Interview: Roland Stimpel
Unter Baukultur kann man vieles verstehen. Kann es überhaupt eine einheitliche Vorstellung geben, die für Sie und Ihre Stiftung taugt?
Baukultur ist eine öffentliche Aufgabe, die alle Fragen der Qualität der gebauten Umwelt betrifft, also der Gestaltung von Landschaft, öffentlichem Raum, Architekten- oder Ingenieurbauwerken. Je allgemeingültiger man diese Vorstellung formulieren würde, desto banaler würde sie. Ein Satz wie „Baukultur geht alle an“ ist zwar richtig, sagt aber im Grunde nicht mehr viel. Wir brauchen unterschiedliche Angebote für verschiedene Gruppen der Gesellschaft, wenn sie sich der Baukultur annehmen sollen.
Laien, aber auch Investoren sind da oft skeptisch. Baukultur klingt für sie nach einer teuren Zusatzleistung für den Sonntag.
Es geht nicht ums Teure, sondern ums Anspruchsvollere. Vergleichen Sie es mit der Esskultur. Beim Essen ist allgemein akzeptiert, dass es um mehr gehen sollte als das reine Stillen von Hunger. Dahin müssen wir mit der Baukultur auch kommen. Es muss klar werden, dass Qualität der Maßstab ist und erst im zweiten Schritt die Frage gestellt wird: Kann ich mir das leisten? Und es muss ja gar nicht teurer sein – genau wie gutes Essen häufig preisgünstiger ist als Fast Food. Und wie bei der Ernährung geht es bei der Baukultur um zweierlei: um hochwertige Zutaten und eine gute Zubereitung. Bauherren, Investoren und Nutzer sind doch froh, wenn sie am Ende etwas Gutes auf dem Tisch haben.
Ist ein guter Prozess eine Garantie für ein gutes Ergebnis – und kann aus einem schlechten Prozess nur ein schlechtes Ergebnis herauskommen?
Ein guter Prozess führt mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem guten Ergebnis. Der Umkehrschluss ist schwieriger: Nehmen Sie die Elbphilharmonie in Hamburg. Dass der Prozess nicht gut gelaufen ist, wissen wir alle. Aber ich bin überzeugt, dass das Ergebnis am Ende hervorragend wird. Hier erzeugt also die negative Prozessqualität eher einen allgemeinen Reputationsverlust für die Prozesskultur und macht schlechte Laune – zum Beispiel bei mir.
Kann die Elbphilharmonie Thema Ihrer Stiftung sein – und wie könnte sie das?
Reizen würde mich das schon. Man könnte zum Beispiel rückblickend analysieren, wie es zu den Turbulenzen bei der baulichen Realisierung gekommen ist, um daraus Handlungsempfehlungen für die Optimierung von Planungsprozessen bei anspruchsvollen Großprojekten abzuleiten.
Ihre Stiftung wird vom Bund getragen und hat einen Stiftungsrat, in dem Abgeordnete und Beamte die Mehrheit stellen. Sind Sie den Launen der Politik unterworfen?
Nein, ich sehe im Stiftungsrat niemanden, der aus seinem Regierungs- oder Parteiprogramm eine politische Beauftragung herleiten würde. Wir finden stattdessen eine ausgewogene Reflexion unserer eigenen Vorschläge vor.
Und wie ist es im laufenden Wahlkampf? Sitzen Sie zwischen allen Stühlen?
Im Stiftungsrat läuft die Diskussion zwischen Fachleuten und Vertretern der Politik konstruktiv und eher konsensorientiert. Ich habe da bisher keine parteipolitischen Unterschiede gespürt. Aber natürlich gibt es indirekte Einflüsse aus Politik und Gesellschaft. Wenn zum Beispiel Fragen des Wohnungsbaus oder des Klimawandels verstärkt diskutiert werden, dann ist das relevant für uns. Und relevant ist indirekt natürlich auch, in welche mit Parteien assoziierte Richtung die Diskussion sich neigt. Geht es vor allem ums Soziale? Ist das Energiethema zentral? Oder stehen wirtschaftliche Fragen im Vordergrund? Wir müssen uns dem stellen, was in der Gesellschaft diskutiert wird.
Sind Ihre Themen indirekt politisch bestimmt?
Wir konzentrieren uns auf drei Themen: Wohnen und gemischte Quartiere, öffentlicher Raum und Infrastruktur sowie die Optimierung von Verfahrensqualität. Es herrscht in unserem Stiftungsrat Konsens darüber, dass auch politische Themen in diesen Rahmen passen müssen. Im Übrigen wollen wir uns nicht nur Einflüssen aussetzen, sondern auch selbst beeinflussen. Bei allen Parteien ist Kultur kein Thema mit hoher Priorität. Da frage ich mich: Wie schaffen wir es, Baukultur stärker in Politik und Parteien zu verankern? Es ist die gleiche Frage, die wir uns auch bei Investoren, bei engagierten Bürgern und anderen Akteuren der Baukultur stellen. Ein wichtiges Instrument dazu soll der regelmäßige Baukultur-Bericht sein, den wir planen. Er soll natürlich Druck auslösen, darin beschriebene Defizite auch politisch zu beheben.
Kennen Sie die Baukultur-Auffassung von Minister Peter Ramsauer?
Ich hatte noch keine Gelegenheit des persönlichen Austausches mit ihm. Ich halte ihn für jemanden, der stark berücksichtigt, was gesellschaftlich gewollt wird, aktuell das Erreichen hoher Wohnungsbau-Stückzahlen. Er hat auch öfter gesagt, dass er sich nicht nur mit der Baukultur in Städten, sondern auch mit der im ländlichen Raum beschäftigen will. Das gehört in unser Themenfeld.
Wie sehen Sie die Profis der Baukultur, Architekten und Planer? Sind Sie Ihr Sprachrohr, sind es Ihre Konkurrenten oder meinen Sie, auch ihnen muss Baukultur nähergebracht werden?
Da müssen wir keine Eulen nach Athen tragen. Planer und Architekten sind unsere geborenen Partner und Verbündeten. Ich will Befruchtung, aber keine Territorialkonflikte. Zum Beispiel bearbeiten die Kammern das Thema Architektur und Schule besser, als wir es je könnten. Wir wollen nicht solche Dinge neu erfinden, sondern bieten an, die vielen, oft sektoralen Initiativen zusammenzubringen und zu vernetzen. Oder aber Leerstellen zu füllen, die noch keiner bearbeitet.
Welche zum Beispiel?
Wenn es um Wohnungsbau geht, reden Verbände der Branche von erleichterten Genehmigungsprozessen, Städte und Landesregierungen wollen hohe Stückzahlen, Mieter günstige Kosten. Aber wer kümmert sich um Qualität? Wir können dies artikulieren, die Erwähnten zusammenführen und zeigen, dass es alles andere als egal ist, welche Qualität neue Wohnungen am Ende haben und wie Wohnungsbau aussieht.
Etliche Architekten sagen das schon heute.
Ihnen wollen wir dafür ein Podium bieten. Und darin ein Publikum, Leute, die zuhören und von ihnen lernen wollen.
Warum sollte ein Projektentwickler oder ein Gemeinderatsmitglied zuhören?
Wir können eine Diskussion bieten, in der die Welten der verschiedenen Berufe und Akteure zusammenkommen. Im Saft des eigenen Milieus kann jeder immer schmoren; bei uns findet jeder andere Säfte. Schon die gemischte Mitgliederkonstellation in unserem Förderverein garantiert, dass bei uns ganz verschiedene Sichtweisen zur Sprache kommen. Wir können natürlich auch als Stiftung selbst neue Aspekte in die Diskussion einbringen. Zum Beispiel die Frage, was denn eigentlich aus den heute gebauten Wohnungen nach dem Jahr 2030 wird, wenn die Einwohnerzahl aller Voraussicht nach auch in vielen großen Städten rasch sinkt. Das führt zu der Frage, wie Wohnungen von heute aussehen müssen, damit sie für mehr als zwanzig Jahre gefragt sind.
Wollen Sie Architektur beurteilen?
Nicht im Sinne eines Gütesiegels. Zertifizierungssysteme sind da nicht der richtige Ansatz, aber es kann durchaus eine Form der Auszeichnung geben. Wir denken deshalb über Möglichkeiten der Hervorhebung baukulturell gelungener Projekte nach.
Reden Sie auch über schlechte Projekte?
Warum nicht? Wir können auch Mahner sein. Aber gute Beispiele vermitteln sich didaktisch nun mal wirkungsvoller.
Mögen Sie uns Positiv- und Negativbeispiele nennen, die Ihnen für eine breite öffentliche Diskussion reizvoll erscheinen?
Man könnte zum Beispiel die positiven wie die kritisierten Seiten der Hamburger Hafencity betrachten, an deren Planung ich früher beteiligt war. Ich halte sie nach wie vor für ein gutes Beispiel einer hoch verdichteten, gemischten und vitalen Innenstadt-Erweiterung, sehe aber natürlich auch die bedenklichen Seiten, wie die Konzentration von Luxuswohnungen und die Touristifizierung.
Es gibt sehr umstrittene Baukultur-Fragen, zum Beispiel die Frage des Zeitgenössischen und des Zeitlosen oder das Thema Rekonstruktionen. Beziehen Sie da Position?
Sollen wir uns positionieren oder für die Diskussion eine Plattform bieten? Da wollen wir eher Plattform sein, wollen Themen und widersprüchliche Überzeugungen auf den Tisch bringen. Zum Beispiel können wir hier am Stiftungssitz Potsdam Befürworter und Gegner der Rekonstruktion des Stadtschlosses und der umgebenden Bauten in einen Dialog führen. Nicht mit dem Ziel, dass einer den anderen überzeugt, sondern mit der Hoffnung, dass Baukultur auch in einem anfangs vielleicht konfrontativen Gespräch reift.
Welche Rolle spielt Ihre eigene Ansicht?
In dem Fall eine untergeordnete. Der Moderator muss eine gewisse Neutralität haben und nicht seine Überzeugungen in der Sache propagieren wollen.
Das klingt eher leidenschaftslos.
Natürlich habe ich persönliche Meinungen. Aber wenn es mir um Baukultur als Prozess geht, sind sie ziemlich sekundär. Und beim Produkt kann aus unterschiedlichen Bau-Auffassungen mehr oder weniger Qualität herauskommen. Sie will ich bei jedem Projekt verhandeln – übrigens mit großer Leidenschaft.
Bei Ihren inhaltlichen Themen kommen zum Beispiel Gewerbe oder Landschaft höchstens am Rand oder indirekt vor. Können Sie es sich leisten, solche potenziellen Baukultur-Felder auszublenden?
Unsere Stiftung ist klein, aber an sie richten sich viele Erwartungen. Unsere schon erwähnten Schwerpunkte – gemischte Quartiere, öffentlicher Raum und Infrastruktur sowie schließlich Verfahrensqualität – sind so definiert, dass sich vieles darunter behandeln lässt, auch die Zukunft von Arbeit oder Themen der Landschaftsplanung. Aber wir sind auch offen für neue Fokussierungen, wenn interessierte Partner dafür Ressourcen bieten – sei es persönliches Engagement, sei es finanzielle Unterstützung bei bestimmten Themen. Wir haben ja auch den Auftrag, mehr Finanzierungspartner zu finden.
Kann man bei Ihnen Themen kaufen?
Je breiter das Spektrum der Wünsche ist, desto mehr sind wir auf Drittfinanzierung angewiesen. Wir freuen uns also, wenn ein interessantes Thema oder Projekt angestoßen wird, das seine Finanzierung mitbringt. Aber man kauft mit Sicherheit nicht das Ergebnis, mit dem wir es behandeln. Wir werden kooperieren, ohne unsere Unabhängigkeit infrage zu stellen. Von unseren Partnern erwarten wir die Haltung, dass sie unserer Ausrichtung auf Qualität offen gegenüberstehen.
Wie wollen Sie Baukultur populär machen?
Wir wollen neben der Fachöffentlichkeit auch die allgemeine Öffentlichkeit stärker erreichen. Warum nicht zu bekannten Bauprojekten auch einmal Beiträge und Statements von uns im Magazin der Bahn oder dem des ADAC mit ihren Millionenauflagen? Wir kennen zu den Bauten die Geschichten, können Hintergrundinformationen liefern und Themen griffig aufbereiten – vielleicht besser als die Architekten oder Bauherren selbst, weil wir die nötige Distanz haben. Wir denken aber auch über weitere Kommunikationsformate wie ein eigenes Magazin nach – oder ein Fernseh-Format.
Ihr schöner Standort nahe dem Potsdamer Havelufer wirkt ein bisschen distanziert von alltäglichen Baukultur-Problemen.
Unser Stiftungssitz ist architektonisch renommiert und durchaus inspirierend. Aber er ist kaum vom Publikum frequentiert. Wir denken deshalb zusätzlich über Räume an belebten Standorten unter dem Motto „Schaufenster der Baukultur“ nach, mindestens in Berlin, doch auch in anderen großen Städten. Dafür sind uns Finanzierungsbeiträge herzlich willkommen – oder private oder öffentliche Eigentümer, die uns Räume für ein paar Jahre günstig überlassen.
Wie sind Sie ansonsten für Architekten und Planer offen?
Das beste Eingangstor ist die Mitgliedschaft in unserem Förderverein. Für geringe Beiträge können sie hier Teil eines vielfältigen Netzwerks werden, das dem gemeinsamen Thema Baukultur verpflichtet ist. Dabei geht es uns auch darum, die Mitgliederzahl zu vergrößern, um der Baukultur mehr politisches und gesellschaftliches Gewicht zu verleihen.
www.foerderverein-baukultur.de
www.bundesstiftung-baukultur.de (Veranstaltungen und Initiativen in ganz Deutschland – unter anderem zur Partnerschaft der Bundesstiftung Baukultur beim Stand der Bundesarchitektenkammer auf der Messe Expo Real in München vom 7. bis 9.10.2013, Halle A2, Stand 040)
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