Von Roland Stimpel
Er ist einsatzfreudig, urban und mittelalt; er beschäftigt sich eher mit Bestandsbauten als mit Neubau, und er ist eher ein Er als eine Sie: Deutschlands rechnerischer Durchschnitts-Architekt. Die Kunstfigur ist aus amtlichen Erhebungen, Umfragen und Kammerstatistiken gebildet. Niemand wird sich in ihr eins zu eins wiederfinden. Aber die Zahlen geben Aufschluss über Lage und Entwicklung des Berufsstands – seine wirtschaftliche Lage, seine Altersentwicklung und seine Karrierewege. Ein wichtiges Ergebnis: In den letzten Jahren ist die Zahl der Architekten ebenso gestiegen wie bei vielen das Einkommen. Auch wenn bei Honoraren, Gehältern und Beschäftigung noch manches im Argen liegt, hat der Berufsstand sein Gewicht gestärkt und viele neue Mitglieder gut integriert.
Architekten arbeiten viel. 2009 stellte das Statistische Bundesamt fest, dass 38 Prozent von ihnen mehr als 45 Stunden pro Woche tätig sind. Fast ebenso viele arbeiten rund 40 Stunden; weitere neun Prozent zwischen 35 und 40 Stunden. Teilzeitjobs mit bis zu 31 Wochenstunden üben nur 16 Prozent aller Architekten und Planer aus. Steigende Verdienste Fleiß und Qualität werden inzwischen etwas gerechter honoriert. Vom Frühjahr 2006 bis zum Herbst 2010, dem bisher letzten erfassten Zeitraum, stiegen die vom Statistischen Bundesamt erfassten Preise für „Architekturdienstleistungen“ um fast 21 Prozent, die Verbraucherpreise dagegen nur um 8 Prozent. Den Anstieg der Architektur-Preise erklärt knapp zur Hälfte die HOAI-Novelle von 2009. Bei ihr wurden die Tafelwerte um zehn Prozent angehoben– nach dreizehn Jahren Stillstand. Doch ebenso stark wirkte der Markt: Der von ihm erzeugte Preisanstieg ist gleich hoch wie der durch die HOAI. Er ist aber nicht nach dreizehn, sondern binnen fünf Jahren erfolgt. Allerdings kann es in schlechten Zeiten ebenso abwärts gehen – hier dient dann die HOAI der Stabilisierung.
Nach einer Online-Befragung der Bundesarchitektenkammer (BAK) vom Juli 2011, durchgeführt von der Heinze GmbH, erwirtschaftet fast ein Viertel der Büros Jahresumsätze über 200.000 Euro. Die meisten Büros erzielen zwischen 50.000 und 200.000 Euro, jedes siebente Büro – wohl meist Ein-Mann- oder Eine-Frau-Firmen – weniger als 50.000. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Architekten beurteilt eine knappe Mehrheit der Befragten als gut oder befriedigend. Überraschend dabei: Inhaber kleiner Büros beurteilen die Bedingungen etwas häufiger freundlich als die von mittleren und großen Büros. Weniger überraschend: Im Osten ist der Anteil der Unzufriedenen besonders groß. Mehr als ein Drittel findet die Rahmenbedingungen schlecht oder extrem schlecht.
Hohe Solidität
Dank der insgesamt ordentlichen Lage gibt es wenige Pleiten. 123 Insolvenzen von Architektur- und Planungsbüros wurden im Jahr 2010 registriert – eine für Baubranchen minimale Pleitenquote von 0,25 Prozent aller Büros. Der niedrige Wert erklärt sich aber auch dadurch, dass unterbeschäftigte oder unterbezahlte Architekturbüros oft nicht durch Insolvenz enden, sondern ihre Tätigkeit einfach einstellen. Übrigens verzeichneten Ingenieurbüros mit ihren höheren Personalkosten im vorigen Jahr 589 Insolvenzen, fast fünfmal mehr als die Architekten und Planer. Auch die Arbeitslosenquote unter Architekten ist niedriger als im Durchschnitt des Arbeitsmarkts. Genau 3.101 waren am Jahresanfang als beschäftigungslos eingestuft. Die Zahl war zuvor im guten Konjunkturjahr 2010 um ein Sechstel gesunken. Den traurigen Arbeitslosenrekord hält Berlin, wo im vergangenen Winter zeitweise jeder zehnte Architekt
unbeschäftigt war.
Durchwachsene Gehälter
Angestellte in Architektur- und Planungsbüros hatten 2009 im Schnitt ein jährliches Bruttogehalt von 48.000 Euro. Das ergab die jüngste Umfrage der Architektenkammern von Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen bei 6.114 angestellten Mitgliedern. Beim Staat waren es im Durchschnitt 17 Prozent und in der gewerblichen Wirtschaft sogar 33 Prozent mehr. Dort hat fast die Hälfte der Architekten ein Brutto-Jahresgehalt über 60.000 Euro. Von den Angestellten arbeitet genau die Hälfte in Architektur- und Planungsbüros; 23 Prozent sind in anderen Unternehmen tätig und 27 Prozent beim Staat. In der Wirtschaft und vor allem beim Staat werden ein 13. Monatsgehalt, Weihnachtsgeld und vermögenswirksame Leistungen weit häufiger gezahlt als in Büros. Das Gleiche gilt für Erfolgsprämien. Diese erhält jeder dritte in der geldorientierten Wirtschaft angestellte Architekt, jeder fünfte beim Staat und nur jeder achte in einem Architektur- oder Planungsbüro. Überall hängt das Einkommen stark von der Erfahrung ab. Angestellte im Architekturbüro mit mehr als 20 Jahren Berufstätigkeit erhalten 18.000 Euro mehr als Kollegen mit weniger als zehn Jahren Erfahrung. In der Wirtschaft beträgt diese Spanne sogar 28.000 Euro, im öffentlichen Dienst 16.000 Euro. Für Büros wie für andere Branchen gilt: Je größer das Unternehmen, desto höher das Gehalt. Architektur- und Planungsbüros mit mindestens 50 Beschäftigten zahlen 13.000 Euro mehr als solche mit höchstens vier Beschäftigten. In Unternehmen beträgt der Vorsprung in Groß-Abteilungen sogar 22.000 Euro.
Städtisches Umfeld
Architekten arbeiten aus naheliegenden Gründen mit Vorliebe in Städten und in wohlhabenden Regionen. In Hamburg, Baden-Württemberg und Berlin kommen auf tausend Einwohner mehr als zwei Architekten und Planer. In den ostdeutschen Ländern und Schleswig-Holstein kommt auf tausend nicht einmal einer. Und die Verstädterung geht weiter: Die prozentual größten Zuwächse der Architektenschaft gab es 2010 in den Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin. In Thüringen und Sachsen-Anhalt schrumpfte sie dagegen. Im Saarland und Schleswig-Holstein, aber auch im teils kriselnden Nordrhein-Westfalen stagnierte die Mitgliederzahl.
Begehrter Beruf
Insgesamt werden die Architekten und Planer immer mehr: 1992 gab es bundesweit knapp 89.000; seitdem ist die Zahl stetig angestiegen. Anfang 2011 gab es genau 124.612 Kammermitglieder in Deutschland, ein gutes Drittel mehr als vor zwanzig Jahren. Davon sind über 101.000 Hochbauarchitekten. Landschafts- und Innenarchitekten sowie Stadtplaner stellen mit 4.000 bis 6.600 drei Gruppen von ähnlicher Größe. Jeder Sechste, der den Architektentitel führt, ist heute im Ruhestand oder aus anderen Gründen nicht berufstätig. Die vom Statistischen Bundesamt ermittelte Zahl der tatsächlich erwerbstätigen Architekten und Raumplaner hängt stark von der Konjunktur ab: Im Bauboom der 1990er-
Jahre wuchs sie; in den beiden Wirtschaftskrisen zwischen 2001 und 2009 sank sie jeweils – um sich in jedem Aufschwung zu erholen.
Reife Büros – junge Beschäftigte
Von den heute am Markt aktiven Büros wurden nach der jüngsten Onlinebefragung der BAK 35 Prozent im Boom der 1990er-Jahre gegründet. Im Stagnations-Jahrzehnt von 2000 bis 2009 waren es dann nicht einmal halb so viele. Der Mangel an jungen Büros ist eklatant: Heute sind am Markt mehr Büros aktiv, die in den 1980er-Jahren gegründet wurden, als Büros mit Start in diesem Jahrtausend. Immerhin jedes zwölfte Büro besteht mindestens seit 1970, also seit über 40 Jahren. Fünf von sechs Büros werden heute noch vom Gründer geführt. Stärkste Altersgruppe sind allerdings nicht die Gereiften, sondern die 35- bis 55-jährigen. Sie stellen mehr als 60 Prozent des Berufsstands. Und es gibt deutlich mehr Jüngere unter 35 als Ältere ab 55. Erst in etwa zehn Jahren werden so viele Architekten auf einmal in Rente gehen, dass die Gesamtzahl spürbar abnimmt – zugunsten der dann Jüngeren, die weniger Konkurrenz haben. Dagegen sind die Objekte der Arbeit schon jetzt deutlich älter geworden: Das Gewicht der Aufträge verschiebt sich immer weiter weg vom Neubau zur Erweiterung, Modernisierung und Sanierung von Gebäuden. Sie machen 56 Prozent aller Planungen aus, in Ostdeutschland inklusive Berlin sogar 59 Prozent.
Wahre Geschlechterklischees
Deutschlands aktive Architekten und Planer sind zu 72 Prozent männlich. Die Gründe haben wir in Heft 7-8/2011 erörtert. Allerdings ist ihre Dominanz nicht überall gleich. Am stärksten ist sie mit 91 Prozent bei den gewerblich tätigen Architekten und Stadtplanern; es folgen mit 83 Prozent die Beamten. Männer suchen offenbar eher die Extreme: entweder die Unternehmeraufgabe mit den größten Chancen und Risiken oder den sicheren Dauerjob bei Übervater Staat. Neben diesen Männerklischees bestätigt sich auch eins über Frauen: Ihre einzige leichte Mehrheit von 52 Prozent findet sich bei den Innenarchitekten.