Texte: Nils Hille und Roland Stimpel
Die Krise als Chance
Das Büro SEHW begann mit Projekt-Anstößen für öffentliche Bauherren. Heute realisiert es seine Pläne teils selbst
Zur Projektentwicklung sind wir aus Not gekommen“, gesteht Xaver Egger freimütig. „Kurz nach Gründung unseres Büros SEHW blockierte eine Haushaltssperre unseren ersten architektonischen Großauftrag. Wir mussten einfach gucken, wo wir bleiben.“ Egger und seine Büro-Mitbegründer Andreas Horlitz, Martin Schreiber und Christoph Winkler warteten nicht auf Architektur-Aufträge, sondern initiierten sie selbst. Der Berliner Universitätsklinik Charité eröffneten sie Wege zum Umbau eines einstigen Rechenzentrums zum Medizinhistorischen Museum – nicht nur mit Bau-Entwürfen, sondern auch mit Finanzierungsvorschlägen aus europäischen und deutschen Fördertöpfen bis hin zu Mitteln aus der Lotterie.
Das ließ sich so gut an, dass SEHW seitdem in allen Sparten Projekte anregt und entwickelt. Als die Gemeinde Seekirchen bei Salzburg zunächst nur ein Seniorenwohnhaus wollte, entwickelten Egger und Kollegen für ein freies Nachbargrundstück die Idee eines Neubaus mit Pflege, Gastronomie, Medizin und – fürs Mehrgenerationenleben – Schülerbetreuung. „Inzwischen ist da eine Art Stadtzentrum draus geworden“, berichtet Egger.
Den Zugang zur Technischen Hochschule Wildau bei Berlin fand SEHW über einen Wettbewerbssieg. Es blieb nicht bei der Architektur, sondern Egger und Kollegen regten auch die Privatfinanzierung eines Campus-Gebäudes an. „Jetzt suchen wir Investoren, die das Raumprogramm umsetzen.“
„Projektentwicklung ist wie ein Puzzle“, erklärt Egger. „Man setzt aus vielen Einzelteilen ein stimmiges Vorhaben zusammen. Aber solange nur ein Stück fehlt, klafft ein Loch; das Projekt ist noch nicht entwickelt.“ Mal klafft noch eine finanzielle Lücke, mal muss ein Nutzer, mal ein Investor und mal ein Grundstück gefunden werden. „Das ist alles keine herkömmliche Architektenarbeit. Aber es schafft uns die Möglichkeit, gute Architektur zu machen.“ Oft teilt sich SEHW die Entwicklungsarbeit: Egger und Kollegen schaffen zunächst die Grundlagen und führen dann die Akteure zusammen – Projektentwicklung als Dienstleistung. Ein Investor realisiert das Projekt schließlich mit eigenem und geliehenem Geld – Entwicklung als Unternehmerleistung. SEHW wiederum hat so schon den Fuß weit in der Tür – für den eigentlichen Architektenauftrag.
Inzwischen traut sich SEHW auch die Unternehmerrolle zu und entwickelt Projekte auf eigenes Risiko. In Potsdam sanierte das Büro eine Ruine, setzte einen Neubau daneben und vermarktete beides. Und in Berlin-Wedding trauen sich Egger und Kollegen jetzt an ein 3.000-Quadratmeter-Projekt, eine Art gewerbliche Baugruppe mit Büros, Handel, Lofts für Kunst und Wohnen sowie nicht zuletzt für den SEHW-Standort selbst. SEHW macht den Plan; die Partner errichten den Bau gemeinsam und teilen dann die Gewerbeflächen in individuelles Eigentum auf.
Schritt für Schritt
Das Büro WerkGruppe1 wächst durch die Entwicklung immer größerer Projekte
BIZZZ steht nicht nur für das Bauinformationszentrum Elztal im baden-württembergischen Gutach-Bleibach. Es steht auch als Symbol für einen weiteren großen Schritt, den Architekt Klaus Wehrle als Projektentwickler genommen hat. Das BIZZZ ist eine Anlaufstelle für private Bauherren, die sich über sämtliche Aspekte von der Finanzierung bis zur Ausstattung ihres Gebäudes informieren wollen. Im Januar wurde der Gewerbebau mit 1.300 Quadratmetern Nutzfläche auf vier Etagen eröffnet. Kosten: zwei Millionen Euro. Idee und Planung: Wehrle. Investor: Wehrle. Risiko: Wehrle. „Nach und nach habe ich mich auch an große Projekte wie das BIZZZ rangetraut“, sagt Wehrle. Er ist es gewohnt, Menschen für seine Projektideen zu begeistern. Hier hat er es gleich 50 Mal geschafft: So viele Aussteller – darunter Architekten, Handwerker, Banken und weitere Dienstleister – hat das Infozentrum. Sie alle schlossen Mietverträge für ihre Standflächen über zehn Jahre ab. Das gab Wehrle die nötige Kalkulationssicherheit; die Aussteller wiederum haben Planungssicherheit. Sie müssen in dieser Zeit keine Mieterhöhung befürchten. Jetzt steht das BIZZZ; viele Bauherren sind oft stunden-, manche tagelang vor Ort und lassen sich umfassend beraten. Die Aussteller sind begeistert. Und Wehrle? Der hat sich die Idee sofort patentieren lassen. „Es ist ein Modell, das sich auch in vielen anderen Regionen umsetzen ließe. Erste Anfragen gibt es schon. Daran werden wir in den nächsten Jahren arbeiten.“
An seinem Erfolg als Projektentwickler arbeitet der Architekt seit 1990. Schon zwei Jahre nach seinem Studium merkte Wehrle, dass ihm die reine Planung nicht reicht: „Ich kann bis zum Ende Einfluss auf die Gestaltung nehmen und erziele eine entsprechende Vergütung. Die Projektentwicklung fällt nicht unter die HAOI. Sie ist frei kalkulierbar, sodass wir das einrechnen können, was wir dafür brauchen.“ Mitte der 1990er-Jahre war es dann erstmals so weit. In Waldkirch, nahe Freiburg im Breisgau, fand Wehrle erste Grundstücke. Der Bauträger wurde hier eingespart, dafür entstand eine Baugruppe, die der Architekt betreute. Das Modell funktioniert bis heute: Immer wieder entstehen in verschiedenen Orten in der Region neue Wohnbauten made by Wehrle. Jetzt sind es mal zwölf, mal gleich 25 Reihenhäuser und Doppelhaushälften. Die Bauherren sparen laut Wehrle rund zehn bis 20 Prozent gegenüber einem Bauträger-Projekt und bekommen alles aus einer Hand – aus einer, die auch noch stark auf die Gestalt des Gebäudes achtet. „Wir halten unsere Kosten immer ein. So etwas spricht sich herum“, sagt Wehrle.
Zum Erlernen der Projektentwicklung helfen laut Wehre vor allem Erfahrungen: „Ein Neuling sollte mit kleinen Themen beginnen. Dafür bietet sich ein Grundstück für drei bis vier Reihenhäuser an, die er planen und entwickeln kann und für die er dann Kunden sucht.“
Bahnhof verstehen
Grossmann Architekten entwickeln Umnutzungs-Ideen für schwierige Bestandsgebäude
Eigenbedarf war der Auslöser für Architekt Jürgen Grossmann, als Projektentwickler tätig zu werden. Er hatte einfach keine Lust mehr, jeden Tag 40 Kilometer ins Büro zu fahren, nachdem er nach Kehl am Rhein gezogen war. Ein eigenes Büro musste her, doch alle Gebäude, die ihm gezeigt wurden, gefielen ihm nicht. Alle – außer dem Bahnhof an der Grenze zu Frankreich. Dieser sollte verkauft werden, wie er erfuhr, aber die Stadt hatte kein Geld, um ihn zu erwerben. Grossmann griff zu – nachdem die Stadt den Vorplatz saniert hatte und die Deutsche Bahn zusicherte, 350 der 2.400 Quadratmeter Nutzfläche langfristig zu mieten. Er renovierte das Gebäude, und drei Monate später waren alle Flächen vergeben, inklusive der für sein Büro Grossmann Architekten. „Der Bahnhof hat die Öffentlichkeit sehr interessiert. Die Presse hat das Thema aufgegriffen und uns so bei der Vermarktung geholfen“, erklärt Grossmann die Akquisestrategie. Inzwischen konnte er das Bahnhofsgebäude aufstocken lassen und ein zusätzliches Bürogebäude auf dem Gelände errichten. „Baurecht, Vermietungsstrukturen und Stellplatzfragen – durch dieses eigene Projekt habe ich Dinge erfahren, mit denen ein Architekt normalerweise nicht in Berührung kommt“, sagt der Architekt, der mittlerweile 27 Mitarbeiter hat.
Auf den Bahnhof folgten zahlreiche Projekte, insbesondere die Umnutzungen von Bestandsimmobilien. „Ich brauche oft vor allem einen langen Atem. Somit muss ich mich wirklich für eine Idee begeistern, dann finde ich auch andere, die mitziehen“, sagt Grossmann. Er sucht sich Objekte, bei denen sonst niemand eine gute Idee zur neuen Verwendung hat. Ungenutzte Kasernen, eine Psychiatrie oder ein Kloster? Gerne. Gebäude, die schon zum Kauf angepriesen werden? Nein, danke. Bei jeder besonderen Umnutzung berichtet die Presse. Mittlerweile ist Grossmann für solche Projekte bekannt, und Eigentümer melden sich, wenn sie selbst keine Idee haben. „Wir lieben Themen, die andere meiden. Alle, die nicht weiterkommen, rufen mich an. Wir prüfen dann, entwickeln aber schließlich nur für maximal eines von zehn Projekten eine neue Idee“, so Grossmann. Bevor es um die Ästhetik geht, auf die Grossmann viel Wert legt, muss die kaufmännische Seite geklärt sein. „Nur wenn die Idee oder Fantasie Hand und Fuß hat, ist auch die Realisierung möglich.“
Ganz entscheidend, um sich als Entwickler langfristig an dem Projekt erfreuen zu können, sind dabei zwei Unterstützer, erklärt er. Erstens eine Bank, die das Projekt umfassend bewertet: „Wenn sie zu einer Finanzierung nicht bereit ist, dann ist das Risiko auch für mich einfach zu groß.“ Und zweitens ein guter Fachanwalt für die Vertragsgestaltung: „Sich richtig abzusichern, gehört einfach dazu.“
Service für Gruppen
Das Büro DEO initiiert Projekte für Bau- und Investorengruppen mit ehrgeizigen Energiekonzepten
Christoph Deimel und Iris Oelschläger suchten zweierlei: Aufträge für ihr Büro DEO und ein städtisches Passivhaus zum Wohnen. Also schufen sie beides auf einmal. Sie motivierten Bekannte zur Gründung einer Baugruppe und gingen auf Grundstückssuche. Letzteres nicht per Makler oder auf Ausschreibungen hin, sondern mit dem Blick auf freie Grundstücke im Berliner Zentrum und die Ermittlung ihrer Eigentümer übers Katasteramt. Nach einiger Suche war alles da: eine Parzelle in der Schönholzer Straße am ehemaligen Mauerstreifen, eine Gruppe, die sie mit einem Passivhaus mit 20 Wohnungen bebauen wollte, und ein Planungsauftrag für DEO. Das Ganze brauchte ein unbefangenes Selbstbewusstsein, wie sich Deimel erinnert. „Wir haben relativ blauäugig angefangen und uns gesagt: Wir wollen das, wir können das, wir fangen jetzt an.“
Gruppenprojekte mit Energiespar-Ambitionen, selbst initiiert und mit einem Grundstücksvorschlag versehen – damit hatte DEO sein Profil gefunden. Nicht immer ging es gut: Einer Gruppe verhalfen sie zur Gründung und zum Grundstück, was aber die Bauherren nicht davon abhielt, sich nach dem Bodenerwerb andere Architekten zu suchen. Besser ging es mit einem Projekt in der Boyenstraße mit 21 Beteiligten und Wohnungen, das im kommenden Jahr fertig wird und für sein Null-Emissions-Konzept schon jetzt von einem Umweltbündnis der Wirtschaft als „Klimaschutzpartner des Jahres 2012“ ausgezeichnet wurde.
Kenntnisse in Projektentwicklung und im Gruppenbauen wuchsen Deimel und Oelschläger während der Arbeit zu. Es half der Austausch im Netzwerk Berliner Baugruppen-Architekten. Dessen Mitglieder definierten gemeinsam die Projektentwicklungs-Leistungen, trennten sie von denen, die die HOAI abdeckt, und entwarfen Entwicklungsverträge für die Bauherren. Die Arbeit in den Phasen vor der 1 lassen sich die Architekten honorieren. Beim Projekt Boyenstraße gab jeder 2.700 Euro – nach Angaben von Deimel nicht kostendeckend, aber eben auch Akquisition für den folgenden Planungsauftrag.
Iris Oelschläger nennt das Motto: „Für ein Projekt nach den eigenen Vorstellungen wartet man nicht auf den Investor. Sondern man initiiert es selbst.“ Das sei ja nichts Neues: „Schon Walter Gropius hat doch für den Unternehmer Hans Sommerfeld Ideen entwickelt und Projekte angestoßen.“ Aber das Kalkulieren ist für das Thema wichtig. Man braucht laut Deimel „auch eine Neigung zu Zahlen und Finanzen“.
Nach den ersten Erfolgen wagen Deimel und Oelschläger jetzt Größeres: Gemeinsam mit den Büros dmsw und Zoomarchitekten wollen sie im Wissenschafts-Stadtteil Adlershof das Projekt „Newton“ mit 100 Wohnungen entwickeln. Auch dies in Baugruppen – aber nicht nur mit Einzelnutzern, sondern auch mit Privatinvestoren, die kleine Pakete von Wohnungen zum Vermieten errichten. Das verlangt eine viel professionellere Vermarktung als die kleineren Baugruppen, die oft über persönliche Empfehlungen wachsen. Marketingfirmen und beteiligte Planer – auch Fachplaner – sollen aber in der Entwicklungsphase nicht als Dienstleister der Architekten fungieren, sondern auf eigenes Risiko ins Projekt einsteigen.
Entwickler entwickeln
Ausbildung und Rat für Architekten-Projekte
An der Hochschule Bochum lehrt Xaver Egger im Masterstudiengang mit der leicht bizarren Schreibweise „Architektur:ProjektEnt-wicklung“, aber sehr bodenständigen Inhalten. Die Hochschule beschreibt das Ganze als „Initiierung, Konzeption, Konkretisierung, Management und Vermarktung architektonischer Projekte“. Der Studiengang verspricht „Fachwissen in Projektentwicklung und Immobilienwirtschaft und lehrt Architekten und Immobilienfachleute, eine gemeinsame Sprache zu sprechen“.
Als typischen Satz seiner Studenten gibt Egger wieder: „Entwerfen können wir schon, aber die wirtschaftliche Seite noch nicht.“ Es geht aber längst nicht nur um diese, sondern auch um ganz unökonomische Wünsche späterer Nutzer, um die Bevölkerungsentwicklung, soziale Strukturen und Bedürfnisse in Stadtgebieten. Das „Quartiersempfinden“ seiner Studenten schult Egger auf Spaziergängen – bis hin zu der Aufgabe, zum Charakter eines Stadtteils den passenden Geruch und die angemessene Farbe zu erdenken.
„Die Entwicklung hat natürlich viel mit Architektur zu tun“, sagt Egger. „Für sie braucht es aber auch einiges anderes Know-how, das über die räumliche Dimension hinausgeht. Ganz am Anfang kann zum Beispiel der Austausch mit Trendforschern und Soziologen nötig sein, um mehr über Nutzerbedürfnisse zu lernen.“
Egger lädt nicht nur Architektur-Bachelors mit starker Neigung zur Ökonomie ein. „Wir wollen auch tolle Entwerfer haben – und ihnen Chancen aufzeigen, ihre Ideen zu vermitteln und zu realisieren.“ Die ersten Absolventen sind verschiedene Wege gegangen: einige klassisch in Architekturbüros, um die nötige Praxis für die Kammer-Mitgliedschaft zu erwerben und sich dann selbstständig zu machen, andere in große Projektentwicklungs-Firmen wie Hochtief.
Bisher verlangt das Masterstudium Vollzeit-Einsatz, doch will Egger es künftig auch berufsbegleitend anbieten. Praktiker, die sich im Thema schulen wollen, finden dazu Veranstaltungen der Kammern unter www.architektenweiterbildung.de. Teils sind die Seminare explizit dem Thema gewidmet, etwa der städtebaulichen Projektentwicklung in Stuttgart am 5. Dezember. Teils geht es um Einzelthemen wie Markt- und Bedarfsforschung, Kommunikation und Kooperation, Wertermittlung und Baurecht. Ein anderer Weg ist die individuelle Beratung: Der erfahrene Architekt und Projektentwickler Andreas Becher bietet Coaching für Kollegen an, die sich auf diesem Gebiet versuchen wollen.