Text: Wolfgang Bachmann
Zum Jahresende verabschiedet sich Dietmar Steiner als Direktor des von ihm gegründeten Architekturzentrums Wien (AZW) mit einer Ausstellung über die letzten 50 Jahre Architektur. Die „Bauwelt“ ließ ihn Ende April seine Erkenntnisse im Schnelldurchlauf rapportieren. Und war verwirrt, dass die Bilanz in Prinz Charles’ Poundbury endet und der Fast-Rentner Steiner darüber keine Häme ausgießt, sondern über die „Offenbarung“ schwärmt, die ihn beim Besuch im von Leon Krier gestalteten Vorzeige-Dorf ergriffen hat. Steiner genoss die traditionelle Architektur, die abwechslungsreichen Typologien, soliden Materialien und schönen Details und fragte, „warum die heutige architektonische Fachdiskussion dieses Beispiel derart ignoriert“.
Da trifft er einen wunden Punkt. Denn tatsächlich gilt es unter rastlosen Architekturschreibern als vereinbart, über dieses Gehäusel aus dem Anker-Steinbaukasten kein Wort zu verlieren. Außer als despektierliche Glosse, sofern man nicht die große Form des Exorzismus wählt, um den Untergang der Architektur zu geißeln. Schon richtig: Der Beifall kommt zu rasch von der falschen Seite. Man kann das Volkstümliche nach Methoden der Marktforschung sehr einfach mit billigsten Bauträger-Attrappen umsetzen. Aber es wäre verfehlt zu fragen, ob diese Heimatkunde-Architektur unter AfD-Wählern und Fans von Dynamo Dresden besonderen Zuspruch findet.
Dass Steiner altersweise sein Erlebnis mitteilt, ließe vermuten, die Einschätzung der Architektur änderte sich mit den zurückgelegten Jahren. Tatsächlich verbirgt sich dahinter keine Resignation, sondern die Reife, sowohl die abstrakte Moderne und ihre Geschichte zu kennen als auch die regionale Bautradition – und sich die Freiheit zu nehmen, fallweise das eine oder andere zu bedenken und gelten zu lassen. Es gibt keine Regel, dass die Kritik mit dem Alter gemütlicher wird und sich beruhigt. Und die kreativen Architekten? Hey, da sind rüstige Senioren, die wie Keith Richards seine Riffs ihre exaltierten Architekturgebärden rocken: Gimme, gimme, gimme the honky tonk blues. Aber wissen wir, ob ein Wolf Prix glücklich ist, als Markenbotschafter für Aufputschmittel immer weiterzubauen, und sich nicht insgeheim schon langweilt?
War dieser Artikel hilfreich?
Weitere Artikel zu: