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Scharfes Auge

Die Nachfrage nach engagierten Sachverständigen ist ungebrochen. Für Architekten bietet sich hier die Chance, ihr Leistungsspektrum zu erweitern und ein neues Standbein aufzubauen.

01.05.200910 Min. Kommentar schreiben
Gunhild Reuter (61): „In einem meiner ersten Gutachten konnte ich nur den Abriss des Hauses empfehlen, das war schon ein komisches Gefühl später vor Gericht.“

Fred Wagner

„Ich habe Architektur studiert, weil ich mich für Kunst interessierte und gut in Mathematik war“, sagt Gunhild Reuter. Fast 30 Jahre hat sie danach als freie Architektin gearbeitet. Richtig zufrieden war sie damit aber nie. Erst nachdem sie den Weiterbildungskurs „Der Architekt als Sachverständiger im Bauwesen“ absolviert hatte, hatte sie das Gefühl, ihr Thema gefunden zu haben. Die akribische Arbeit, Fehlern im Bauprozess auf die Schliche zu kommen, hat ihr von Anfang an Spaß gemacht. „Ich hätte wahrscheinlich Kriminalistin werden sollen“, lacht die 61-Jährige, die 2005 von der Architektenkammer Berlin als Sachverständige öffentlich bestellt und vereidigt wurde.

Reuter erstellt Gutachten bei Schäden an Gebäuden für öffentliche und private Auftraggeber. Ihre planerische Tätigkeit ist in den vergangenen Jahren immer mehr in den Hintergrund gerückt. Auch aus wirtschaftlichen Gründen: Als Bausachverständige kann die Berlinerin regelmäßig und wesentlich mehr Geld verdienen.

Besonders in schwierigen Zeiten wie jetzt spielen viele Architekten mit dem Gedanken, zusätzlich als Bau- oder Immobiliensachverständige zu arbeiten. Nach einer aktuellen Umfrage bietet bereits jedes fünfte Architektenbüro entsprechende Dienstleistungen an. Auch weil es keinerlei Beschränkungen gibt: Die Tätigkeit als „Sachverständiger“ ist kein Beruf im üblichen Sinn. Jeder darf sich von heute auf morgen so nennen und mit der Arbeit beginnen – die Bezeichnung „Sachverständiger“ oder „Gutachter“ ist gesetzlich nicht geschützt.

Auch eine Gerichtszulassung für Sachverständige gibt es nicht, wie von Laien oft vermutet. Das bedeutet aber nicht, dass man keinerlei Voraussetzungen besitzen muss, um erfolgreich auf diesem Gebiet zu arbeiten. Neben dem Fachwissen gehören vor allem Kenntnisse im Umgang mit Juristen, Richtern und allen am Bauprozess Beteiligten dazu. Ein Sachverständiger muss ebenso ein hervorragender Techniker sein wie ein guter Beobachter und ein geduldiger Zuhörer.

Gefragt sind Techniker mit Organisationstalent

„Die Zeiten, da man als Autodidakt nebenher hin und wieder ein Gutachten schrieb, sind lange vorbei“, sagt Lothar Neimke, der seit über 20 Jahren Architekten auf dem Weg zum Bausachverständigen begleitet. Neimke ist selbst Architekt und war von 1985 bis 2006 öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für die Fachgebiete „Schäden an Gebäuden“ und „Honorare für Architektenleistungen“. Er ist Autor zahlreicher Bücher und arbeitet als Dozent in der Aus- und Weiterbildung für Sachverständige bei mehreren Architektenkammern und IHKs.

„Lautstarke Künstler, die ihre Entwürfe gerne in den Mittelpunkt rücken, sollten die Sachverständigentätigkeit lieber lassen“, rät Neimke. Gefragt seien Techniker mit Erfahrungen in der Bauleitung. Neimke: „Ein guter Sachverständiger ist in der Regel ein nachdenkender, eher schweigsamer Typ, der zuhört und das Ergebnis seiner Arbeit nur schriftlich von sich gibt.“

Festanstellungen gibt es für Sachverständige nicht. Wie jeder Freiberufler oder Gewerbetreibende lebt er von Aufträgen. Auch für öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige gibt es keine Einkommensgarantie. Man muss bei den Gerichten als zuverlässiger Gutachter bekannt sein, um beauftragt zu werden. Auch können gute Beziehungen zu Anwälten oder Versicherungen sehr hilfreich sein. Abgerechnet wird bei Gerichtsgutachten nach festen Stundensätzen und Honorargruppen. Bei Privataufträgen werden die Honorare frei vereinbart.

Zum aktuellen Bedarf an Sachverständigen möchte Marktkenner Neimke keine konkreten Aussagen treffen. Das sei regional sehr unterschiedlich. „Ich rate dazu, sich einen Überblick über die vorhandenen Sachverständigen in der Region zu verschaffen und herauszufinden, ob vielleicht der eine oder andere in den Ruhestand geht.“ Denn mit 68 Jahren plus einer auf Antrag möglichen Verlängerung um maximal drei Jahre ist die öffentliche Bestellung per Gesetz beendet.

Wer ohne Einschränkungen als Sachverständiger arbeiten möchte, kommt an einer öffentlichen Bestellung nicht vorbei. Neimke: „Bei seriösen Aufträgen von Gerichten, Banken oder anderen öffentlichen Institutionen wird in der Regel immer danach gefragt, ob jemand öffentlich bestellt und vereidigt ist.“

Bis zur öffentlichen Bestellung ist es jedoch ein weiter und anstrengender Weg, der Jahre dauern kann. Am Anfang steht in jedem Fall die Arbeit als freier Sachverständiger auf einem bestimmten Fachgebiet. Ein erster Schritt in diese Richtung ist die Teilnahme an einem Seminar über den „Aufbau und Inhalt eines Gutachtens“. Es wird unter anderem von Architekten- und Handelskammern angeboten, dauert einen Tag und vermittelt das nötige Wissen, um ein Gutachten zu formulieren, das beim Auftraggeber Bestand hat. Neimke: „Wenn ein Sachverständiger das nicht weiß, bekommt er Ärger.“

Jürgen Dieckmann (62): „Ich kann jedem Architekten nur raten, auch als Sachverständiger tätig zu werden.“

Für Jürgen Dieckmann gehört das Schreiben von Gutachten seit über 20 Jahren zum Geschäft. Sein Spezialgebiet sind Schadstoffe im Bauwesen. 2004 wurde er von der Baukammer Berlin für das Sachgebiet „Schadstoffe in Innenräumen und an Gebäuden“ öffentlich bestellt und vereidigt. „Nach so langer Zeit als freier Sachverständiger und sehr vielen Erfahrungen auf diesem Gebiet lag das einfach nahe“, sagt der 62-Jährige. Die Arbeit als Leiter eines Architekturbüros mit durchschnittlich sieben Angestellten hat er nicht aufgegeben.Sein Sachverständigenbüro ist überdurchschnittlich gut ausgestattet und bietet unter anderem eine moderne 3-D-Wärmedurchgangsberechnung an, was viele seiner Kollegen nicht können. Dieckmann: „Wenn man nur braver Durchschnitt in Leistung und Können ist, ist die Konkurrenz einfach zu groß.“ Für die Profilierung empfiehlt Dieckmann, sich weiterzuspezialisieren und sich ständig weiterzubilden.

Spürsinn und Intuition helfen weiter

Auch Peter Körber aus Springe bei Hannover hat an vielen Weiterbildungen teilgenommen, bevor er 2003 von der Architektenkammer Niedersachsen gleich für zwei Sachgebiete, für „Schäden an Gebäuden“ sowie für „Wertermittlung“, seine öffentliche Bestellung bekam.

Peter Körber (43): „Architekten eignen sich sehr gut als Sachverständige, vor allem für die Wertermittlung von Gebäuden, weil sie einen guten Überblick über das Thema haben.“

Körber ist klassischer Entwurfsarchitekt. Später hat er als Projektleiter mit bis zu 35 Fachkollegen und Ingenieuren gearbeitet und Großbauvorhaben geleitet. Aus dieser Tätigkeit heraus sei er zur „Gutachterei“ gekommen, wie er sagt. Schäden an Gebäuden seien schon immer sein Steckenpferd gewesen. „Ich glaube, ich habe das Gutachtergen“, sagt der 43-Jährige und meint damit die Fähigkeit, eine Sache neutral zu betrachten, Spürsinn zu entwickeln und seiner Intuition zu vertrauen. Körber: „Der klassische Architekt hätte sicher ein Problem damit, sich den ganzen Tag in Gutachten zu vergraben.“

Neben seiner Tätigkeit als Architekt hatte Körber viele Jahre als freier Sachverständiger gearbeitet und Erfahrungen gesammelt. Erst im vergangenen Jahr hat er seine Planertätigkeit vollständig an den Nagel gehängt. Aus wirtschaftlichen Gründen, wie er sagt, und weil ihm die Arbeit als Sachverständiger sehr viel mehr Spaß macht. „Ich kann den Dingen auf den Zahn fühlen und die Verdienstmöglichkeiten sind auch besser“, sagt Körber, der hauptsächlich für Gerichte in mehreren Bundesländern arbeitet. Er rät Architekten grundsätzlich zu diesem Weg, vor allem wenn sie sich in Bauphysik, -chemie und -konstruktion gut auskennen. Körber: „Wer lieber Entwürfe designt, für den passt die Gutachtertätigkeit nicht.“

Leider schreiben sich manche die Sachverständigentätigkeit in den Briefkopf, beherrschen aber das Thema nicht, klagt Körber. „Ich glaube, bei keinen anderen Sachverständigen wie bei den Architekten gibt es so große Unterschiede, was die Fähigkeiten, Begabungen und Erfahrungen betrifft.“ Aus lauter Verlegenheit, nur weil man als Architekt keine Aufträge mehr hat, sollte man nicht zum Sachverständigen werden. Voraussetzung dafür sei in jedem Fall ein Zertifikat beziehungsweise eine Qualifikation auf einem bestimmten Fachgebiet, wie sie verschiedene Institutionen anbieten. Körber: „Am besten von einer renommierten Einrichtung, die an eine Hochschule angegliedert ist und einen akademischen Anspruch hat.“

Ohne Fachwissen geht es nicht

Für den Erwerb vertiefender Fachkenntnisse und die Vorbereitung auf die Prüfung für eine öffentliche Bestellung und Vereidigung gibt es zahlreiche Möglichkeiten. So bieten fast alle Architekten- und Ingenieurkammern sowie zahlreiche Institute berufsbegleitende Lehrgänge an, die die bautechnischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Themen der Sachverständigentätigkeit zum Inhalt haben. Außerdem lernt man, wie man sich als Sachverständiger bei der Ortsbesichtigung und vor Gericht richtig verhält. Vermittelt werden die Themen durch erfahrene Dozenten, Sachverständige, Prüfer und Richter.

Erster Ansprechpartner in Sachen Sachverständigentätigkeit sind die Ausschüsse für Sachverständigenwesen bei den Länderkammern, die auch zu den möglichen Bestellungsgebieten beraten und den Bedarf an Sachverständigen ermitteln.

„Wir wünschen uns noch mehr Berufskollegen, die uns direkt ansprechen“, sagt Bernhard Freund, Vorsitzender des Ausschusses Sachverständigenwesen der Architektenkammer Berlin. Über 200 Architekten hat er in den vergangenen Jahren ausgebildet und auf die Prüfung zur öffentlichen Bestellung vorbereitet. „Es gibt leider zu wenige Kollegen, die nach der Weiterbildung bei der Stange bleiben und sich mit großer Leidenschaft für die Arbeit als Sachverständiger interessieren.“

Die Architektenkammer Berlin könne seit 1994 öffentlich bestellen und vereidigen, aber nur rund zehn Architekten haben die Chance seitdem genutzt. Dabei gebe es einen großen Bedarf und gute Perspektiven, sagt Freund, vor allem für Bauschaden- und Honorarsachverständige. Architekten seien diejenigen, die schon in der Ausbildung ein weiträumiges Wissen anhäufen und umfassend denken können. Freund: „Damit sind sie wie kaum ein anderer Berufsstand bestens für die Arbeit als Sachverständige geeignet.“

Sachgebiete für Architekten

Auf der Grundlage ihrer Vorbildung und Fachkenntnisse können Architekten insbesondere auf folgenden Gebieten als Sachverständige tätig werden:

  • Schäden an Gebäuden
  • Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken
  • Mieten und Pachten für Grundstücke und Gebäude
  • Honorare für Architektenleistungen
  • Baupreisermittlung und -abrechnung im Hochbau
  • Schäden an und Bewertung von Innenräumen
  • Garten- und Landschaftsbau
  • Sportplatzbau

Als künftige Bereiche zeichnen sich ab:

  • Brandschutz
  • Sicherheit am Bau
  • Arbeitsschutz
  • Energieeinsparung

Darüber hinaus steigt der Bedarf an fachlich tiefer gegliederter Spezialisierung hinsichtlich bestimmter Bauteile wie:

  • Fenster
  • Fassaden
  • Bauwerksabdichtungen
  • Holzschutz

Öffentliche Bestellung

Auf dem europäischen Prüfstand: Durch die Umsetzung der Vorgaben der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie (DLR) in deutsches Recht ist auch die öffentliche Bestellung von Sachverständigen nach § 36 GewO betroffen. Das Problem: Die öffentliche Bestellung durch eine Berufskammer ist als Qualifikationszuerkennung auch für den außergerichtlichen Bereich nur in Deutschland bekannt. Nach den Regelungen der Berufsanerkennungsrichtlinie (BARL) könnte künftig jeder ausländische Sachverständige die öffentliche Bestellung in Deutschland beanspruchen, wenn er sich hier niederlässt. Das hätte zur Folge, dass die öffentliche Bestellung keine Qualitätsaussage mehr bedeutet.

Aktueller Stand: Geplant ist die Einfügung eines § 36 a nach
§ 36, der die öffentliche Bestellung von Sachverständigen mit Qualifikationen aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union regelt. Derzeit befindet sich der Gesetzentwurf in der Ressortabstimmung der Ministerien.

Sachverständigentypologie

  • Freier Sachverständiger (selbst ernannt):
    Arbeitet in einem bestimmten, selbst gewählten Fachbereich, der in seinem Grundberuf enthalten ist.
  • Staatlich anerkannter Sachverständiger:
    Arbeitet nach den Landesbauordnungen der Länder, in
    denen es eine derartige Betätigung gibt, in einem bestimmten Fachgebiet.
  • Verbandsanerkannter Sachverständiger (selbst ernannt)
    Hat sich einem Sachverständigenverband angeschlossen. Das Fachgebiet wird selbst gewählt und vom Verband geprüft.
  • Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger
    Wird von Architektenkammern, Industrie- und Handelskammern, Landwirtschaftskammern und Handwerkskammern
    für ein bestimmtes Fachgebiet bestellt. Nach einer Prüfung erfolgen die Bestellung für einen bestimmten Zeitrahmen
    und die Vereidigung.

Buchtipp

Alles, was man für den Einstieg
wissen muss:

Lothar Neimkes Ratgeber
„Vom Architekten zum Bausachverständigen“

beantwortet die wichtigsten Fragen.

29 Euro, 126 Seiten, Fraunhofer IRB Verlag


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