Heute fällt uns für diese Seite partout nichts ein. Also blicken wir über den Rand unseres feuilletonistischen Kindertellers: Was schreiben Kollegen mit kunst- und literaturwissenschaftlichem Hintergrund, wenn sie in einem einfallslosen Moment ihr Scherflein fürs Wahre, Schöne, Gute liefern müssen? Ganz klar: eine Philippika gegen das ewige Böse – also gegen Rekonstruktionen. Thema gefunden; los geht’s: Eifriger denn je bauen die Deutschen landauf, landab neue Kirchen und Schlösser und Villen, die in Wahrheit nicht neu, sondern alt sein sollen. Ganze Innenstädte werden in mittelalterliche Zeiten zurückgesetzt. Ein Großteil der Bauten sind Rekonstruktionen. Durch Deutschland tobt ein Rekonstruktions-Tsunami, ein Mainstream der Rekonstruktionswütigen.
Bevor gleich jemand den Guttenberg der Architekturkritik enttarnt, geben wir zu: Das war alles rekonstruierter Text, größtenteils von den Kunst- und Kulturjournalisten Hanno Rauterberg, Sarah Elsing und Ursula Baus. „Überall wird das längst Verschwundene wiedererrichtet“, fand Rauterberg gerade exklusiv zum zwanzigsten Mal heraus. Nämlich in „Potsdam, Hannover, Dresden, München, Leipzig, Braunschweig oder auch Wesel“. Später nennt er noch Berlin und Frankfurt. Wir grübeln: In Braunschweig war zuletzt vor vier Jahren was, in München vor sieben. In Wesel war es genau eine Fassade. Leipzig? Das Stahl-Glas-Paulinum wird er ja wohl nicht gemeint haben. In Berlin dauert es noch. Bleiben als im Bau befindliches „Überall“ ein paar Häuser in Potsdam, Dresden und Frankfurt sowie ein Gartenpalais in Hannover. Das sind der Tsunami der Wütigen, der Großteil aller Bauten und die ganzen Innenstädte.
Könnte man das auch gelassener sehen? Ziemlich theoretisch ginge es: Wer Rekonstruktionen nicht mag, könnte sie behandeln wie wir Nichtraucher die Nischen der Süchtigen: die Nase rümpfen und selbstzufrieden weitergehen. Und für den kurzen Moment, den einen das Rekonstruierte wie Tabakqualm anstinkt, hülfe vielleicht Toleranz. Die verlangt man ja auch den Nostalgikern gegenüber Zeitgenössischem ab. Das wäre eine souveräne Haltung, doch es gäbe ein Problem: Worüber schreiben, wenn einem mal wieder nichts einfällt?