Text: Wolfgang Bachmann
Meine alte Mutter hatte recht: Man muss nicht immer alles bekritteln. Diese Meinung teilen inzwischen viele Verleger. Sie wollen die positiven Seiten des Wohlstands publizieren, Anregungen, „Ideen“ geben, Trends aufzeigen, Lifestyle präsentieren. Ein Coach belehrte die Redaktion einer Architekturzeitschrift: „Individueller Nutzen ist gerade das Gegenteil von gesellschaftlicher Relevanz.“
Viele Architekten sehen das auch so. Herzog & de Meuron meinen, am besten gelinge Architekturkritik, wenn der Schreiber in der Planungsphase bereits die Entscheidungen und Entwurfsschritte kennenlerne, um sie später richtig wiedergeben zu können. Die Schweizer tragen das vor wie einen besonderen Vertrauensbeweis – aber würde man auch Musik- und Theaterkritikern empfehlen, sich bei einem Künstler einzumieten, um seine Darbietung später verständnisinnig zu würdigen? Architekten ist Kritik günstigenfalls egal. Christoph Mäckler erläuterte mir einmal nach einem knappen Kommentar zu seinem Opernturm, erst müsse man dem Leser ein fertiges Gebäude nachvollziehbar darstellen, danach könne der Autor seinetwegen eine Wertung anschließen. Dieser praktische Vorschlag ist so sinnvoll, als würde man einen Bauträger ein Haus bauen lassen und anschließend Mäckler bitten, noch etwas Architektur hinzuzufügen. Texte entstehen eben anders.
Die Verachtung der Zeitungsschreiber gehört zum guten Ton. Wolf Prix geißelt die „Provinzialisierung und Vermittelmäßigung“ des architektonischen Anspruchs: „Führend sind da die deutschen Medien, durchwegs mit auf beiden Augen blinden Schreibern besetzt.“ Darin ist er sich einig mit dem ihm sonst fern stehenden Hans Kollhoff, der in Feuilleton und Fachzeitschriften nur noch „Architekturgeschwätz“ entdeckt, „das zum Zwecke der Printmedienvermarktung auf Hochtouren gebracht wurde mit flotten Schreibern, die dem Fluidum zeitgenössischer Kunstverklärung entstiegen sind“. Der Dirigent Leopold Stokowski warnte einmal: „Am gefährlichsten sind jene Kritiker, die von der Sache nichts verstehen, aber gut schreiben.“ In diesem Fall gilt das Gegenteil: Am gefährlichsten sind jene Architekten, die vom Schreiben nichts verstehen, aber gut bauen.
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