Interview: Roland Stimpel
Nach den Erfahrungen von Berlin, Hamburg und Stuttgart sagen viele: Großprojekte sind einfach zu komplex, um sie noch zu beherrschen. Man muss entweder ungeheuer viel riskieren, oder man muss es ganz lassen.
Wir sollten nicht resignieren. Es gab in der Welt nie so viele Großprojekte wie heute. Und ein Gutteil davon wird im Kosten- und Zeitrahmen fertig.
Nach angelsächsischen Standards statt nach deutschen?
Nach globalen Standards. Sie haben zwar eine gewisse angelsächsische Prägung, aber sie sind weltweit üblich.
Und ausgerechnet wir Deutschen können es nicht?
Doch, viele Industrien sind da spitze. Sonst wäre Deutschland nicht Exportweltmeister.
Aber gerade wir versagen daheim in großen Planungs- und Bauprojekten.
Es gab da eine Zeit der Verführung zu allzu raschem Handeln, die Zeit nach dem Mauerfall. Die Projekte der deutschen Einheit liefen wahnsinnig schnell. Die Prüfungswege waren extrem kurz; es gab wenig Widerstand in den Institutionen und bei Bürgern, und es entstand die Haltung: Lass uns schon mal bauen; die Gesamtplanung kriegen wir nebenbei hin. Das funktionierte noch einigermaßen bei Straßen- und Bahnbauten auf der grünen Wiese und mit wenigen Betroffenen vor Ort. Aber diese Gewohnheiten hat man dann auf hoch komplizierte Projekte in verdichteten Ballungsräumen übertragen.
Und jetzt hat sich das festgefressen?
Nein, es wird gerade aus den bekannten Anlässen jetzt energisch aufgebrochen. In der Reformkommission Großprojekte der Bundesregierung werden diese Themen ernsthaft angegangen. Ich bin für Deutschland sehr optimistisch.
Was muss und wird sich bei uns ändern?
Es muss vor allem in der Anfangsphase sehr viel gründlicher und transparenter gearbeitet werden. Architekten und Ingenieure brauchen viel mehr Ressourcen, um auch Einzelfragen von möglichem Gewicht zu klären und Alternativen zu erarbeiten. Großprojekte sind extrem komplex, aber man kann sich dem stellen und sie durch gute Strukturierung vereinfachen.
Zerlegen kann man sie schlecht – dann passt nachher nichts zusammen.
Man kann nicht das Gesamtprojekt zerlegen, aber die Risiken isolieren und diese konzentriert angehen. Diese liegen ja niemals im Großprojekt als solchem, sondern sie liegen in einzelnen Punkten. Das kann vieles sein: geologische Verhältnisse im Untergrund oder ein dicht bebautes Umfeld, schwierige Eigentumsverhältnisse oder innovative Techniken. Man nehme nur die Entrauchung eines komplexen Gebäudes, für die vielleicht auch noch eine neuartige Steuerung vorgesehen ist.
Kann Planung solche Risiken ausschalten?
Es geht nicht ums Ausschalten, sondern zunächst um das Identifizieren und Offenlegen. Man kann dann im frühen Stadium der Planung dem Bauherrn sagen: Dies oder das kann zusätzlich hundert Millionen Euro kosten. Bist du bereit, dafür ein Budget vorzusehen?
Bei öffentlichen Großprojekten mögen Haushaltsrecht und Rechnungshöfe keine Risikozuschläge. Sie wollen bekannte Kosten nachgewiesen und budgetiert haben.
Sie mögen keine pauschalen Zuschläge nach dem Motto: Dieser Flughafen oder Bahnhof kostet statt der veranschlagten zwei Milliarden Euro vielleicht drei oder auch vier. Das europäische Haushaltsrecht und die deutschen Rechnungshöfe verlangen und akzeptieren aber sehr wohl Zuschläge für einzelne, genau definierte Risiken.
So etwas ist verführerisch für Ausführende. Wenn der Bauherr 20 Prozent mehr für möglich hält, dann findet das Bauunternehmen bestimmt Gründe für 20 Prozent Nachträge.
Auch das muss nicht sein. Nicht das billigste Angebot gewinnt, sondern das wirtschaftlichste. In Großbritannien zählen bei Angeboten die dokumentierten technischen Voraussetzungen mit über 50 Prozent, dagegen der Preis nur mit unter 50. Mehr Gewicht auf Wirtschaftlichkeit und Sicherheit lässt auch unser Haushaltsrecht zu.
Da werden die Angebote teurer.
Sie spiegeln den Preis wider, den das Projekt am Ende wirklich kostet. Vor allem aber werden die Risiken deutlicher und damit die Entscheidungsgrundlagen klarer. Wenn von Anfang an Kostenklarheit herrscht, dann gibt es anfangs natürlich Überraschungen in Deutschland. Wird die Planung eines Großprojekts beschlossen, hoffen alle auf Kosten von vielleicht 2,5 Milliarden Euro. Wenn sich dann bei einer gründlichen, realistischen Planung eine Summe von 6,5 Milliarden herausstellt, dann gibt es erst mal einen großen Schock. Erst recht, wenn man eventuell schon 400 Millionen Planungskosten ausgegeben hat.
Traut sich dann die Politik noch, die 400 Millionen zu bewilligen?
Wenn sie das Projekt wirklich will, ja. Planungen für Großprojekte sind dann sogar wahrscheinlicher als heute, wo sich niemand auf völlig unbekannte Milliarden-Dimensionen einlassen will. Das Verfahren hat ja große Vorzüge: erstens eine ehrliche Grundlage und zweitens die Sicherheit, dass es nicht am Ende durch Stillstände, Doppelarbeiten und immer wieder umgestoßene Zeitpläne zehn Milliarden werden.
Was muss als Erstes entstehen?
Es muss ein fundierter Bericht sein. Vorn erklärt er in Worten für Politik und Öffentlichkeit die Kosten und Risiken, hinten schlüsselt er sie für Experten in Zahlen auf. In dem Bericht steht dann auch, was man für das Geld bekommt: einen Rohbau der einfachen Art oder ein besonders ansehnliches, funktionales und komfortables Gebäude. Dann weiß jeder, worauf er sich einlässt.
Und dann ist die Planung festgeklopft, selbst wenn sich später bessere Lösungen oder neue Anforderungen ergeben?
Es kann ständig jede Anforderung von draußen kommen. Wir Planer dürfen dann nur nicht in einer Mischung aus Devotheit und Frechheit sagen: Das schaffen wir schon irgendwie, und die Rechnung kommt später. Sondern wir müssen auf Basis der Planung präzise analysieren, was diese Anforderung bedeuten würde, für Planungs- und Bauzeit, Kosten und andere Funktionen des Gebäudes. Dann hat der Bauherr die Wahl: Er kann zusätzliche Zeit und Kosten einplanen. Er kann sich eine Option erhalten, über die er später entscheidet. Oder er kann den Zusatzwunsch aufgeben.
Aber in der Bauzeit geht keine Änderung?
Wenn die Planung verlässlich sein soll, dann muss sie für alle verbindlich sein.
Das Desaster am Berliner Flughafen ist zum Gutteil auf Wünsche nach größeren Flugsteigen sowie mehr Raum für Sicherheit und Läden zurückzuführen. Kann man so etwas ignorieren und stur einen Flughafen weiterbauen, der bei der Eröffnung schon veraltet ist?
Man muss auch nichts ignorieren. Man muss aber wie in der Planungsphase den Entscheidungsträgern klar sagen, was ihre Änderungswünsche für Kosten und Bauzeit bedeuten. Dann muss der Bauherr entscheiden, ob er die Änderung wirklich will. Das funktioniert selbst bei Großprojekten mit absolut strikter Deadline. Bei den Londoner Olympiabauten gab es immer wieder Änderungswünsche vonseiten der Stadt oder der Sportverbände. Wir haben solche Anforderungen rasch bearbeitet, meist innerhalb von zehn Tagen, haben die Resultate nach dem Sechs-Augen-Prinzip von neutralen Externen prüfen lassen und den Entscheidungsträgern zugeleitet. Manches haben sie dann weiterhin gewollt, andere Wünsche haben sie aufgegeben.
Verlagern sich die Inhalte der Architekten-Arbeit gravierend – vom Gesamtplaner und -treuhänder zu einem Rädchen unter vielen?
Bei komplexen Großprojekten geht es nicht anders; da müssen Architekten Mitglieder eines Teams sein. Sie erarbeiten im Großen und schon früh in vielen Details Planungslösungen, ermitteln gemeinsam mit Ingenieuren und Ökonomen die Machbarkeit und die Kosten und bereiten Entscheidungsgrundlagen für den Bauherrn auf. In Form von Plänen, aber genauso auch in Form von Kostentabellen und Zeitplänen.
Geht da nicht die gute Architektur unter?
Was nützen die schönsten Pläne, wenn sich später in der Bauzeit herausstellt, dass dafür kein Geld da ist? Dann wird hektisch und willkürlich gespart, auch an der Architektur. Das Ergebnis ist schlechter, als wenn die Grenzen früh gesetzt sind und der Architekt in ihnen das Optimale planen kann.
Alles wird noch schwieriger und unwägbarer, weil Bürger zunehmend Anspruch auf Partizipation erheben, sich um Projektabläufe und vorhandene Pläne jedoch nicht scheren.
In Deutschland erleben wir derzeit oft Situationen mit sehr starren Fronten – leider, leider. Aber auch hier kommen wir mit einer frühen, detaillierten Planung weiter. Mit ihr kann man früh auf Bürger zugehen, kann Alternativen zeigen, selbst bewerten und von Bürgern erwägen lassen, kann Kosten und Auswirkungen nennen. Man kann und sollte auch den weiteren Informationsfluss und Schlichtungswege vereinbaren.
Wollen Wutbürger wirklich kooperieren?
Damit fängt man fundamentale Gegner eines Projekts nicht ein, schon gar nicht im Rahmen der konfrontativen Streitkultur, die Deutschland derzeit beherrscht. Aber ich hoffe, dass ehrliche Offenlegung über einen langen Zeitraum auch hier ihre Wirkung zeigt. Einen Großteil der Bevölkerung kann man an Bord bekommen, wenn die Leute verstehen, was der Ingenieur da macht, und wenn der Ingenieur den Bürgern zuhört. Planer in Deutschland haben da viel gelernt.
Oft kommt der Protest erst bei Baubeginn. Dann setzen sich die Leute vor den Bagger.
(lacht) Das kenne ich; vor bald 30 Jahren habe ich in Brokdorf selbst vor dem Bagger gesessen. Aber wenn es um weniger Heikles geht als Atomkraftwerke, dann haben Planer auch da eine Chance und eine Aufgabe. Es ist auch unser Job, dass sich die Leute gar nicht erst vor den Bagger setzen. Dafür müssen wir vorher immer wieder hingehen, müssen das Projekt transparent machen und seinen Nutzen zeigen. Und wir müssen klar darstellen, dass die Bagger-Blockade tausend Menschen vom Arbeiten abhält.
Ist das nicht Sache von Politik, Mediatoren oder Öffentlichkeitsarbeitern?
Da müssen schon wir Planer selbst ran. Was zum Beispiel, wenn ein Vermittler ohne genaue Kenntnis eine Zusage macht, die nachher das Projekt um Zigmillionen verteuert? Wir sind einfach authentischer und kompetenter.
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