Von Roland Stimpel
Unsere Vorfahren machten noch alles selbst, wie Meyers Neues Konversations-Lexikon von 1861 wusste: „Die Studien der Architekten erstrecken sich über alle zur Baukunst in näherer oder entfernterer Beziehung stehenden Disciplinen, also über reine und angewandte Mathematik, Naturwissenschaften, namentlich Physik und Chemie, dann über die Regeln und Grundsätze des Wasser-, Wege-, Eisenbahn- und Maschinenbaus, endlich namentlich auch auf die Darstellung mittels Zeichnung.“
Genau 150 Jahre brauchte es von Carl Joseph Meyer zu Manfred Josef Hampel. Er hat im bayerischen Seefeld eine iPhone-App ertüftelt. Falls Sie den Begriff vergeblich im Lexikon suchen: das ist ein Programm für überzüchtete Taschencomputer. Die App heißt „iVilla“ und ermöglicht „die Fassadengestaltung nach dem Goldenen Schnitt, die Dir die Freiheit gibt, ohne Architekt und ohne auf Statik, Baurecht oder Gestaltungsgrundlagen achten zu müssen, Dich selbst in einem Gebäudeentwurf zu verwirklichen“. Mit der Basis-App für 79 Cent „kann man bereits bis zu 19,6 Milliarden Varianten generieren. In der Pro Version, die nur 2,99 € kostet, sind über 21 Billionen Gestaltungsvarianten möglich.“
Hampel ist laut eigener Website so universell gebildet wie der Meyersche Architekt, nämlich „überzeugter Denkmalschützer, Baumeister, Fassadengestalter und Kenner des Goldenen Schnitts, Fachautor, Konstrukteur, Restaurator und Fachreferent für den klassischen Fensterbau“. Seine App-Villa kommt aus dem Handgelenk: „Ein kurzes Schütteln des Gerätes – und schon wird aus den unzähligen Möglichkeiten ein zufälliges Haus generiert.“ Was für ein Fortschritt seit 1861, als sich laut Lexikon Architekten so viel Kram in den Kopf stopfen mussten: „die Geschichte der Baukunst und der Style aller Länder und Zeiten, Konstruktionslehre, Dynamik höherer Analysis und die ästhetischen Grundlagen der Baukunst“. Das hat heute jeder Laie in der App, und Hampel droht: „Neben dem Spaßfaktor bietet die innovative Applikation einen echten Mehrwert. Zukünftige Bauherren können direkt an den Architekten herantreten und ihm zeigen, was sie sich wünschen.“ Da hilft nur eins: Schütteln Sie selbst, bevor Ihr Bauherr es tut.