Text: Christoph Gunßer
Um ein Deutschlandstipendium, 300 Euro monatlich für zunächst ein Jahr, können sich Studierende bei ihrer Hochschule bewerben. Maßgeblich für eine Förderung sind die Studienleistungen, zum Teil aber auch soziales Profil und Engagement (das liegt im Ermessen der jeweiligen Hochschule). Anders als beim Bafög und bei den meisten etablierten Begabtenförderungswerken ist die Unterstützung nicht vom Einkommen der Eltern abhängig. Die eine Hälfte der Mittel kommt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, für die zweite Hälfte muss die Hochschule private Sponsoren anwerben. Die Förderer können dabei Wünsche äußern, aus welcher Fachrichtung „ihr“ Student kommt, und sie können und sollen Kontakt zu ihm aufnehmen, ihn also auch ideell fördern.
Diese in der englischsprachigen Welt seit Langem übliche Praxis des akademischen Geldsammelns für Studierende ist hierzulande neu. Dass Unternehmen auf diese Weise recht unbürokratisch Tuchfühlung mit Talenten bekommen können, hat sich offenbar erst langsam in den Personalabteilungen herumgesprochen – die Bundesmittel für die Kofinanzierung in Höhe von immerhin 56 Millionen Euro wurden 2014 bei Weitem nicht ausgeschöpft.
Headhunting leicht gemacht
Nach Auskunft des Koordinationsbüros in Berlin sind nur ganz wenige Architekturbüros unter den Sponsoren. Entsprechend kommt auch nur eine relativ kleine Zahl von Architekturstudenten in den Genuss eines Stipendiums. Eine vertane Chance? Um das zu beurteilen, sprachen wir mit vier Beteiligten einer solchen „Patenschaft“.
Carpus+Partner, auf Bauten für Bildung und Forschung spezialisiertes Planungsbüro in Aachen mit über 200 Mitarbeitern, vergibt in diesem Jahr zwei Deutschlandstipendien. Thomas Habscheid-Führer, für die Architektur zuständiger Partner bei Carpus, gibt sich dabei weitblickend: „Die Zukunft gehört denen, die nachfolgenden Generationen Hoffnung geben“, zitiert er den Philosophen Teilhard de Chardin. „Was man selbst erlebt hat, will man weitergeben“, betont der Vater von vier Kindern und beklagt, dass seit der Einführung des Bachelor-Studiums der Freigeist an den Hochschulen verloren gegangen sei. Die „Freiheit, einfach mal etwas auszuprobieren“, sieht er heute sehr eingeschränkt, und kaum ein Student komme mehr zum Jobben ins Büro. Carpus lädt daher schon Schüler zu Praktika ein, und „seine“ Stipendiaten dürfen als „Hiwis“ im Büro Erfahrungen sammeln.
Christian Roth, 22, als RWTH-Architekturstudent einer der beiden von Carpus derzeit geförderten Studierenden, schätzt die Möglichkeiten, die sich ihm so bieten. Er empfand auch die festliche Stipendienvergabefeier in Aachen, bei der sich Förderer und Geförderte erstmals kennenlernten, als einen „schönen Abend“. Was die Vereinnahmung durch die Förderer angeht, so weiß er zu differenzieren. Wenn er im Büro von Carpus+Partner arbeitet, sieht er sich nicht als „unser Stipendiat“ wahrgenommen, der ständig dankbar zu sein hat.
Ihm geht es vor allem um die Kommunikation, darum, die vielen Regeln der Praxis zu verstehen. Ansonsten lässt er sich noch Zeit, „sich selbst zu finden“, und fühlt keinen Druck, sich früh an das Büro zu binden. Die zweite Stipendiatin von Carpus kommt übrigens aus Wladiwostok und ist noch nicht im Büro tätig.
Wie ticken junge Leute heute?
Auch Elisabeth Rüthnick, Architektin in Berlin (Rüthnick Architekten), vergibt ein Deutschlandstipendium. Sie hatte bereits Kontakt zur FH Potsdam, die zu ihren Auftraggebern zählt. Geldsammler der Hochschule warben sie eines Tages als Förderin. Sie sieht in der Zusammenarbeit eine „Win-win-Situation“: Sie gebe gern Kenntnisse und Erfahrungen weiter, und im Gegenzug erfahre sie, „wie junge Leute heute ticken“. Für diese sei es wichtig, dass sie „frühzeitig mitkriegen, wie es so läuft“. Architektur sei eine „gesellschaftlich relevante Arbeit“, in die man „gar nicht genug investieren“ könne: „Was Architektur mit uns macht, können wir nur mutmaßen.“
Auch Rüthnick hat ihren Stipendiaten eingeladen, sich seine Mappe zeigen lassen und ihm ein Angebot gemacht: Wenn er mal „Lust auf einen Job“ habe, könne er sich melden. Roy Herzog, der Geförderte, ist schon 28 und Master-Student in Potsdam. Er hatte zuvor bereits zwei andere Förderer, die örtliche IHK und einen bekannten Beschlägehersteller. Letzterer lud ihn nach Westfalen ins Werk ein und verteilte Werbegeschenke. Auch Herzog ist der „Einblick in Wirtschaftsstrukturen“ wichtig. Während er früher im Café jobben musste, kann er sich nun dank Stipendium auf das Studium konzentrieren. Zusätzlich engagiert er sich an der Hochschule als Tutor für die Studienanfänger. Das durch die verschiedenen Treffen geknüpfte Netzwerk mit Leuten aus der Wirtschaft empfindet er als Hilfe beim „Übergang aus dem geschützten Bereich“ der Hochschule.
Arbeiten am „Wir-Gefühl“
„Vernetzung“ ist im Gespräch mit den Beteiligten der wichtigste Begriff. Die Absolventen schätzen den Kontakt mit der Welt „da draußen“, die das Deutschlandstipendium bietet. Solange man als junger, unerfahrener Mensch die Strategien durchschaut, die hinter „netten Treffen“, Werksführungen und Werbegeschenken liegen, geht das wohl auch in Ordnung.
Die Förderer bekommen im Gegenzug mit wenig Aufwand Einblicke in die sich so rasch wandelnde Welt der jungen Leute – und ein wenig positive Publicity. Ob diese hoch selektive Kontakt- und Konsenskultur allerdings unbedingt immer der beste Weg für die Gesellschaft insgesamt ist, bleibt offen. So manche Innovation entstand bekanntlich – auch in der Architektur – aus der Distanz zum „Establishment“.
Warum so wenige Architekten?
Bleibt am Ende die Frage, warum die Architekten bei den Deutschlandstipendien so rar sind. Hierzu gibt es nur Vermutungen. Einerseits wünschen sich die Förderer meist Zöglinge der eigenen Fachrichtung.Das war auch bei den genannten Architekturbüros der Fall. Da sich größere Wirtschaftsunternehmen bislang weit stärker engagieren als die mittelständische Wirtschaft oder gar Freiberufler, kommt es zu einer gewissen „Inzucht“ zugunsten wirtschaftsnaher Studiengänge. Die großen Firmen rekrutieren traditionell bereits im Studium und bekommen so von den Hochschulen eine willkommene Vorauswahl.
Die meisten Architekturbüros verfügen andererseits nicht über üppige Budgets und Personal für ein solches Headhunting. Sie selektieren wohl auch nicht primär nach den objektiven akademischen Meriten, die über die Vergabe eines Deutschlandstipendiums entscheiden. Architekten sichten Bewerber stärker nach Persönlichkeit sowie gestalterischen Fähigkeiten und Neigungen. Und sanders als potenzielle Arbeitgeber von Ingenieuren oder Betriebswirten können sie immer noch aus einem großen Pool von Absolventen schöpfen.
Gleichwohl zeigen die Beispiele, dass ein Deutschlandstipendium auch unter Architekten für beide Seiten eine sinnvolle Erfahrung sein kann. Der finanzielle Einsatz und die Dauer von einem Jahr sind gering genug, um Fehlgriffe zu verschmerzen. Und womöglich stiftet die neutrale Vermittlung zuweilen doch zu einer unerwartet fruchtbaren Zusammenarbeit an.
Dipl.-Ing. M. Arch. Christoph Gunßer ist freier Fachautor in Bartenstein.
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