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„Nicht gründlich genug geplant“

Als Baurat und Staatssekretär hat Engelbert Lütke Daldrup öffentliche Großprojekte verantwortet. Er kennt und nennt viele Gründe für steigende Kosten und die Sprengung von Zeitplänen.

30.04.20139 Min. Kommentar schreiben
Prof. Engelbert Lütke Daldrup war 1995 bis 2006 Stadtbaurat von Leipzig und dann bis 2009 Staatssekretär im Bundesverkehrs- und Bauministerium. Seit März 2013 ist er Geschäftsführer der Internationalen Bauausstellung Thüringen. Foto: Heinrich-Böll-Stiftung

Interview: Roland Stimpel

Welches war das schwierigste Projekt, das Sie für einen öffentlichen Bauherrn verantwortet haben?

Ich war bis 2010 im Aufsichtsrat der Berliner Flughafengesellschaft. Zu dem Thema will ich nichts Näheres sagen; das ist Sache der jetzigen Amtsinhaber. Ein Projekt mit großen Herausforderungen war zuvor das Leipziger Bildermuseum. Es war architektonisch und technisch sehr anspruchsvoll. Da scheiterten zum Beispiel an der Aufhängung der 30 Meter hohen Glasfassade an Kragarmen zwei Stahlbaufirmen und wurden insolvent. Damit kam der ganze Bauablauf durcheinander. Hinzu kam Streit zwischen Beteiligten am Bau, die sehr unterschiedliche Ansprüche hatten. Es war alles dabei, was ein Projekt schwierig macht.

Sozusagen die Leipziger Elbphilharmonie?

Mit einem Jahr Bauverzögerung und 25 Prozent Kostenüberschreitung sind wir vergleichsweise gut weggekommen.

Wenn Projekte teurer werden, länger dauern und organisatorisch aus dem Ruder laufen: Wo liegen die wichtigsten Gründe?

Da gibt es ein ganzes Bündel. Zunächst ist es der Zeitdruck, unter den Bauherren die Planer setzen. Öffentliche Projekte müssen vor einer Wahl begonnen und möglichst vor der nächsten vollendet werden. Privaten Bauherren sitzen die Finanzierungskosten im Nacken. Beides führt oft dazu, dass das Projekt nicht vor Baubeginn ausreichend gründlich geplant und manchmal auch nicht ausreichend öffentlich vermittelt wird. Daraus folgen oft Umplanungen während des Baus, zu Verzögerungen und höheren Kosten. Es empfiehlt sich stets, bei öffentlichen Projekten einen zeitlichen Sicherheitspuffer einzubauen. Dann gerät man nicht gleich bei der ersten Verzögerung in der Öffentlichkeit in die Defensive.

Vor Baubeginn perfekt planen – geht das überhaupt bei Großprojekten?

Bei Standardprojekten geht es – zum Beispiel bei Schulen oder normalen Verwaltungsgebäuden. Hier gibt es viele Erfahrungen und die Risiken sind überschaubar, wenn man nicht eine exzeptionelle Architektur versucht. Bei komplexen, langwierigen Projekten geht es oft nicht. Hier kann man Bauherren auch nur bedingt einen Vorwurf machen, wenn sie während der Bauzeit neue Anforderungen anmelden. In unserer dynamischen, globalisierten Welt ändern sich nun einmal viele Dinge rascher, als so ein Bau voranschreitet. Nehmen Sie nur die Flughäfen. Dort sind jetzt durch EU-Regeln größere Flächen für die Sicherheitskontrolle nötig. Da sind Ladenmieten zu einer der wichtigsten Einnahmequellen für die Flughafengesellschaften geworden – man mag davon halten, was man will. Oder da gibt es Großraumflugzeuge, die Fluggastbrücken und Abfertigungshallen in ganz neuen Dimensionen erfordern. Wenn jemand einen Flughafen geplant hat, das alles ignoriert und ihn Jahre später nach dem ursprünglichen Konzept fertigstellt, dann blamiert er sich furchtbar mit einem derart veralteten Bau.

Sind manche Projekte selbst dann zu komplex zum Bewältigen, wenn die Pläne stabil bleiben?

Weniger komplex ist manches nicht zu haben, oder nur in schlechterer Qualität. Man kann aber auch sehr komplexe Projekte bewältigen, wenn man die adäquate Organisation hat – am besten geführt von erfahrenen Leuten, die schon genau solche Projekte realisiert haben und wie die Ingenieure von Anlagenbauern von Baustelle zu Baustelle ziehen. Gefährlich wird es, wenn eine Organisation, die allenfalls mit Routine-Bauaufgaben vertraut ist, plötzlich ein Großvorhaben ganz neuer Dimension bewältigen soll. Wer ein großes Ding nur einmal im Leben macht, ist immer an der Grenze zur Überforderung.

Sie reden vom Berliner Flughafen?

Kein Kommentar.

Kommen wir zum leidigen Kostenthema. Politiker, so der heute gängige Vorwurf, reden anfangs immer die Kosten herunter, um ein Projekt durchzubekommen.

Bei teuren Großprojekten ist diese Versuchung groß. Allerdings ist dies bei alltäglichen Bauaufgaben nach meiner Beobachtung nur selten der Fall. Das kann sich ein Stadtbaurat auch gar nicht leisten, weil er sonst sehr schnell seinen Ruf verspielt.

Die Kosten steigen aber oft auch dann, wenn sie nachvollziehbar realistisch ­gerechnet sind.

Das gilt nicht nur bei öffentlichen Projekten, aber hier fällt es natürlich am stärksten auf. Je länger ein Projekt geplant und gebaut wird, desto größer ist natürlich das Risiko steigender Preise für Bauleistungen und Material. Unterliegt ein Projekt dem öffentlichen Haushaltsrecht, dann muss es zu den aktuellen Kosten kalkuliert werden. Selbst wenn man steigende Baukosten voraussieht, darf man sie aufgrund des Haushaltsrechts nicht einberechnen. Da geht man sehenden Auges in die Kosten­überschreitung hinein. Hinzu kommen die stets bestehenden Risiken: Zeitverzögerungen durch Vergabeklagen, Insolvenzen von Firmen, ­Umplanungen und Umbauten durch geänderten Bedarf oder durch neue Vorschriften und Normen.

Kostenanstieg ist ein Naturgesetz, dem man schlicht und einfach ausgesetzt ist?

Kompetente und ausreichend gründliche Planung vermeidet einen Teil der Risiken. Und wenn ein Projekt nicht den Zwängen des Haushaltsrechts unterliegt, auch nicht bei der Personalbewirtschaftung, dann hat man mehr Freiheit, die richtigen Leute an den richtigen Ort zu setzen und sie auch mal besser zu bezahlen.

Bleiben die vielen Unwägbarkeiten.

Für sie muss man von vornherein einen Risikopuffer einbauen. Das mag kurzfristig die Akzeptanz erschweren. Auf Dauer stärkt es sie.

In Einzelfällen werden auch mal Kosten unterschritten, etwa beim Neuen Museum in Berlin.

David Chipperfield kalkulierte eher großzügig. Beim Neuen Museum stellte sich heraus, dass durch Vorarbeiten zur DDR-Zeit die Gründungsarbeiten nicht so aufwendig waren. Das ist natürlich kein Universalrezept für Architekten. In Leipzig ist die Sanierung des Grassimuseums nach einem Entwurf von Chipperfield nicht zustande gekommen, weil er doppelt so teuer war wie eine bescheidenere Lösung, die später dann auch realisiert wurde. Aber diese offensive Kalkulation der Kosten schützt auch nicht immer. Bei Chipperfields aktuellem Projekt auf der Museumsinsel ist der Baugrund so tückisch, dass es deutlich mehr kosten wird als geplant.

Könnten flexiblere, weniger bürokratische Vergabeverfahren helfen? Über sie klagen ja nicht nur Architekten.

Heute ist das Vergaberecht vollständig dem Transparenzgebot untergeordnet und hier ein Stück übers Ziel hinausgeschossen. Man muss den nach Papierform wirtschaftlichsten Bieter nehmen, auch wenn bei ihm die Qualität nicht garantiert ist und deutlich bessere Firmen nur wenige Euro teurer angeboten haben. Und man darf einmal eingereichte Angebote in der Regel nicht nachverhandeln. Das führt immer wieder zu Qualitätsmängeln, Zeitverzögerungen und Nachtragsforderungen. Und mit Vergabeklagen wird auch viel Missbrauch getrieben. Da klagen sich Firmen in Arbeitsgemeinschaften ein oder behindern bewusst die Bauherren. Bei aller Notwendigkeit von Transparenz und korrekter Vergabe wäre es gut, wenn Vergaben etwas praxisnäher gehandhabt werden könnten. Die Juristen haben heute oft mehr Einfluss als die erfahrenen Bauleute. Das ist eine Fehlentwicklung!

Selbst die Auslober fühlen sich manchmal überfordert.

Nicht nur vom Vergaberecht. Viele kommunale Bauherren haben zwei Probleme: Erstens die verstärkte Bürokratisierung des Bauens – nicht nur im Vergaberecht. Zweitens haben sie immer weniger und zudem immer weniger qualifiziertes Personal. Ich meine, jedes Bauamt muss in der Lage sein, ab und zu ein Projekt selbst zu realisieren und es von A bis Z durchzustehen. Das passiert heutzutage viel zu selten. In Leipzig haben wir mit eigenen Kräften eine Schwimmhalle und eine Feuerwehrstation gebaut; das war aber schon die Ausnahme. Wer eigene Bauerfahrung hat, ist bei nach draußen vergebenen Projekten ein viel qualifizierterer Gesprächspartner für externe Planungsbüros und Baupartner.

Und wenn sie es nicht selbst machen, sondern sich ihrerseits die Kompetenz von Planern kaufen?

Sie müssen es schon selbst machen. Und dazu muss es auch das fachkundige Personal geben. Eine zu dünne Personaldecke und zu wenig Qualifikationen kosten den Steuerzahler letztlich viel mehr, als an Gehältern gespart wird. Es gibt da für den Bund sehr klare Rechnungshofberichte. Die empfehle ich allen zur Lektüre, die die öffentlichen Bauverwaltungen abschaffen wollen.

Was können Architekten für bessere Projektabläufe tun?

Nicht alle entwurfsstarken Büros sind auch in der Umsetzung gut. Wenn der Kompetenzschwerpunkt in den ersten Leistungsphasen liegt, sollten sie sich besser Partner für die Bauphase suchen – wobei sie natürlich die künstlerische Oberleitung behalten können und so gewährleisten, dass nicht alle möglichen Details verschlimmbessert werden. Es gibt da erfolgreiche Praxisbeispiele von souveränen Architekten, etwa von Stephan Braunfels, der bei seinen Bundestagsbauten die Phasen bis 4 geleistet und für die weiteren mit GMP kooperiert hat.

Von der Idee des architektonischen Gesamtwerks aus einer Hand halten Sie nichts?

Doch, es gibt Büros, die das leisten können und auch auf beiden Feldern leisten wollen. Bei anderen halte ich aber Realismus für klüger als das Inkaufnehmen des Risikos, dass ein Projekt aus dem Ruder läuft.

Auf Architekten wird bei nicht nur bei den bekannten Großprojekten eingeprügelt.

Ja, sie sollen es nachher alles ausbaden. Es ist und bleibt aber Aufgabe des Bauherrn, genügend Zeit für die Planung einzuräumen und die Gründe für Kostensteigerungen ehrlich zu kommunizieren. Sie sollten auch von Anfang an klare Regeln für Streitfälle am Bau etablieren, für das sogenannte Claims Management. Bauprozesse sind ja heute oft extrem verrechtlicht, und Anwälte spielen eine so wichtige Rolle wie Architekten. Das Claims Management sollte vor allem so organisiert werden, dass es laufende Projekte nicht behindert und dass für alle Beteiligten nicht der Streit, sondern die fachgerechte Realisierung im Vordergrund steht.

Wie ist es bei öffentlichen Projekten um die Kompetenz der Politik bestellt? Sie selbst ­haben zum Beispiel Raumplanung studiert. Wie ist man Ingenieuren, Ökonomen und Juristen gewachsen?

Natürlich braucht es kompetente, bestens ausgebildete Planer in den Ämtern. Auch der Stadtbaurat sollte vom Fach sein. Minister und Staatssekretäre in Bund und Ländern müssen das nicht sein. Beim Bund war die erforder­liche Kompetenz in der Abteilung Bauwesen des Ministeriums und im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung gebündelt. Vor allem muss man die Prozesse in der Hand behalten. Als es beim Leipziger Bildermuseum schwierig wurde, habe ich alle 14 Tage eine Projekt­besprechung anberaumt. Es hilft sehr, wenn alle wissen: Bis dahin muss geliefert werden – und es sitzt ein bausachverständiger Stadt­baurat am Tisch.

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