Interview mit Dr. Alexander Röder, Geschäftsführer Institut Bauen und Umwelt e.V. (IBU)
Die Klima- und Umweltanforderungen an die Gebäudewirtschaft sind enorm gewachsen. Das fordert von Planern, Architekten und Bauprodukteherstellern mehr Zusammenarbeit. Das Institut für Bauen und Umwelt (IBU) bietet mit seinen Umweltproduktdeklarationen traditionell eine wichtige Schnittstelle. Wir sprachen mit dem Geschäftsführer Dr. Alexander Röder über die treibenden Trends der Branche.
Welche Herausforderungen verändern denn das Bauen der Zukunft ?
Wir sehen, dass es Herausforderungen gibt, die immer stärker in den Vordergrund rücken. Dazu zählen insbesondere Umweltaspekte wie Klima, Wohngesundheit, Lärm, aber auch soziale Themen wie Sicherheit und bezahlbares Wohnen.
Gerade beim Klimaschutz hat man bei Gebäuden schon enorm viel geleistet. Neubauten nähern sich bei der Energieeffizienz immer stärker dem mittelfristigen Ziel eines wirklichen Null-Energie-Gebäude an. Für umfassenden Klimaschutz müssen wir zusätzlich verstärkt auch auf die Herstellung der Materialien und auf die Errichtung des Gebäudes schauen. Nur so können wir über den gesamten Lebenszyklus eine Optimierung des Gebäudes, sowohl was Klimafragen als auch was Umwelt- und Sozialaspekte angeht, vornehmen.
Welche Rolle spielen hier Umweltproduktdeklarationen, also sogenannte EPDs?
Als ich angefangen habe, mich mit dem Thema Ökobilanzen – also dieser Bilanzierung über den gesamten Lebenszyklus – zu beschäftigen, da konnte man damals noch mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass ein Gebäude über 90 Prozent seiner anfallenden Treibhausgas-Emissionen während der Nutzungsphase emittiert – für Heizung, Kühlung, Beleuchtung und Ähnliches. Das hat sich mittlerweile geändert. Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) hat gutes Zahlenmaterial, wonach bei entsprechend zertifizierten Neubauten nur noch 50 Prozent der Emissionen aus dem Betrieb des Gebäudes stammen. Die anderen 50 Prozent stecken dann mit Masse in der Herstellung der Materialien. Deshalb braucht man verlässliche Informationen darüber, wie groß der ökologische Fußabdruck der einzelnen Materialien ist. Diese Informationen liefern EPDs. Die EPD liefert im Prinzip also für jedes Bauprodukt den Mosaikstein, aus dem man dann hinterher die Ökobilanz bildlich gesprochen des Gebäudes zusammensetzen kann.
EPDs enthalten übrigens mehr Informationen als nur diesen ökologischen Rucksack. Da stecken auch verlässliche Daten beispielsweise zur Bewertung der Baugesundheit etc. drin. Wir beim IBU bieten deshalb neben der sogenannten Kern-EPD, die das abbildet, was in den einschlägigen Normen gefordert wird, auch eine erweiterte IBU-EPD an, in der diese zusätzlichen Informationen mitgeliefert werden. Viele Firmen haben heute erkannt, dass sie damit ein hervorragendes Instrument haben, um in einem einzigen Dokument das gesamte Umweltprofil ihres Produktes darstellen zu können.
Ein weiteres zentrales Anliegen der Politik ist die Kreislaufwirtschaft. Inwieweit ist das IBU hierauf vorbereitet?
Es ist ein extrem wichtiges Zeichen, dass die Kreislaufwirtschaft als ein eigenständiges Thema in den Green Deal aufgenommen wurde. Damit stellt man mal richtigerweise klar, dass unsere lineare Sicht- und Arbeitsweise, die gerade auch in der Baustoffbranche immer noch sehr prägend ist, den heutigen Anforderungen nicht mehr gerecht wird. Die für EPDs wichtigste Norm EN15.804 wird ab Ende 2022 verpflichtend für alle neuen EPDs von Bauprodukten gelten. Dort nimmt dieses Thema schon ein deutlich breiterer Raum ein geräumt, weil künftig die Bereiche des Rückbaus von Gebäuden, des Recyclings von Materialien oder der Entsorgung über Deponierung und Verbrennung für fast alle Bauprodukte verpflichtend wird. Wir gehen deshalb davon aus, dass Kreislaufaspekte früher oder später als Ergänzung der bestehenden EPDs aufgenommen werden. Als ersten Schritt haben wir beim IBU das „Circularity Module for EPDs“ (CM-EPD) entwickelt: Hierbei werden die Vorgänge am Ende des Lebens eines Bauproduktes in einer standardisierten Art und Weise beschrieben. Das gibt sowohl Herstellern als auch Planern die wichtigsten Informationen an die Hand, mit denen sie ihre Projekte steuern können.
Immer öfter geht es dabei nicht mehr nur um einzelne Baustoffe, sondern um fertige Bauteile, die aus vielen Komponenten zusammengesetzt sind. Muss man die bestehenden Ökobilanzierungen und EPDs dafür weiterentwickeln?
Da sprechen Sie ein wichtiges Thema an, dass bei uns gerade eine sehr große Dynamik entfaltet. Ich erläutere das vielleicht an einem Beispiel: Wir haben im Moment in unserer Datenbank EPDs für Schließzylinder. Sie werden aber kaum EPDs für komplette Türen finden, wo der Schließzylinder zusammen mit den anderen Bauteilen – Türblatt, Drücker, Türbänder, Zarge und so weiter – aufgeführt sind. Die komplette Tür ist aber die Ebene, auf der man im Alltag arbeitet. Ein Planer möchte sich nicht seine Tür einzeln zusammenstellen, sondern sagt zum Lieferanten: „Ich brauche eine Tür, so und so breit und so und so hoch, in der Farbe und Qualität.“ Und für das Produkt will er dann am liebsten nur eine Gesamt-EPD sehen.
So etwas hat man in der Vergangenheit aber kaum gemacht. Es gab mal Ansätze zum Beispiel vom Bundesverband der Deutschen Gipsindustrie für Trockenbauwände. Das ist dann aber nicht konsequent weiterverfolgt worden. Wir arbeiten jetzt aber daran. und dafür muss die EPD eigentlich nicht weiterentwickelt werden, weil wir hier sehr modular vorgehen können: Wir sagen, dass die EPD der ganzen Tür die Summe der EPDs der verbauten Teile ist. Mit unserem Tool kann man so mit sehr geringem Zeit- und Kostenaufwand Daten zusammenführen.
Bei Baustoffen ist vor allem der Hersteller der unmittelbare Ansprechpartner. Wenn wir das Thema künftig stärker Anwenderbezogen betrachten, dann rücken eher Architekten in den Blickpunkt. Was bedeutet das für Ihre Arbeit und welche Rolle spielt hier insbesondere Digitalisierung ?
Im Prinzip gehörten Architekten und Planer immer schon zu den Zielgruppen des IBU mit dazu. Denn die EPDs sind gedacht als Information vom Bauproduktehersteller für den Planer oder Architekten, damit er oder sie in der Lage ist, die Ökobilanz seines Gebäudes konsistent und mit vertretbarem Aufwand durchzuführen. Es stimmt aber schon, dass das Thema in der Vergangenheit sehr stark von Ingenieur- oder Naturwissenschaften geprägt wurde. Das ändert sich.
Damit die Architekten das wirklich annehmen, braucht es einiger Maßnahmen: Die User möchten keine komplizierte Software, um tiefer in das Thema Ökobilanzierung einzusteigen. An der Stelle arbeiten wir bereits mit Partnern zusammen und es gibt erste sehr vielversprechende Ansätze zur Einbindung in die BIM. BIM steht für „Building Information Model“ und ist im Prinzip der digitale Zwilling des Gebäudes: Nicht mehr mit Papier und Bleistift als zweidimensionaler Plan, sondern wirklich dreidimensional mit allen zusätzlichen Funktionen.
Der zweite Punkt ist eine bessere Grundausbildung der Architekten. Nachhaltigkeitsaspekte müssen aus meiner Sicht früher oder später in den Lehrplan der Architektenausbildung mit aufgenommen werden. Sie müssen Ökobilanzierung nicht im Detail beherrschen, aber sie sollten in der Lage sein, die Ergebnisse von solchen Ökobilanzen zu interpretieren. Das ist kein Hexenwerk. Wir arbeiten hierzu verstärkt mit den Architektenkammern und mit anderen Berufsverbänden zusammen.
Der dritte Punkt ist, dass die Daten in maschinenlesbarer Form zur Verfügung stehen. Traditionell wurden EPDs als PDF-Dokument erstellt. Das ist sehr schön zu lesen, aber ein Computer kann damit nur bedingt etwas anfangen. Deshalb hat das Bundesinstitut für Bauplanung und Raumforschung vor einigen Jahren ein Format entwickelt, das sich mittlerweile in Europa für digitalisierte EPDs durchgesetzt hat. So können künftig die entsprechenden Daten auf Gebäudeebene problemlos eingelesen und weiterverarbeitet werden.
Die zweite Veränderung im Blickwinkel ist, dass wir also nicht mehr nur einzelne Bauteile oder Baten betrachten, sondern nachhaltige Städte. Was braucht es für die nachhaltige Stadtplanung?
Das IBU ist ein Verein, der von Bauprodukteherstellern getragen wird. Wir sind ein Bindeglied zwischen den Bauprodukteherstellern und den Häuslebauern im weitesten Sinne. Wir könnten auch, wenn wir beispielsweise mal einen Fertighaushersteller nehmen, eine EPD für ein komplettes Gebäude machen. Ein ganzer Stadtteil zu betrachten ist da natürlich noch mal ein Schritt weiter weg von uns. Aber prinzipiell lässt sich der Ansatz der Ökobilanzierung problemlos skalieren. Im Prinzip addiert man dazu sämtliche Umweltbelastungen einerseits über den gesamten Lebenszyklus, andererseits aber auch unterschiedliche Arten von Umweltbelastungen − Klimawandel, Versauerung, Überdüngung, Ressourcenverbrauch, um nur einige zu nennen hier. Natürlich wird man dann mit unterschiedlichen Detaillierungsgraden arbeiten müssen. Aber als Methode ist es sinnvoll, um Trade-Offs, also Zielkonflikte, zu quantifizieren.