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Reden hilft

In einem Pilotprojekt der Bayerische Architektenkammer nahm eine Gruppe Architekten an einer Supervision teil. Ein Rückblick mit Ausblick

01.10.20119 Min. Kommentar schreiben

Von Cornelia Dörries

Es ist ein verregneter Freitagabend in München, das gewitterschwere Wetter macht müde, und wer kann, sitzt längst zu Hause und hofft auf ein schönes Wochenende. Doch in den Räumen der Bayerischen Architektenkammer geht jetzt, kurz nach 19 Uhr, das Licht wieder an. Fünf Leute schälen sich aus ihren Regenjacken und begrüßen sich herzlich, bevor sie auf den zum Kreis aufgestellten Stühlen im Besprechungsraum Platz nehmen. Sie sind Teilnehmer einer Supervision für Architekten. Super-was? Das hatte sich auch Martin* gefragt, als er im vergangenen Jahr im bayerischen Regionalteil des Deutschen Architektenblatts auf ein Inserat der Kammer stieß, mit dem Interessenten für eine kostenlose Supervision gesucht wurden. Der junge Architekt, der sich nach seiner Rückkehr aus dem Ausland gerade in einer Phase der beruflichen Neuorientierung befand und auf der Suche nach einer neuen Stelle war, meldete sich an.

Ein bisschen Management und Büroorganisation, so dachte er, könnten ja nicht schaden. Doch dann fand er sich in einem Stuhlkreis mit fünf anderen Architekten wieder und sollte von sich selbst erzählen. Denn Supervision hat nichts mit Büroorganisation zu tun, sondern ist eine Form der professionellen Beratung, bei der Einzelpersonen oder Gruppen unter Anleitung gemeinsam über ihr Verhältnis zu Kollegen, Kunden, Vorgesetzten und sich selbst nachdenken, Probleme artikulieren und neue Perspektiven auf die berufliche Praxis zu entwickeln versuchen. Das ist ein übliches Verfahren für Psychotherapeuten, Ärzte oder Sozialarbeiter – also Berufsgruppen, die im Arbeitsalltag oft mit an die eigene Substanz gehenden Konflikten zu tun haben und sich, salopp gesprochen, in regelmäßigen Abständen wieder einnorden müssen, um ihre Arbeit weiterhin gut und gründlich zu machen. Doch für Architekten?

Da lacht der Initiator: Der Architekt Erwien Wachter aus München hatte die Idee für das Pilotprojekt der Bayerischen Architektenkammer und fühlt sich vom Erfolg des Probelaufs bestätigt. Er hält Supervision für eine geeignete Methode zur Bewältigung von beruflichen Krisen und Problemen mit Kollegen und Bauherren. Foto: BYAK

„Es geht um die Eröffnung neuer Perspektiven“

Der Münchner Architekt Erwien Wachter hatte schon eine ganze Weile über die Einrichtung einer Anlaufstelle nachgedacht, die Kollegen in Problemlagen mit Rat und Unterstützung  weiterhilft. Als Ombudsmann der Bayerischen Architektenkammer in München hatte Wachter über viele Jahre immer wieder mit Kollegen zu tun, die mit ihren Anforderungen und Belastungen nicht mehr so gut zurechtkamen. Durch seine Mitarbeit im Kammer-Arbeitskreis „Zukunft im Beruf“ waren ihm zudem die Nöte vor allem junger, oft schlecht bezahlter oder beschäftigungsloser Architekten vertraut. „Seit der Einrichtung der Ombudsstelle im Jahr 2005 habe ich sicher 700 Gespräche geführt“, erzählt Wachter. „Da ging es nicht nur um die Schwierigkeiten, einen Auftrag zu bekommen, sondern oft auch um das professionelle Selbstverständnis und die Unmöglichkeit, den vielen Ansprüchen gerecht zu werden, die der Generalisten-Beruf des Architekten mit sich bringt.“ Als Erwien Wachter von den Zielen und Methoden der Supervision hörte, war ihm klar: Das ist es. „Da geht es um die Entdeckung und Aktivierung von Potenzialen und Begabungen, die Eröffnung neuer Perspektiven.“ Er wollte ausprobieren, ob diese Form der Beratung auch Architekten weiterhilft und zu einem festen Bestandteil des Angebots der Kammer werden könnte.

Mit Professor Andreas Bergknapp vom Augsburger Institut für Coaching und Organisationsberatung (ICO) fand er einen erfahrenen Supervisor, der sich auf das vom Kammervorstand abgesegnete Experiment einließ. Es begann im Herbst 2010 mit einer Handvoll bayerischer Architekten, die sich auf die Anzeige im Architektenblatt gemeldet hatten und bereit waren, in vier über einen längeren Zeitraum verteilten Sitzungen offen über eigene Konflikte, Sorgen und Wünsche im Beruf zu reden, einander zuzuhören und sich auf die Probleme anderer einzulassen. Zur ersten Sitzung kamen außer Martin, von dem bereits die Rede war, Wiebke und Justus, die verheiratet sind und gemeinsam ein Architekturbüro betreiben, außerdem der in einer großen Planungsfirma angestellte Gunter und die Einzelkämpferin
Undine – Architektinnen und Architekten zwischen 30 und 50 mit Berufserfahrung und dem Wunsch, sich über das Gespräch in der Mittagspause hinaus mit Kollegen austauschen zu können.

Die Angst vor dem Anwaltsbrief kennen alle

Die Sorgen, von denen Wiebke gleich zu Beginn erzählte, waren für die anderen nichts Neues. Sie hatte Ärger mit einem Bauherrn. Nachdem beim Bau seines Einfamilienhauses unerwartet ein Erdhang abgerutscht war, gab es viel Aufregung. Das anfangs gute Verhältnis zwischen Architektin und Bauherr schlug um, dann traten die Anwälte auf den Plan. Wiebke machte sich Vorwürfe, grübelte endlos über mögliche eigene Fehler und fühlte sich ihren immer ätzender werdenden Selbstzweifeln und den juristischen Nachstellungen des Bauherrn schließlich hilflos ausgeliefert. Sie dachte sogar darüber nach, den geliebten Beruf an den Nagel zu hängen.

In dieser Lage befand sie sich noch vor weniger als einem Jahr. Und heute? Wiebke sitzt an diesem Sommerabend zufrieden auf ihrem Stuhl und resümiert das Geschehene. Die Gruppe, sagt sie, hat ihr dabei geholfen, das Problem aus Blickwinkeln zu betrachten, die sie allein nie gefunden hätte. Natürlich konnte keiner der Teilnehmer ihr Problem mit dem Hangrutsch und den Anwälten lösen. Aber sie hat durch die Gespräche einen anderen, konstruktiveren Umgang damit gefunden und weiß, dass so etwas jederzeit wieder passieren kann und sie keine Angst mehr davor haben muss. Ans Aufhören denkt sie jedenfalls nicht mehr. Ihr Mann Justus findet es allerdings immer noch schwierig, morgens zum Briefkasten zu gehen. „Wenn da wieder Post von einem Anwalt drin liegt, ist bei mir der ganze Tag gelaufen.“ Doch auch ihm hat die Supervision geholfen, Abstand zu entwickeln. „Die Erkenntnis, dass es letztlich allen Architekten so geht, war für mich genauso wichtig wie die Erfahrung, dass es gut tut, wenn man das alles mal aussprechen kann.“ Und schon die Erinnerung an das Wohlwollen und die Offenheit, die er in diesem kleinen Kreis erfahren hat, verschaffen ihm in schwierigen Situationen Erleichterung.

Ermutigende Erfahrung

Martin, der eigentlich einen Management-Kurs besuchen wollte, hat inzwischen eine neue Stelle gefunden. Auch wenn er anfangs skeptisch war, hat er die Supervision durchgezogen. Er ist seit ein paar Monaten Projektleiter bei einem großen Bauvorhaben und froh über die neue Herausforderung. Er macht seine Arbeit gern. Eigentlich. Doch auch ihn zermürben der hohe Zeitdruck, die mangelnde Kommunikation innerhalb des Büros, die schlechte Koordination der Abläufe und die unsicheren Perspektiven – er ist noch in der Probezeit. Genau am Tag der letzten Supervision kam es im Büro zu einem unerfreulichen Zusammenstoß mit seinem Vorgesetzten, der sich über Martins Langsamkeit beklagte und anstelle der eigentlich fälligen Festanstellung eine Verlängerung der Probezeit androhte. Martin wirkt etwas mitgenommen, als er den anderen Teilnehmern davon berichtet. Eine rege Diskussion kommt in Gang; die Gruppe reflektiert den Vorfall, fragt nach und analysiert.

Der Supervisor: Andreas Bergknapp vom Augsburger Institut für Coaching und Organisationsberatung (ICO). Der erfahrene Supervisor hatte zum ersten Mal mit Architekten zu tun und war erfreut über die Offenheit und das große Vertrauen in der Runde. Foto: IOC

Wüsste man es nicht besser, würde man auch Andreas Bergknapp für einen Teilnehmer halten. Der Supervisor mit langjähriger Erfahrung in der Beratung von Gruppen, Unternehmen und Organisationen hält sich im Hintergrund, gibt nur gelegentlich einen Aspekt zu bedenken und greift nie mit allwissender Geste in das Gespräch ein. Er führt die Gruppe auf unmerkliche Weise, stellt hier und da eine Frage und ermuntert die Teilnehmer auf angenehm zurückhaltende Art. Manche Probleme, insbesondere Konfliktsituationen auf der Baustelle oder im Büro, lässt er in einer sogenannten Aufstellung nachvollziehen. Dabei wird der jeweils diskutierte Fall von den Teilnehmern der Gruppe nachgestellt, die danach über ihre Einsichten, Empfindungen und Bewertungen der Situation diskutieren.

Für Bergknapp besteht kein großer Unterschied zwischen einer Gruppe von, sagen wir, Schulleitern oder von Architekten – es geht fast immer um Probleme mit der beruflichen Identität, um Auseinandersetzungen mit Auftraggebern, Amtsträgern oder interne Kommunikations- und Verständnisschwierigkeiten. Der studierte Volkswirt bringt es auf den Punkt: „Das Ziel der Supervision ist die Erweiterung von Handlungsoptionen, das Erarbeiten von neuen Perspektiven.“ Die wichtigste Aufgabe des Supervisors besteht darin, Vertrauen herzustellen und eine Situation zu schaffen, in der die Teilnehmer ohne Scheu von sich erzählen. Einer der Teilnehmer der Runde, Gunter, sagt im Rückblick: „Mich hat überrascht, in welcher Offenheit wir auch über sehr persönliche Probleme gesprochen haben, obwohl wir uns ja eigentlich gar nicht kennen.“ Er hat großes Interesse am Fortbestand der Gruppe und findet die Idee großartig, Supervision zu einem festen Angebot der Kammer zu machen.

Wie Gunter selbst ist auch Erwien Wachter, der Initiator des Projekts, davon überzeugt, dass es einen großen Bedarf an solchen Formen der Beratung und Unterstützung gibt. Undine wäre sicher wieder mit dabei. „Ich habe von jedem Thema profitiert, das wir hier besprochen haben“, sagt sie. „Die Meinungsvielfalt, die unterschiedlichen Blickrichtungen – all das hat mir sehr geholfen, eine neue Sichtweise auf mich und meinen Beruf zu entwickeln. Ich fühle mich ermutigt.“ Wie alle Teilnehmer würde sie sich wünschen, in der mittlerweile vertrauten Konstellation der Gruppe weitermachen zu können. Auch gegen Bezahlung. Wenn es nach den Plänen von Erwien Wachter geht, wird das in der Bayerischen Architektenkammer bald möglich sein. Er hat sich unermüdlich dafür eingesetzt, Supervision in das Beratungsangebot für die Mitglieder aufzunehmen, und fühlt sich nun vom Erfolg des Pilotprojekts bestätigt.

Es ist spät geworden an diesem Freitagabend. Die fünf Architekten verabschieden sich herzlich voneinander und bedanken sich bei Andreas Bergknapp. Zwei Wochen später wird Martin am Telefon berichten, dass er dank des Gesprächs in der Gruppe den Mut fand, seinen Vorgesetzten um eine Klärung der Situation zu bitten und nun wieder mit einem besseren Gefühl zur Arbeit geht. Justus fischte kurz nach der letzten Runde wieder ein Anwaltsschreiben aus dem Briefkasten, und es hat ihn wieder aufgeregt. Doch nur kurz. Er weiß ja nun, wohin er sich wenden kann, wenn es ganz schlimm wird.

* Alle Namen geändert

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