Text: Nils Hille
Die Mühle dreht sich und dreht sich. Sie wird immer schneller. Und ihre Ruhezeiten werden immer seltener – denn je häufiger sich die Mühle dreht, desto mehr kann sie bewältigen. Und ihre Wartung, ihre Pflege? Die bleibt halt auf der Strecke, egal, schließlich läuft doch alles rund. Doch dann gibt es einen großen Knall. Peng! Totalschaden. Und auf einmal geht gar nichts mehr.
So ein heftiger Knall war erst nötig, damit sich bei RKW Architektur und Städtebau in Düsseldorf etwas ändert. Hier waren es die Mitarbeiter, die sich unter dem unablässig mahlenden Mühlrad des Bürobetriebs allmählich zermalmt fühlten – und irgendwann einfach nicht mehr konnten. Und die dann viel länger ausfielen als sonst bei Krankheiten wie Magenverstimmung oder Grippe, mit denen jeder Arbeitgeber bei seinen Angestellten schon mal rechnen muss. Ihre Diagnose: Burnout. Das Datum ihrer Rückkehr: unbekannt. Zwar waren es nur ein paar Krankheitsfälle in dem rund 300 Mitarbeiter starken Büro. Doch das Thema ließ der Führungsriege keine Ruhe. Als dann noch der Senior im Haus, Gesellschafter und Teil-Namensgeber Friedel Kellermann, sagte: „Unsere Arbeitsweise heutzutage provoziert solche Ausfälle ja auch“, nahm sich Johannes Ringel, ebenfalls Gesellschafter, der Sache an. „Wir wollten wissen, ob diese Vermutung stimmt und wir mit immer mehr Burn-out-Fällen rechnen müssen“, sagt er. Und schiebt schnell hinterher: „Das hat sich zum Glück nicht bestätigt.“
Ursachen erkennen
Doch bis zu dieser Diagnose stand eine ausführliche Situationsanalyse ins Haus: Architekt Ringel holte sich das medizinische Fachwissen auf zwei Wegen an den Büro-Hauptstandort in Düsseldorf. Zum einen fragte er bei der AOK Rheinland nach einer Beratung zum Thema. Diese zeigte sich kooperativ, versprach, sich an den Kosten zu beteiligen und vermittelte den Planer weiter an eines ihrer Tochterunternehmen, das Institut für Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) in Köln. Dort übernahm die Psychologin Nicole Lazar die Anfrage. Nach Gesprächen mit dem Gesellschafterkreis empfahl sie dem Büro eine Arbeitsplatz-Situationsanalyse, mit der sie die Architekten schließlich auch beauftragten. In sogenannten teilstrukturierten Gesprächen, in denen die Themen, aber nicht die möglichen Antworten vorgegeben sind, sprach Lazar mit jeweils mehreren Mitarbeitern aus den Abteilungen Planung, Bauleitung und Verwaltung. Hier stand nicht nur die Abfrage von negativer Kritik an durch Fragen wie: „Wie wichtig sind Veränderungen und wo sollten diese liegen?“ Auch positive Aspekte sollten zur Sprache kommen, um auswerten zu können, was gut läuft. Lazar bekam dadurch ein umfassendes Bild. „So konnte ich Belastungen identifizieren und Handlungsempfehlungen geben. Denn die Analyse ist zwar aufschlussreich, aber die richtige Arbeit fängt für den Arbeitgeber erst danach an“, erklärt sie.
Leidenschaft, die Leiden schafft
Lazars Analyse bei RKW brachte mehrere Erkenntnisse hervor. Allen voran eine erfreuliche, so die Psychologin: „Ich war positiv überrascht, dass die Mitarbeiter überwiegend zufrieden sind. Sie lobten die interessanten Projekte und die gute Atmosphäre.“ Die Architekten und Verwaltungskräfte des Büros sind im Vergleich zu anderen Arbeitgebern und Berufsgruppen nicht überdurchschnittlich gefährdet. Aber gerade die Planer belasten sich selbst dadurch, dass sie sehr stark für die Projekte brennen, wie Lazar erklärt: „Ich nenne so eine Verhaltensweise ‚die interessierte Selbstgefährdung‘. Die Architekten gehen mit so viel Herzblut an ihre Arbeit, dass sie auftretende Warnsignale ihres Körpers ignorieren und voller Eifer weiterackern.“ Dazu kämen Termine und Fristen, die sie einhalten müssten. „Wer dann auf längere Zeit täglich zwölf bis 14 Stunden arbeitet und kein Wochenende mehr kennt, der braucht schon verdammt gute Ausgleichstechniken, um das durchzustehen“, so Lazar. Diese Waage zwischen Anspannung und Druck auf der einen und Entspannung und Regeneration auf der anderen Seite halten aber nicht alle von sich aus oder mit Unterstützung von Partner, Familie oder Freunden im Gleichgewicht. Hier braucht es bei einigen Mitarbeitern die Unterstützung vom Vorgesetzten. Zu dem Ergebnis kam auch Gesellschafter Ringel bei seinen Gesprächen mit den Burn-out-Betroffenen nach deren Rückkehr ins Büro. Er fragte sie, was damals das Schlimmste für sie war. „Da kam die Antwort: ‚Dass mir keiner gesagt hat, dass das, worüber ich mir bei Projekten Sorgen gemacht habe, gar nicht so wild war.‘ Niemand hatte ihnen bei uns also den Rücken gestärkt, und da frage ich mich als Arbeitgeber schon, was da falsch gelaufen ist.“
Vorbeugen hilft am besten
Zukünftig möchte Ringel so etwas nie wieder hören müssen. Dafür haben er und die anderen Gesellschafter gemeinsam mit den Fachleuten einen Maßnahmenkatalog beschlossen: Die Mitarbeiter werden in Vorträgen und Seminaren im Bereich Stressmanagement weitergebildet. Es gibt spezielle Workshops für einzelne Arbeitsfelder. Zudem dienen als neue Ansprechpartner zwei Kollegen, die zukünftig als Ombudsleute agieren. An sie können sich diejenigen Angestellten wenden, die zu viel Belastung bei ihrer Arbeit spüren, aber das Gespräch mit dem direkten Vorgesetzten scheuen. Die Ombudsleute sollen dann vermitteln. Sollte trotz allem bei RKW wieder ein Burn-out drohen, dann springt eine auf Stresskrankheiten spezialisierte Ärztin ein. Johannes Ringel bekam sie durch einen persönlichen Kontakt zur Diakonie in Düsseldorf vermittelt. RKW hat mit ihr einen Vertrag geschlossen, in dem die Medizinerin bei akuten Fällen eine Erstberatung innerhalb von 24 Stunden garantiert. „Das kostet uns zwar einiges an Geld, aber verhindert die sonst meist ewigen Wartezeiten und eine unnötige Verschleppung der Krankheit.“ Im Idealfall bekommt die Ärztin aber erst gar keinen Anruf von den Architekten.
Fünf Tipps zur Stressbewältigung
1. Achten Sie auf Warnsignale: Wissen Sie schon morgens früh im Büro nicht mehr, mit welcher Ihrer zahlreichen Aufgaben Sie überhaupt anfangen sollen? Können Sie sich keinen Überblick mehr über die Arbeit verschaffen? Haben Sie das Gefühl, dass die Aufgaben nur noch so auf Sie einstürzen? Vergessen Sie, regelmäßig Nahrung zu sich zu nehmen? Oder haben Sie ständig abends keine Lust mehr, etwas zu unternehmen? „Dies alles sind Zeichen dafür, dass Sie zu viel Stress haben und dringend etwas dagegen unternehmen sollten“, so Psychologin Nicole Lazar.
2. Schalten Sie Störfaktoren aus: Oft lassen sich schon mit einfachen Maßnahmen Stressverstärker abstellen. Ist zum Beispiel die Lautstärke an und um Ihren Arbeitsplatz zu hoch, können hier Umplatzierungen sowie Akustikwände oder andere lärmschluckende Büromöbel Abhilfe schaffen. Auch eine Reizüberflutung kann für unnötiges Unwohlsein sorgen. „Setzen Sie sich hier selbst klare Regeln und führen Sie Zeitfenster für bestimmte Aufgaben ein“, rät Lazar. So müssen Sie zum Beispiel E-Mails nicht immer in dem Moment beachten, in dem sie in Ihrem Posteingang landen. Oft macht eine gebündelte Bearbeitung der Nachrichten viel mehr Sinn.
3. Halten Sie konsequent Pausen ein: Niemandem ist geholfen, wenn Sie irgendwann zusammenklappen oder unsauber arbeiten, weil Sie sich nicht mehr konzentrieren können. Schaffen Sie sich daher regelmäßig Auszeiten. Diese sollten Sie selbstbestimmt mit Essen und Trinken, Entspannen, Bewegung und Tätigkeiten fernab Ihrer Arbeitsaufgaben verbringen. Lazar: „Tragen Sie sich Ihre Freizeiten am besten als feste Termine in den Kalender ein, um die Lücken gar nicht wieder mit beruflichen Tätigkeiten zu füllen.“
4. Machen Sie Ihren Stress zum Thema: Sprechen Sie Ihre Überbelastung bei Kollegen und Vorgesetzten offensiv an, damit diese Ihre Problematik wahr- und ernst nehmen. „Im Idealfall können Sie so gemeinsam direkt eine Lösung anstreben, wie zum Beispiel eine Umverteilung der Aufgaben oder eine klare Priorisierung“, so Lazar. Ein Stapelsystem, bei dem Sie die aktuellen Vorgänge zwischen „heute“, „terminieren“ und „archivieren“ aufteilen, lässt den großen Aufgabenberg schon schrumpfen.
5. Scheuen Sie keine externe Hilfe: Wenn interne Lösungen nicht zustande kommen oder kaum für Entlastung sorgen, schauen Sie sich ohne Furcht oder Scham nach Unterstützung von außen um. Die Krankenkassen sind häufig der richtige erste Ansprechpartner. „Sie können Ihre Anfrage an passende Experten wie unser Institut weitervermitteln und Ihnen erläutern, welche Maßnahmen sie finanziell unterstützen“, erklärt Lazar. Mit einem Arzt oder Psychologen können Sie dann die Details besprechen und gemeinsam Maßnahmen angehen. „Hier sollte die Chemie stimmen. Wenn Sie merken, dass dies nicht der richtige Ansprechpartner ist, dann kommunizieren Sie das offen und suchen Sie lieber noch einmal erneut“, sagt Lazar.
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