Von Nils Hille
„Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich einmal in Salzburg lande. Auf Kuhglocken kann ich eigentlich gut verzichten“, sagt Roland Trettl und schüttelt dabei völlig überzeugt seinen Kopf. Doch nun will der 36-Jährige hier gar nicht mehr weg, von dem „schönsten Ort, an dem man arbeiten kann“. 1 754 Glasplatten bilden zusammen mit Stahl und Silikon die Konstruktion des „gläsernen Flügels“, entworfen vom Salzburger Architekten Volkmer Burgstaller. Jede Scheibe wurde individuell angefertigt. Der großzügige Schalenbau vermittelt, trotz der Grundfläche von 3 700 Quadratmetern und dem Gewicht von 380 Tonnen, eine beeindruckende Dynamik und Schwerelosigkeit. Botschaften, die auch zur Funktion des Hangars passen. Denn die Nummer 7 bildet nicht nur die Basis der Fliegerstaffel eines Energiedrinks, der angeblich Flügel verleiht, sondern auch für Trettl, der hier das Spitzenrestaurant „Ikarus“ leitet – als Hauptküchenchef. Meistens wird der aber, international verständlich, als „Executive Chef“ bezeichnet, was besser klingt – und auch besser passt. Denn von Kuhglocken wird der gebürtige Südtiroler eher selten geweckt. Allein vier von zwölf Monaten hört er morgens die Klänge ganz unterschiedlicher Länder. Dann ist er unterwegs, umrundet wieder und wieder die Erde. Hinter dieser ständigen Weltreise steht eine außergewöhnliche Idee.
Suche nach neuem Geschmack
Deutschlands wohl renommiertester Koch Eckart Witzigmann gab Trettl die besondere Aufgabe. Er sollte nicht nur eine gehobene Küche im Hangar-Restaurant anbieten, sondern jeden Monat das Menü eines anderen internationalen Spitzenkochs servieren können – etwa die Spaghetti-Kreationen der Franzschen Spatzlküche oder das binnen kurzem legendär gewordene Exner-Omelette, hochgeistige Birthe-Cocktails und das emsländische Bärbel-Baiser. Alle Gastköche, egal wie bekannt und beliebt, haben dabei nur einmal 30 Tage lang die Chance, ihre Zusammenstellung zu komponieren. Für Trettl bedeutet das: Ständig auf der Suche sein nach neuen Köchen und außergewöhnlichen Küchen: „Mittlerweile kenne ich die meisten Kollegen vorher noch nicht einmal vom Namen her. Bei jedem Besuch frage ich nach Empfehlungen. Denn du kannst der beste Koch der Welt sein, aber keiner kennt dich!“
Weltweit einzigartig ist dieses gastronomische Konzept, von dem Trettl schon knapp 50 Köche überzeugen konnte. Aber er lädt nicht jeden zu sich in den Hangar ein: „Irgendwann sieht man nicht mehr nur das Kochen. Dazu kommen menschliche Faktoren und die gesamte Philosophie eines Menschen. Erst dann wird einer für mich richtig gut.“ Hier sieht Trettl auch Parallelen zu anderen Künsten: „Kreativität und Leidenschaft sind die Basis für gute Architekten und Köche. Bei Spitzenleuten der Branchen kommt noch sehr viel Innovation dazu.“
Aber auch nicht jeder der gewünschten Küchenchefs konzipiert ein Gastmenü für ihn. Trettl kann sich darüber nur wundern: „Es gibt Köche, die einfach nicht über ihre Restaurantmauern hinausschauen. Da ist es auch egal, welche hochkarätigen Namen schon dabei waren.“
Wie bei den Speisen muss auch bei den Köchen die Zusammenstellung stimmen. Für Trettl ist das wie ein Spiel. Es sollen pro Jahr immer „drei Exoten, eine Frau und Köche aller Kontinente vertreten sein. Drei-Sterne-Meister sind genauso dabei wie einige junge, aufstrebende Köche, denen ich mit dem Hangar 7 eine Plattform biete.“
Kochen statt Eishockey
Dieses Anliegen lässt Parallelen zu seiner Herkunft erkennen. Zunächst schien Trettls Weg nicht an den heißen Herd zu führen, sondern auf kaltes Eis. Jahrelang spielte er Eishockey, wurde immer besser, aber „das Talent für den Sprung nach Kanada als Profi hat dann doch gefehlt“. Schnell tat sich aber eine neue Idee auf. Sein Vater war nicht nur Präsident des Eissportverbands, sondern auch Besitzer einer Diskothek mit Restaurant. In deren Küche fühlte sich Trettl richtig wohl. Hier herrschten angenehmere Temperaturen und für den Teenager gab es ständig etwas zu essen: „Das war für mich ein Gefühl heiliger Ruhe. Später musste ich feststellen, dass ich mich darin geirrt hatte.“ Und das ging schnell. Trettls erste Schritte in seinem heutigen Job absolvierte er bei der Kochlehre im Bozener „Parkhotel Holzner“. Doch nach Ausbildung und Militärzeit wollte er weg „aus dem eintönigen grauen Südtirol. Ich habe mir gesagt: Entweder lerne ich den Kochberuf nun wirklich oder gar nicht“.
Trettl stellte sein Talent auf die Probe. Nur die Arbeit beim besten Koch sollte ihm gut genug sein. Doch wie überzeugt man Eckhard Witzigmann von seinem Talent, wenn diesen Versuch jedes Jahr auch Hunderte andere Bewerber starten? „Eine alltägliche Bewerbung hätte ich mir gleich sparen können. Ich habe meine auf ein Holzbrett geschrieben. Denn das ist einem immer im Weg“, blickt Trettl zurück. Witzigmann wollte es wohl auch schnell vom Tisch haben und lud den Koch kurzerhand nach München zum Gespräch ein. Selbst hier blieb Trettl seiner Linie treu. In Jeans, Lederjacke und Turnschuhen traf er auf Deutschlands ersten Dreisternekoch – der ihn sofort einstellte. Das war vor 15 Jahren.
Architektur auf dem Teller
Seit der Eröffnung vor vier Jahren leitet Trettl nun die Küche im Untergeschoss des Hangar 7. Das Gebäude ist mit 4 200 Quadratmetern weitläufig unterkellert. Durch große Bodenglasscheiben am Rand ist auch für Tageslichteinfall gesorgt. Die Speisen werden per Lift ins Restaurant transportiert – fast jede Zutat der internationalen Küchen hat schon den Fahrstuhl genommen. Fast, denn alle Ideen seiner Gastköche macht Trettl nicht mit: „Schlangen oder Schildkröten auf der Speisekarte müsste ich schon sehr erklären. Und wenn einer so thailändisch scharf kocht, dass es einem durchbrennt, dann muss er sich dem europäischen Geschmack anpassen und etwas an Schärfe zurücknehmen.“
Für Experimente ist Trettl sonst sehr zu haben. Ein Gastkoch aus Toronto servierte das Menü in ungewöhnlicher Reihenfolge. Der Salat kam erst vor dem Dessert, das Hauptgericht dafür viel früher. Trettl war begeistert: „Normalerweise kommt erst Brot, dann die Vorspeise, dann noch ein Gang und irgendwann der blöde Hauptgang, der mich dann schon anwidert, weil ich gar keinen richtigen Appetit mehr habe. Hier stillst du deinen ersten Hunger und fängst direkt an zu genießen. Genial!“ Auch seine Gäste waren überzeugt. Sie schätzen an der Küche des „Ikarus“ ohnehin die kühnen Experimente, die sich aber immer auf hohem Niveau bewegen.
Jeden Monat konzipiert Trettl zu dem Starmenü auch eine alternative Gerichtefolge. Einmal im Jahr (meist zu den Salzburger Festspielen, dieses Jahr aber im Dezember) gibt es „Trettl pur“. Da ist er selber Koch des Monats. Doch egal ob eigene oder fremde Ideen, bei allen muss die Komposition stimmen, sagt er: „Es muss Architektur und Kunst auf dem Teller sein. Zuerst gilt es, die Mitte zu finden. Vom Zentrum weiche ich nach außen. Doch bei aller sorgfältigen Planung ist und bleibt es ein vergängliches Kunstwerk.“
Hangar 7
Täglich von 9 bis 22 Uhr geöffnet. Restaurant (mittags und abends)
nur bei telefonischer Vorreservierung unter: 0043/6622/197-77
Buchtipp
Petra Hagen Hodgson, Rolf Toyka, Akademie der Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen (Hrsg.)
Der Architekt, der Koch und der gute Geschmack
Weniger ist mehr! Diese Erfahrung machen Architekten genauso wie Köche. Wenn von guten Materialien zu viel verwendet wird, wirkt ein Bau nicht mehr stilvoll, schmeckt ein Essen nicht mehr fein. Gemeinsamkeiten wie diese haben die Herausgeber gesammelt, bei einem Symposium diskutieren lassen und mit zahlreichen Autoren in einem Werk vereint. Ein Buch über das Kochen ohne Rezepte, aber zu Fragen nach Materialien, des Zusammenfügens und des wirklich guten Geschmacks.
160 Seiten, 39,90 Euro, Birkhäuser Verlag