Text: Stefan Kreitewolf
„Anmeldung im 1. Turmgeschoss“, lautet die Begrüßung nach einem leisen Surren, das eine gläserne Holztür zur Öffnung bewegt. Eine weite Wendeltreppe führt in die erste Etage eines schmucken Holzturms. Hier residiert die Werkgruppe Lahr am Rande der Lahrer Altstadt, den Schwarzwald in Sichtweite. Am lichten Empfang zeugen nationale und europäische Architekturpreise von erfolgreichen Projekten und Ideen.
Die Werkgruppe Lahr wurde 1978 gegründet. Neben dem 73 Jahre alten Langenbach gehören der Partnerschaft seit Januar 2015 Dagmar Abt, Christian Göbert, Ralf Mika und Bodo Rügner an. Langenbach bleibt vorerst ebenfalls Partner. Der Generationswechsel ist also vollzogen. Und das ging so: Anfang 2013 entschieden die beiden Alt-Partner Langenbach und Jürgen Dittus, die Geschäftsleitung abzugeben und ihre Nachfolger am Kapital des Büros zu beteiligen. Neun Interessenten hatten sich für eine Übernahme beworben. Am Ende blieben Abt, Göbert, Mika und Rügner übrig. „Über die Jahre haben wir enge Verhältnisse zueinander aufgebaut“, rechtfertigt Langenbach die Auswahl. Alle vier waren zuvor schon bei Langenbach angestellt, Ralf Mika sogar schon 20 Jahre. „Wir alle wussten, worauf wir uns einlassen“, sagt Langenbach mit einem Lächeln.
Fronten verhärtet, Beistand nötig
Dennoch sei die Übernahme alles andere als einfach verlaufen. Selbstverständlich ging es ums Geld, aber viel mehr noch um die Weiterführung einer Idee von Architektur. „Schließlich haben wir über mein Lebenswerk verhandelt, da geht es nicht nur um Zahlen, sondern um architektonischen Stil und Qualität.“ Wichtige Fragen, wie die nach dem künftigen Umgang mit Bauherren, Auftraggebern und Kooperationspartnern, konnten lange Zeit nicht geklärt werden. Wut über die anderen Auffassungen der Gesprächspartner und der Zorn über die vertrackte Situation erzeugten bald in der Verhandlungsphase eine heikle Gemengelage. Die Übernahme-Kandidaten wollten schnell Verantwortung übernehmen, Langenbach und Dittus ging das aber zu schnell. Die Nachfolge stand auf der Kippe, die Stimmung wurde schlechter, das Gesprächsklima hitziger. Der damals noch angestellte Mika erinnert sich: „Irgendwann wussten wir nicht mehr weiter, die Fronten waren verhärtet, wir brauchten Beistand.“ Das war im Dezember 2013, nach zwölf Monaten Diskussion.
Als Beistand bot sich Andreas Preißing an. Er ist Betriebswirt und Experte für die Lösung vertrackter Übernahmen. Gemeinsam mit seinem Vater hat er in den vergangenen 35 Jahren mehr als 5.000 Architektur- und Ingenieurbüros beraten. Er weiß: „Eine Büroübernahme und die damit verbundene Trennung von Büropartnern kann schmerzhaft sein – für Übergeber und Nachfolger gleichermaßen.“ Büro-Partnerschaften würden nicht ohne Grund mit Ehen verglichen. „Der Faktor Mensch entscheidet. In den Beratungen geht es häufig emotional zu.“ Tränen seien keine Seltenheit. „Da hilft der neutrale Blick von außen.“
Jetzt oder nie!
Er half der Werkgruppe Lahr. Preißing moderierte, stellte Fragen, die bis zum nächsten Termin geklärt werden sollten, und beschwichtigte. Anfang 2014 stellte er einen klaren Fahrplan auf. Der emotionale Teil der Übernahmeverhandlungen rückte in den Hintergrund. Langenbach erinnert sich: „Zahlen, Daten und Fakten mussten erst einmal gesammelt und ausgewertet werden, das war viel Arbeit.“ Für Konflikte habe man neben dem täglichen Geschäft schlicht keine Zeit mehr gehabt. Ende 2014 waren die Differenzen aus dem Weg geräumt. Der Übernahme stand nichts mehr im Wege.
„Natürlich ging es auch um den Wert des Büros“, sagt Preißing. Er sei besonders wichtig: „Viele Seniorpartner fragen direkt im ersten Gespräch danach.“ Für die Ermittlung eines Wertes sind verschiedene Faktoren heranzuziehen. Außerdem gibt es dafür unterschiedliche Rechenmodelle. Steuerberater berufen sich bei der Wertermittlung auf das Ertragsverfahren. Die Gewinne der vergangenen drei Jahre gelten dabei als Prognosefaktoren. Preißing empfiehlt jedoch das Statuswertverfahren, ein branchenspezifisches Praktikerverfahren. Bei der Ermittlung des Statuswertes wird das betrachtete Büro weniger als ein Geldanlageobjekt am Kapitalmarkt betrachtet, sondern vielmehr als persönlichkeitsabhängiges Unternehmen, bei dem spezifische Faktoren in die Bewertung einfließen müssen. Dazu werden vier Einzelwerte ermittelt. „Dabei werden die Praxis, die Organisationsstruktur, die jeweilige Projektsituation und die Zukunftsperspektive berücksichtigt.“
Bürowert entscheidet
Die Werkgruppe Lahr konnte sich schließlich mit dem Praxisverfahren – auch finanziell – einigen. Über Geld wollen beide Seiten allerdings nicht sprechen. „Nur so viel: Ich bin meiner Bank sehr dankbar“, sagt Mika. Für ihn sei indes die Verlässlichkeit der Projekte entscheidend gewesen. Preißing stellte eine Modellvorschau für die kommenden drei Jahre auf, sodass Finanzströme, Rücklage und Liquiditätspuffer planbar wurden. Die Verträge gingen Ende 2014 zum Notar. „Wir mussten die Perspektive haben, den Preis für die Übernahme irgendwann abbezahlen zu können“, sagt Mika. Nach der Vertragsunterzeichnung Anfang 2015 folgte eine Testphase.
Sie wurde durch Langenbachs Alt-Partner Dittus erleichtert. Er hatte die Werkgruppe, die neben dem fünfköpfigen Führungsteam heute 16 Angestellte umfasst, bereits 2014 verlassen und beriet die Junior-Partner freiberuflich. Langenbach wollte erst einmal als gleichberechtigter Partner weitermachen. „Und vielleicht etwas kürzertreten“, wie er sagt. Er hatte ja nun die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt.
Plötzlich Verantwortung
Doch dann: Schlaganfall, Krankenhaus, Arbeitsunfähigkeit. Wenige Wochen nach der Übernahme war der alte Chef ans Bett gefesselt, die neuen Partner mussten ins kalte Wasser springen. Büropartner Göbert erinnert sich: „Das war zunächst einmal eine Herausforderung, aber man wuchs an der Aufgabe und konnte die Situation letztendlich problemlos meistern.“ Sein Kollege Rügner pflichtet bei: „Es ging nicht anders.“ Irgendwie sei man in die neue Rolle hineingewachsen – am Anfang mit wenig Schlaf und einem vollen Terminkalender.
Langenbach, den Mika noch immer als „Galionsfigur der Werkgruppe“ bezeichnet, ist ebenfalls froh. „Wer weiß, was passiert wäre, wenn die Übergabeverhandlungen gescheitert wären?“ So seien jedenfalls die Zuständigkeiten klar und die neue Führungsmannschaft instruiert gewesen. „Der Zeitpunkt für die Übergabe hätte besser nicht sein könnren. Bis heute hilft der 73-Jährige bei Projekten. „Ich kümmere mich um Ausschreibungen und Wettbewerbe“, sagt Langenbach. Ganz zurückziehen, möchte er sich noch nicht. Die offizielle Vereinbarung räumt ihm einen Verbleib in der Werkgruppe Lahr bis Ende 2017 ein. „Danach schauen wir einfach weiter“, sagt er.
Zum Abschied grüßt die Werkgruppe Lahr noch einmal vom nahe gelegenen Pfarrhaus, das die Architekten energetisch aufrüsten. An der Lahrer Hauptstraße weist schwarz auf weiß ein Banner auf die neuen Partner hin. Heute sind es fünf. Noch immer steht Carl Langenbach symbolisch an erster Stelle.