Münsterkäse, sondern an baulichen Geschmacksfragen: Auf die Außenwand eines neuen Geschäftshauses am Stadthafen, das die Westfalenpost ignorant einen „grauen Zweckbau aus monotonem Sichtbeton“ nennt, hatte eine jung-dynamische Käserei ein großes Wandbild malen lassen. Es zeigte in hipsterhaftem Comic- Stil Tiere bei der Käseproduktion sowie einen Käse-Menschen beim Angeln von Käse-Fischen aus einem Käse-Meer. Aufmerksamkeit folgte prompt, wenn auch anders als gedacht. Der Architekt sah sein Urheberrecht Käselaib und Kornkreis Nicht jede Kunst gefällt jedem. Ist sie goldgelb und kreisrund, scheint der Konflikt vorprogrammiert verletzt und auch stilistisch missfiel das Werk: für die Hochkultur zu figürlich, für Street-Art zu kitschig. Der Slogan an der Wand „make cheese not war“ war schnell vergessen. Die örtliche BDA-Gruppe roch einen „vollkommenen Käse“ und die „Verhunzung einer ambitionierten Architektur“. Ausgerechnet im Jahr der Skulptur- Projekte sah man Münster „vor der internationalen Kunstwelt blamiert“. Aus der Käse liebenden Bürgerschaft schallte es via Westfalenpost zurück: „Als reine Betonmischer und Glasfassadenakrobaten haben diese Langweiler“ – gemeint sind Sie, liebe Architekten – „ihren Sinn für Farben und Freude am Leben schon lange verloren.“

Gesitteter ging es in Darmstadt zu, denn dort wählte man den ordentlichen Rechtsstreit bis zum Oberlandesgericht. Ein Bürohochhaus aus den 1960ern war in den 2000ern zum quietschbunten Studentenwohnheim umgebaut worden. Bürger und Lokalpresse empfanden die Neon-Farben und die vielen Objekte in Hundertwasser- Optik drum herum als Gewinn. Vom Architekten kam kein Widerspruch. Auf dem Dach hatte der Bauherr außerdem eine „Kornkreiskrone“ installieren lassen – ein Tableau aus miteinander verschmelzenden, goldenen Kreisen, die Bezug auf die Fibonacci-Folge nehmen. Ein 2016 auftretender neuer Hauseigentümer war der Zahlenmystik und der Esoterik jedoch weniger zugeneigt und entfernte die Krone – zu Unrecht, wie das Gericht feststellte, denn das Werk war für den Standort angefertigt worden und auf die Himmelsrichtungen abgestimmt. Letzte Hoffnung für den Eigentümer: Der Architekt des Hauses (oder seine Nachfahren) klagen mit Vorbild Münster gegen die Kornkreise. Bis auf Weiteres ist die Kunst in Darmstadt jedenfalls wieder da. In Münster ist sie weg.

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