Nils Hille
Wie ein Märchen klingt es, wenn Rüdiger Patzschke vom Berliner Architekturbüro Patzschke und Partner erzählt, wie er nach Indien gekommen ist. Eigentlich wollte er in Ägypten beim Heben von Tempeln helfen. Doch die Arbeiten sollten erst fünf Monate später beginnen. Da machte er sich auf die Reise nach Afghanistan und landete „aus Versehen in Indien“ – einem Land, das ihm von Anfang an gefiel. Patzschke: „Ich habe eine sehr positive Aufnahme in Indien erlebt. Deutsche sind sehr willkommen, da es nie Probleme zwischen den Ländern gab.“
Dieses Erlebnis ist mittlerweile einige Jahrzehnte her. Doch hier entstand der Ursprung für den immer stärkeren Bezug zu dem südasiatischen Staat. Seit 35 Jahren besitzen die Patzschkes nun ein Ferienhaus, zweimal im Jahr sind sie dort im Urlaub – früher auch regelmäßig mit den Kindern. Im Alter von 15 Jahren traf Sohn Robert eine sehr erwachsene Entscheidung: Er wollte in Indien auf ein Internat gehen. Den Besuch der im Himalaja gelegenen, nach britischem Stil geführten Bildungseinrichtung konnten sich unter den Indern nur die Bestverdiener für ihre Kinder leisten. Für deutsche Verhältnisse waren die umgerechneten 300 Mark pro Monat eine geringe und gute Investition in die Zukunft – in doppelter Hinsicht: Durch die Ausbildung ihres Kindes entstanden wie von selbst Kontakte zu Indiens Oberschicht. Nach Plänen für Villen von Freunden kam der erste indische Großauftrag für das deutsche Büro: das 5-Sterne-Hotel „The Manohar Radisson“ in Hyderabad. Die Eröffnung vor zehn Jahren geschah mit hoher politischer Prominenz am selben Tag wie die des Hotels Adlon in Berlin, ebenfalls vom Büro Patzschke geplant.
Andere Sitten
Trotz der positiven Entwicklung sollten noch sieben Jahre vergehen, bis 2004 das indische Büro von Patzschke in Panjim, Goa, eröffnete – geleitet von Sohn Robert, der mittlerweile ebenfalls als Architekt tätig ist. Mit rund zwanzig Mitarbeitern wird nun auch vor Ort geplant. Dabei müssen dem Architekten einige Unterschiede zu der Arbeit in Deutschland klar sein, sagt Rüdiger Patzschke: „Mit Indern zu bauen, ist für nervöse Menschen ein unheimlich anstrengendes Erlebnis. Gewisse Zustände müssen einfach hingenommen werden.“ So sind bei Genehmigungsverfahren statt drei auch mal dreißig Anfragen nötig – oder ein gut gepflegter Kontakt zu den Behörden. Nicht eingehaltene Zusagen während der Bauphasen gehören ebenfalls zum Alltag.
Um überhaupt eine gewisse Planungssicherheit zu bekommen, gibt es von den Patzschkes einen geldwerten Bonus für die pünktliche Fertigstellung eines Gebäudes: eine sehr erfolgreiche Methode. Schon bei der Planung müssen auch Besonderheiten des Landes berücksichtigt werden. Religiöse Vorstellungen von Wohnen und Arbeiten verbieten es zum Beispiel, über einem Speisezimmer eine Toilette zu bauen. Patzschke: „Wir machen direkt Entwürfe, die mit den Feng-Shui-Gesetzmäßigkeiten, nach denen auch in Indien von vielen gelebt wird, konform sind.“ Das Klima sollte ebenfalls berücksichtigt werden. In Indien sind Häuser gegen Wärme zu schützen und nicht vor Kälte wie in Deutschland. So muss die Kältedämmung innen liegen. Wichtig ist auch, bei den Fenstern einen möglichst hohen Schutz vor dem Eindringen der Wassermassen beim Monsunregen zu bieten.
Tradition und Moderne
Ein weiterer Unterschied kommt Rüdiger Patzschke als Verfechter einer traditionellen Architektur sehr zugute: „Die Inder haben nicht die fundamentale Haltung wie viele Deutsche, dass Moderne gebaut werden muss. Jeder macht es, wie er will.“ Bei Neubauten, die nicht als billige Kästen mit möglichst vielen Wohneinheiten hochgezogen werden, dominiert die Grundstruktur von europäischen Palästen mit Säulen und Kapitellen. Für Inder, die sich solche Häuser leisten können, spielen auch die Kosten eine geringe Rolle. Sie lassen sich die besten Baumaterialien aus aller Welt einfliegen und bezahlen auch das höhere Honorar, das, so Patzschke, „auf Basis deutscher Baukosten“ berechnet wird. Bei den Löhnen kann dagegen anders kalkuliert werden: „Die indischen Gehälter liegen im Vergleich bei rund 40 Prozent der deutschen. Doch die einheimischen Architekten bringen auch nur die Hälfte der Leistung in derselben Zeit wie die deutschen, da sie sich sehr lange mit Details befassen.“
Die von Patzschke betonte Offenheit der Menschen in Indien zeigt sich auch bei den Planungen: „Das Bauen ist dort eine sehr persönliche Angelegenheit. Bei großen Firmen als Auftraggeber haben Sie es nicht mit einem anonymen Verwaltungsapparat wie hierzulande zu tun. Die oberen Manager delegieren viel mehr und haben Zeit für die Architekten ihres Neubaus. Mit vielen der privaten Bauherren entstehen meist langfristige freundschaftliche Beziehungen.“
Indien
Bevölkerung: 1,1 Milliarden Einwohner
Fläche: 3.287.000 km2
Hauptstadt: Neu Delhi
Staatsoberhaupt: Dr. A. P. J. Abdul Kalam
Regierungschef: Dr. Manmohan Singh, Premierminister
WirtschaftBruttoinlandsprodukt insg. zu Marktpreisen (in Mrd. EUR) 923
Reales Wachstum in Prozent (zu Marktpreisen) 15,2 %
Inflationsrate (in Prozent) 5,7 %
Export nach Deutschland (in Mrd. EUR) 4,18
Import aus Deutschland (in Mrd. EUR) 6,37
Bauwirtschaft
Anteil am Bruttoinlandsprodukt (in Prozent) 6,7 % (Platz 1)
Summe, die bis 2015 in Infrastrukturprojekte fließen soll 330 Mrd. US$
Wachstum der Branche bis 2011 10 % pro Jahr, Durchschnitt
Neue Wohneinheiten in den nächsten 10 bis 15 Jahren (Schätzung) 80 bis 90 Millionen
Benötigte neue Verkaufsfläche bis 2010 20 Millionen qm
Quellen: Auswärtiges Amt; Wirtschaftsdatenblatt Indien; Bundesagentur für Außenwirtschaft (bfai)