Text: Wolfgang Bachmann
In Juli Zehs neuem Roman „Unterleuten“, der kenntnisreich die Berliner Aussteiger in der brandenburgischen Provinz verfolgt, finden wir den Seufzer: „Als ob das Leben in der Stadt die Leute besser machte. Als ob eine Stadt mehr wäre als eine Ansammlung von haushoch gestapelten Heimatlosen.“ Die Autorin mag das Dorf, dort lebt sie und sagt in einem Interview über die statistisch festzustellende Landflucht: „Die Bewegung in die Städte ist mehr aus der Not heraus geboren als aus urbaner Euphorie.“
Indes wird in aktuellen Hochschuldebatten für „die schöne Stadt“ plädiert. Als könne man die Verweigerer durch eine Architektur wie aus dem Anker-Steinbaukasten zurückholen in einen bürgerlichen Wohn- und Handelsort mit Kirche, Marktplatz und lauter biederen Häusern. Dagegen möchte Peter Zlonicky die „europäische Stadt“ nicht als ästhetisches Leitbild aufhängen, er betrachtet den Zugewinn durch Immigranten und andere Kulturen als Stärke, die sie als „ein sich ständig veränderndes Amalgam“ durch Transformation gewinnt. Von hier ist es nicht weit zu Koolhaas’ „generischer Stadt“, die Begriffe wie Ort, Straße und Identität hinter sich lässt und „einfach so“ entsteht. Alex Gutzmer, der seine Architekturferne regelmäßig durch Mutmaßungen über die Stadt kompensiert, möchte in so einem gebauten Zweckverband „die Vielschichtigkeit des Urbanen“ erkennen.
Aber woran lässt sich das ablesen? An der Anzahl der Coffee-Shops in der Fußgängerzone? Urban bezeichnet lediglich die positiven Qualitäten einer städtischen Lebensweise mit einer öffentlichen und einer privaten Sphäre, die sich in der Architektur abbilden. Nach Andreas Feldtkeller liegt die Utopie darin, dass sie „für alle Individuen und Gruppen“ gelten soll. Sie teilen sich den öffentlichen Raum „von der Last der Herkunft befreit“, so Florian Rötzer. Historisch als „durchgesetzte Demokratie und als reale Chance sozialer Integration“ betrachtet, gibt Walter Siebel Entwarnung: Urbanität hat sich längst von der europäischen Stadt abgelöst. Der Begriff wird inflationär verwendet, um die stimulierenden Facetten des Städtischen ohne weitere Erläuterung zu beschreiben.
Wie kamen wir jetzt zu dieser Blütenlese? Auf dem Dorf ist eben alles einfacher, sagt Juli Zeh. Jeder versteht die Probleme, man trifft den Bürgermeister am Gartenzaun. Auch Hierarchien sind abgeschafft: „Eine Frau kann ruck, zuck zur Wortführerin werden, wenn sie die größte Klappe hat.“
War dieser Artikel hilfreich?
Weitere Artikel zu: