Interview: Beate Zarges
Frau Anders, was sind die Hauptursachen für Konflikte bei Bauprozessen?
Sie entstehen nicht nur durch unterschiedliche Wünsche und Vorstellungen, sondern häufig dadurch, dass es keine klaren Absprachen gibt. Schnell kommt es dann zu Missverständnissen. Wenn unklar ist, wer für welchen Teil verantwortlich ist oder wie die Informationen im Büro kommuniziert werden, entstehen nicht nur Konflikte zwischen Bauherren und Architekten, sondern auch innerhalb des eigenen Büros. Überprüfen Sie deshalb immer wieder, ob Sie Ihren Verhandlungspartner richtig verstanden haben und er Sie. Termindruck und Kostenüberwachung sind darüber hinaus zwei wesentliche Faktoren, die Konflikte begünstigen.
Welche Rolle spielt der Architekt bei Konflikten im Planungs- und Baubereich?
Er hat eine hervorgehobene Position während der gesamten Bauabwicklung. Dabei muss er gleichzeitig unterschiedliche Rollen wahrnehmen: als Ideengeber, Moderator und Berater, aber auch als Hauptverantwortlicher für den Planungs- und Bauprozess.
Wie geht man mit den Konflikten am besten um?
Konflikte erweitern immer das Spektrum der eigenen Verhandlungskompetenz. Das hört sich unlogisch an, doch jeder Konflikt ist auch als ein persönlicher Lernprozess zu verstehen. Er ist darüber hinaus für Veränderungsprozesse immer ein wichtiger Motor. Um einen Konflikt als Chance nutzen zu können, muss man zuerst die notwendige Distanz zum Sachverhalt herstellen und sich einen Überblick verschaffen, welche Bausteine zu dem Problem beigetragen haben. Das erleichtert das Finden von Lösungsmöglichkeiten. Eh wir uns versehen, verlieren wir in solchen Momenten den notwendigen Abstand und ärgern uns über den Vorfall. Menschlich gesehen ist dies allzu verständlich, aber in einer Verhandlung wenig hilfreich. Denn wenn wir uns ärgern, sind wir meist nicht mehr in der Lage, klar zu denken und zu analysieren. Also, schaffen Sie sich Zeit zum Überlegen und Abwägen und bitten Sie um eine kurze Verhandlungspause.
Was kann man bei einem Konflikt mit einem nicht einsichtigen Bauherrn unternehmen?
Entschließt sich zum Beispiel ein Ehepaar dazu, ein Einfamilienhaus bauen zu lassen, dann sind daran viele Wünsche und Hoffnungen geknüpft. Stellen Sie sich das Haus als eine Art „zweite Haut“ vor, als etwas sehr Persönliches. Viele Wünsche, Erwartungen, aber auch Vorgaben der Bauherren stehen unausgesprochen im Raum. Durch eine geschickte Fragestellung erfährt man mehr über die konkreten Bedürfnisse. Die klassischen W-Fragen – wer, was, wann, wie, warum – helfen, notwendige Informationen zu bekommen. Neben der eigenen Sichtweise ist gerade die des Bauherrn Dreh- und Angelpunkt. Je früher man einen Perspektivenwechsel vornimmt, umso besser lassen sich mögliche Konflikte erkennen. Im Dialog können dann unterschiedliche Lösungsansätze gemeinsam entwickelt werden: Hören Sie hier Ihrem Gegenüber bewusst zu und geben Sie ihm durch gezieltes Nachfragen ein Feedback, dass Sie seine Bedürfnisse wahrgenommen und verstanden haben.
Kann man sich nicht einfach auf sein Bauchgefühl verlassen?
Unsere Intuition basiert auf unserer beruflichen wie privaten Erfahrung, auf einer reflektierten Menschenkenntnis und einer inneren Gewissheit. Wenn man feststellt, dass man eigentlich besser die Finger von einem Projekt lassen sollte, dann sollte man seine Bedenken ernst nehmen und seinem Gegenüber entscheidende Fragen zur Klärung der Probleme stellen. Sind die Lösungen nicht zufriedenstellend, so kann ein klares „Nein“ genau das Richtige sein.
Was sollte man tun, wenn ein Konflikt zu eskalieren droht?
Der erste Schritt ist immer das Wahrnehmen von Konflikten. Überlegen Sie, wer der richtige Ansprechpartner sein könnte und wie Sie Ihre Argumente und Vorschläge begründen. Wenn Aussage gegen Aussage steht, sollte man sich immer fragen, welche Ziele vorrangig verfolgt werden. Bei genauerer Betrachtung stellt sich oft heraus, dass es, trotz aller Unterschiede, auch gemeinsame Interessen gibt. Die Frage nach der Zukunft legt in der Regel nahe, nach Lösungen zu suchen, die statt des Trennenden das Gemeinsame fokussieren. Verhalten Sie sich also immer ergebnis- und weniger problemorientiert! Sie können auch über eine Mediation konstruktive Lösungen finden. Die Bayerische Architektenkammer etwa bildet Mediatoren im Planungs-, Bau- und Umweltbereich aus. Eine Alternative wäre die Anrufung des Schlichtungsausschusses über die jeweilige Architektenkammer. Bei großen Bauaufträgen wird auch die Schiedsgerichtsbarkeit als weitere Methode der alternativen Konfliktregulierung gewählt.
Beate Zarges ist Referentin für Öffentlichkeitsarbeit in der Bayerischen Architektenkammer.
Fallbeispiel: Eingreifen, bevor es zu spät ist
Ein Bauherr entscheidet sich bei der Auftragsvergabe für den erstrangigen Bieter: ein Unterangebot. Zudem stellt sich später heraus, dass der Anbieter für seine mangelnde Ausführung bekannt ist. Obwohl der Architekt dem Bauherrn abrät, kommt der „Dumping-Anbieter“ zum Zug. Alle Befürchtungen treten ein: Bereits die erste Teilfertigstellung kann nicht fristgemäß eingehalten werden, gravierende Mängel zeichnen sich ab. Der Konflikt zwischen Auftragnehmer, Architekt und Bauherr erreicht seinen Höhepunkt, als das Unternehmen die Vertragsleistungen nicht erbringen kann. Die gerichtliche Auseinandersetzung folgt. Was hätte man tun können? Das frühzeitige Erkennen eines Konflikts ist hier das A und O. Nur wenn der Architekt früh deutlich macht, welche Konsequenzen die Entscheidung für diesen Bieter mit sich bringt, haben Lösungsansätze eine realistische Chance. Zwei wesentliche Punkte gibt es hierbei zu berücksichtigen. Erstens: Der Fall wird zur Chefsache. Das heißt, wenn der Bauherr durch verschiedene Ansprechpartner vertreten wird, muss mit dem ranghöchsten Auftraggeber kommuniziert werden. Zweitens: Alle Konsequenzen (wie Mahnverfahren oder Neubeauftragung von Ersatzfirmen) sollten mit dem Bauherrn besprochen werden. Dabei muss deutlich gemacht werden, dass der Architekt zwar für die Objektüberwachung verantwortlich ist, der Bauherr jedoch eine Mitverantwortung für die Realisierung des Bauvorhabens zu tragen hat. In diesem Fall sind Zeitverzug, Kostenüberschreitung und Qualitätseinbußen unvermeidbar.
Checkliste zur Konfliktregelung
1. Konflikt benennen und gemeinsam formulieren
2. Lösungsvorschläge der Parteien sammeln
3. Lösungsmöglichkeiten anhand von nachprüfbaren Kriterien bewerten
4. Entscheidung treffen, welche Lösungen sich realisieren lassen
5. Art und Zeitpunkt der Realisierung vereinbaren
6. Umsetzung überprüfen
Buchtipp
Roger Fisher, William Ury, Bruce Patton:
Das Harvard-Konzept
Ein Klassiker, der die Methode des sachbezogenen Verhandelns verständlich analysiert und erläutert.
Fragen zu Fairness, Taktiken, Macht und zum Umgang mit Menschen werden in dem Kapitel „Leserfragen“ praxisnah dargestellt und professionell beantwortet.
268 Seiten, 24,90 Euro, Campus Verlag