Text: Barbara Ettinger-Brinckmann
Seit dem 18.April ist für öffentliche Aufträge die neue Vergabeverordnung VgV das Maß aller Dinge – neben den vergaberechtlichen Vorschriften im novellierten Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Die VgV gilt nun für alle Vergaben öffentlicher Liefer- und Dienstleistungs-Aufträge über dem Schwellenwert von 209.000 Euro, vom Büromaterial bis zur Planung von komplexen Verkehrsprojekt. Dagegen bestimmte die bisherige VgV im Wesentlichen nur die unterschiedlichen Schwellenwerte und verwies im Übrigen auf die VOF und VOL. Hieran muss man sich erstmal gewöhnen, bedeutet dies doch, dass einerseits zwar eine ganze Regelungsebene wegfällt, dass man sich jedoch andererseits durch viele Paragrafen wühlen muss, die für unsere Leistungen nicht relevant sind. Aber immerhin: Uns ist es gelungen, für die Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen einen besonderen Abschnitt zu bekommen, der zusätzlich zu den allgemeinen Vorschriften auf die Besonderheiten unseres Berufs und unserer Tätigkeit eingeht. Das ist ein nicht zu unterschätzender Erfolg.
Verhandlungsverfahren nicht mehr zwingend, aber die Regel
Die VOF bot allerdings vor allem auch einen inhaltlichen Vorteil: Es war klar, welche Vergabeart heranzuziehen war – nämlich das Verhandlungsverfahren. Die neue EU-Richtlinie setzt hingegen nach Auffassung der EU-Kommission und des deutschen Verordnungsgebers auf den sogenannten Toolbox-Ansatz. Der öffentliche Auftraggeber soll grundsätzlich selbst bestimmen können, welche Vergabeart er wählen will. Aber damit wären auch das so genannte offene und das nichtoffene Verfahren (nicht zu verwechseln mit offenen und nichtoffenen Planungswettbewerben) in Frage gekommen, was einen reinen Preiswettbewerb bei der Vergabe von Planungsleistungen bedeutet hätte.
Eine schlimme Vorstellung. Wir haben daher immer wieder darauf gedrängt, bis zum Äußersten des nach der EU-Richtlinie noch Zulässigen zu gehen. Dies ist uns auch weitestgehend gelungen: Bei der Vergabe von Planungsleistungen bleibt das Verhandlungsverfahren das Regelverfahren, allerdings – und das ist neu – gleichberechtigt mit dem wettbewerblichen Dialog. In der Begründung zur neuen VgV wird jedoch klargemacht, dass der wettbewerbliche Dialog im Grunde genommen nur für bestimmte Ausnahmefälle praktikabel sei, so dass wir hoffen können, dass es in der Vergabepraxis ganz überwiegend bei der Heranziehung des Verhandlungsverfahrens bleiben wird.
Leichterer Zugang für kleine Büros und Bürogründer
Die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen ist eines der wesentlichen Ziele der neuen Vergaberichtlinie. Dies konkret auch bei der Vergabe von Planungsleistungen zugunsten kleiner Büros und von Bürogründern umzusetzen, war eines unserer wesentlichen Ziele. Ist uns dies gelungen? Ich meine ja, jedenfalls zum Teil. In der VOF war nur vorgesehen, dass kleine und junge Büros an Vergaben beteiligt werden sollen. Das war ein schöner Satz, aber leider auch nicht mehr. Jetzt sollen nicht nur, sondern jetzt müssen die Eignungskriterien so gestaltet sein, dass sich kleine Büros und Bürogründer in geeigneten Fällen beteiligen können. Dies ist im Zweifel vor Gericht überprüfbar und allein schon deshalb ein Erfolg.
Nachteilig für die kleinen Büros und Bürogründer war unter anderem die verbreitete Forderung der öffentlichen Auftraggeber, bestimmte Mindestjahresumsätze nachzuweisen, obwohl dies schon immer nur eine „Kann-Bestimmung“ war. Dies gänzlich oder zumindest für Aufträge minderer Komplexität zu untersagen, ist uns nicht gelungen. Aber schon nach der EU-Richtlinie soll diese Forderung nur zurückhaltend erhoben werden. Weil zu befürchten ist, dass sich die alte Praxis in Deutschland fortsetzt, hatten wir konkret für Planungsleistungen dafür geworben, den Mindestjahresumsatz – wenn er denn als Eignungskriterium abgefragt wird – nicht am Auftragswert als solchem auszurichten, sondern umgerechnet auf den jährlichen Mittelabfluss. Bei auf mehrere Jahre angelegten Projekten, wie sie Architekten auszeichnen, hätte dies zwangsläufig zu einer entsprechenden Quotelung geführt. Dies ausdrücklich zu verankern, war im Rahmen der Gesetzgebung leider nicht durchsetzbar. Aber wir wollen bei den öffentlichen Auftraggebern weiterhin für den Verzicht auf diese Abfrage und zumindest für diesen Ansatz werben.
Wesentlich mehr erreicht haben wir bei den Referenzobjekten. Zunächst wird in der neuen VgV eindeutig klargestellt, dass bei Referenzen nicht mehr, wie bislang üblich, für die Planungsaufgabe dieselbe Nutzungsart verlangt werden darf. Hiermit ist hoffentlich die unselige Spirale hin zum „closed shop“ unterbrochen. Vielmehr kommt es jetzt allein auf die Vergleichbarkeit beziehungsweise Komplexität der Anforderungen an. Ein Weiteres zu diesem Punkt: Nach der Richtlinie dürfen Referenzen grundsätzlich höchstens drei Jahre alt sein. Eine länger zurückreichende Phase ist nur ausnahmsweise zulässig, nämlich dann, wenn dies für eine ordnungsgemäße Vergabe erforderlich ist. Das ist gerade für kleinere Büros schwierig, die keine so dichte Folge vergleichbarer Referenzen haben können. Darum wurde auf unseren Vorschlag hin immerhin im Begründungstext zum einschlägigen Paragrafen in der VgV (§ 46 Abs. 3) klargestellt, dass bei der Vergabe von Planungsleistungen diese Ausnahme die Regel ist – so dass zu hoffen ist, dass auch ältere Referenzen akzeptiert werden. Dies müssen wir durch Aufklärungsarbeit den öffentlichen Auftraggebern ins Bewusstsein rücken.
Planungswettbewerbe haben Modellcharakter
Geht es um die Bewertung des neuen Vergaberechts, scheiden sich besonders beim Thema Planungswettbewerbe die Geister. Unsere Forderung, bei der Vergabe von Planungsleistungen regelmäßig einen Planungswettbewerb durchzuführen, konnten wir nicht durchsetzen. Haben also diejenigen recht, die das neue Vergaberecht für eine Katastrophe halten? Nein! Denn man kann nicht nur die eigenen Maximalforderungen als Maßstab zugrunde legen.
Der Vergleich mit dem alten Vergaberecht zeigt vielmehr: Der Planungswettbewerb ist deutlich gestärkt worden. Zum einen wird er vom Verordnungsgeber als diejenige Methode dargestellt, die „die Wahl der besten Lösung der Planungsaufgabe“ gewährleistet und gleichzeitig ein „geeignetes Instrument zur Sicherung der Planungsqualität und Förderung der Baukultur“ darstellt. Und der öffentliche Auftraggeber ist stets verpflichtet, zu prüfen, ob ein Planungswettbewerb durchgeführt werden soll oder nicht, und er hat seine Entscheidung zu dokumentieren. Allerdings gab es noch im Referentenentwurf eine aus unserer Sicht bessere Variante: Danach hätte der öffentliche Auftraggeber prüfen müssen, ob eine Aufgabenstellung zur Durchführung eines Planungswettbewerbs geeignet ist oder nicht, und das wiederum verbunden mit einer Dokumentationspflicht. Aber dies stieß auf den Widerstand der öffentlichen Auftraggeber. Trotzdem bleibt es dabei: Mehr Planungswettbewerb als im aktuellen Vergaberecht gab es noch nie.
Weiterhin getrennte Auftragswertberechnung
Manchmal liegt der größte Erfolg nicht darin, etwas zu verbessern, sondern Schlimmeres zu verhüten. Nur um Haaresbreite konnte verhindert werden, dass bei der Schätzung des Auftragswertes alle Objekt- und Fachplanungsleistungen zusammen- gerechnet werden müssen. Dies hätte letztlich dazu geführt, dass bei öffentlichen Aufträgen die Vergabe fast aller Planungsleistungen EU-weit hätte ausgeschrieben werden müssen.
Der hiermit verbundene bürokratische Aufwand hätte gerade die kleinen Büros und Bürogründer getroffen. Deshalb sind wir stolz, gemeinsam mit den öffentlichen Auftraggebern dafür gesorgt zu haben, dass weiterhin nur gleichartige Leistungen zusammengerechnet werden können. Allerdings hat die EU-Kommission gegen diese Regelung ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Es bleibt abzuwarten, wie dieses Verfahren ausgeht. Zumindest konnte der Gesetzgeber davon abgehalten werden, bereits in vorauseilendem Gehorsam gegenüber der EU-Kommission deren Vorstellungen umzusetzen.
Gemischte Bilanz mit positiver Tendenz
Was bleibt also als Resümee der Novelle? Eine gemischte Bilanz mit Tendenz zum Positiven. Das neue Vergaberecht: kein Segen, aber sicher auch keineswegs ein Fluch. Vielmehr insgesamt ein Schritt in die richtige Richtung – wenn denn die öffentlichen Auftraggeber die ihnen vorgegebenen neuen Rahmenbedingungen strikt einhalten und vor allem die ihnen aufgezeigten Spielräume zugunsten fairer und transparenter Verfahren nutzen. Damit dies auch geschieht, das Vergaberecht in seiner modernisierten Form tatsächlich einen Beitrag zur Prozesskultur und damit zur Baukultur leistet, muss die Umsetzung in der Praxis gelingen – hier gilt es, gemeinsam mit den öffentlichen Bauherren von Anfang an die richtigen Weichen zu stellen. Hierauf kommt es jetzt an – und hier sind wir in den Architektenkammern dran.
War dieser Artikel hilfreich?
Weitere Artikel zu: