Text: Christiane Pfau
Urlaub: Das bedeutet Rückzug und Aufbruch gleichermaßen. Das Wort allein klingt für viele Menschen verheißungsvoller als Ostern und Weihnachten zusammen. Es duftet nach Freiheit. Was heißt das für das ideale Urlaubshaus? Wer baut diese Häuser? Welche Rolle spielt der Bauherr, welche der Architekt? Sind die Planung und der Bau eines Urlaubshauses vielleicht selbst schon ein Stück Urlaub – vor allem für den Architekten, der sich im Alltag des Bauprozesses sonst eher zwischen Baukosten und Baurecht zerreibt? Darf er hier endlich einmal der Idee des „Baumeisters“ nahekommen, der über Jahrhunderte als Inbegriff des Künstlers galt?
Bettenburgen versus Baukultur
Tatsächlich ist das Wohnen im Urlaub für viele Menschen sekundär. Wichtiger ist ihnen die Nähe zum Strand, wenig Sprachverwirrung und möglichst keine Konfrontation mit Fremdartigkeiten bei überschaubaren Kosten. Investoren kommen dieser Mentalität gern entgegen und realisieren bei geringem wirtschaftlichem Aufwand und auf kurzen Wegen zur lokalen Verwaltung Bauprojekte mit erfreulicher Rendite. Das Ergebnis sind verbaute Küstenabschnitte, zubetonierte Strände und kilometerlange Camping-Areale. Die Architekten, die hier involviert sind, müssen hartgesotten sein.
Ein Architekt, der sich als visionärer Gestalter verwirklichen möchte, braucht andere Verbündete. Diese findet er in einer Urlaubergruppe, die seit Jahren stetig wächst – genauso wie die Zahl der Internetportale, die seit etwa zehn Jahren architektonisch anspruchsvolle Unterkünfte präsentieren. Das Design-Bewusstsein von reisenden Menschen hat sich in den letzten Jahren extrem verändert. Entsprechend reagieren nicht nur kleine, inhabergeführte Häuser, sondern auch Hotelketten für verschiedenste Budgets. In manchen Gefilden hat sich die Architektur so gemausert, dass es viele Urlauber heute andersherum machen: Sie planen nicht mehr zuerst das Ziel, an dem sie die kostbarste Zeit des Jahres verbringen möchten, sondern suchen als Erstes das Haus aus, in dem sie wohnen wollen, und vertrauen darauf, dass ein tolles Gebäude meist nicht in einer katastrophalen Umgebung steht.
Es geht auch im Regel-Rahmen
Wenn man sich auf Portalen wie „Urlaubsarchitektur“ durch die Vielzahl architektonisch gelungener Ferienhäuser klickt (siehe „Der Traumhaus-Sammler“), traut man manchmal seinen Augen nicht: Da werden Häuser präsentiert, die man kaum für möglich halten mag, weil sie scheinbar die Grenzen der üblichen Reglementierungen im Bauwesen außer Kraft setzen. Das stimmt so aber meist gar nicht. Den Tannerhof in Bayrischzell zum Beispiel hat der Münchner Architekt Florian Nagler ganz regelkonform auf den Kopf und wieder zurück auf die Füße gestellt. 1904 als „Kuranstalt für physikalisch diätetische Therapie“ gegründet, wird das Hotel-Ensemble heute in der vierten Generation geführt. Über die Jahrzehnte wurde es mehrfach um- und dabei verbaut. Von 2009 bis 2011 setzten die Inhaber Burgi von Mengershausen und Roger Brandes mit Naglers Unterstützung neue Akzente. „Die Zusammenarbeit mit den privaten Bauherren lebte von einer effektiven Auseinandersetzung“, beschreibt Nagler die Kooperation mit den Inhabern. Er mag anspruchsvolle Bauherren. „Ein Freibrief wäre mir zu langweilig.“ Der Architekt entwickelte ein Gesamtkonzept für das Ensemble, das den Rückbau von Anbauten, die Renovierung des Haupthauses, die Erweiterung durch eine Orangerie und die Restaurierung der alten Lufthütten am Fuße des Bergwalds beinhaltete. Neu sind die „Hüttentürme“, die auf kleiner Grundfläche drei Räume übereinanderstapeln. „Wir haben dabei alle Reglementarien berücksichtigt“, sagt Florian Nagler, „auch wenn die anspruchsvolle Architektur zunächst ein wenig erklärungsbedürftig war. Natürlich fanden manche Vertreter der Gemeinde die Türmchen ganz schrecklich. Aber der Kreisbaumeister, der selbst Architekt ist, mochte den Entwurf, und irgendwie hat es dann gut geklappt.“ Ausschlaggebend für die Bewilligung der Gemeinde war, dass der Entwurf sich nahtlos in die Landschaft einfügte. Außerdem ist der Tannerhof für die kleine Gemeinde ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor – interessante Architektur zieht solvente Touristen an. Deshalb war das Interesse grundsätzlich vorhanden, auf beiden Seiten so weit wie möglich von den architektonischen Ideen zu profitieren.
Offenheit, Pioniergeist, Vertrauen
Ein anderes Beispiel für eine effektive Auseinandersetzung ist das Hofgut Hafnerleiten in Niederbayern. In der urbayerischen hügeligen Rottaler Landschaft hat Studio LOT einen großen Dreiseit-Hof und seine Nebengebäude um sechs Häuschen ergänzt, die als Baumhaus, Wasserhaus, Terrassenhaus, Blumenhaus oder Hanghaus konzipiert sind.
Ursprünglich wünschten sich die Hofgut-Betreiber Anja und Erwin Rückerl schlicht eine Erweiterung, um Gäste unterzubringen. „Das Gelände ist aber topografisch so differenziert, dass wir nicht einfach einen massiven Klotz hinstellen wollten“, erinnert sich Anke Lorber vom Studio LOT. „Stattdessen haben wir vorgeschlagen, den einzelnen Gästen einzelne Häuser zuzuordnen. Unsere Grundidee war der typische Getreideschuppen aus Holz, der hier auf jedem Feld steht.“ In der modernen Variante ist jedes Haus anders, hat aber eine ähnliche Hülle, um Ruhe und Stringenz zu vermitteln. „Die Herausforderung war, aus einer Typologie die Vielfalt abzuleiten, ohne chaotisch zu werden“, so Lorber. Innen ist jedes Haus anders: Eins öffnet sich zum Garten, eins zum Hang, ein anderes zum Teich, und im umlaufend verglasten Baumhaus orientiert sich alles an der Treppe in der Mitte. Jedes Haus kommuniziert mit seiner unmittelbaren Umgebung.
Anke Lorber staunt heute noch über die große Offenheit der Auftraggeber – auch was die Risikobereitschaft hinsichtlich der Kosten anging. Die Architekten konnten auf keine Vergleichswerte zurückgreifen, weil dieses Bauvorhaben für alle neu war. Ideen und Budgets entwickelten sich parallel. „Was das Projekt maßgeblich geprägt hat, war das immense gegenseitige Vertrauen“, so Lorber. Dieses baute auch auf ein gemeinsames Verständnis von Architektur: „Die Rückerls haben die Idee von den einzelnen Häusern genauso getragen wie wir. Da merkten wir bald, dass wir eine gemeinsame Sprache gefunden hatten.“ Wie Nagler schätzt auch Lorber das Arbeiten für private Bauherren. „Wenn man die Entscheider mit im Boot hat, geht es schneller und konstruktiver vorwärts. Das ist völlig anders als die Zusammenarbeit mit öffentlichen Partnern oder großen Wirtschaftsunternehmen.
Da kommt es eher vor, dass man der Willkür Einzelner ausgeliefert ist, unter der dann das Gesamtkonzept leidet. Bei den privaten Auftraggebern wird kein Geld verschwendet, aber die Suche nach kreativen Lösungen ist wesentlich werteorientierter.“ Dazu gehörte die Entscheidung für nachhaltige, hochwertige Materialien wie Schiefer in den Bädern, heimische Lärche als konstruktives und sichtbares Holz, Eiche für die Böden (wegen seiner Härte), Kortenstahl und samtigen Beton im Außenbereich. Teurer in der Anschaffung, altern sie in Würde, ohne ständig kostspielige Pflege einzufordern.
Übersetzungsarbeit
Viele Bauherren, die sich auf solche Bauprojekte einlassen, haben sehr klare Vorstellungen – die sich manchmal jedoch nicht direkt an der Realität orientieren. Eine der ersten Aufgaben der Architekten besteht hier in der Übersetzungsarbeit. Kreative Bauherren wie die Berliner Designerin Johanna Michel, die mit dem Architekten Thomas Kröger ein puristisches Ferienhaus in Brandenburg realisiert hat, wissen diese Leistung zu schätzen. So sagt Michel über den Entstehungsprozess des sogenannten „Schwarzen Hauses“: „Wir brauchten einen Architekten, der unsere Gedanken verstand und sie übersetzen konnte. Er musste uns in unseren Bildern abholen und uns dann nach und nach auf den richtigen Weg führen.“
Thomas Kröger scheint hierfür das richtige diplomatische Händchen zu haben: Mit seinem Berliner Büro hat er inzwischen mehrere Häuser in der brandenburgischen Uckermark geplant (siehe „Luxus der Einfachheit“), wo viele Berliner ihre Wochenend Zuflucht finden. Die Häuser zeichnen sich durch eine Eigenwilligkeit aus, die eine schnörkellose Formensprache mit einer räumlichen Großzügigkeit verbindet. Bestes Beispiel ist die „Rote Scheune“: Der Umbau eines großen Stalls, der geschickt mit Transparenzen und verschiedenen Ebenen spielt, brachte das Büro in diesem Jahr bis ins Finale des DAM-Preises für Architektur in Deutschland.
Die Freiheit, die Architekten im Genre „Ferienhaus“ entfalten können, wünscht man sich auch im Alltag, im heimischen Straßenbild, in der Ödnis von Neubauvierteln. Manchmal funktioniert das sogar: Die Ideen, die Thomas Kröger mit seinen Bauherren auf dem Land ausprobiert hat, lässt er nun in große urbane Bauprojekte wie in München einfließen, wo er gerade zusammen mit dem Projektentwickler Euroboden und Stefan F. Höglmaier ein Mehrfamilienhaus gegenüber dem Deutschen Museum realisiert. In der Innenstadt allerdings schlägt sich die räumliche Großzügigkeit schnell in schwindelerregenden Preisen nieder. Wie gut, dass man sich zumindest im Urlaub auch als temporärer Hausherr von gelungener Architektur verzaubern lassen kann.
Christiane Pfau ist Autorin für Kultur- und Architekturthemen. Sie lebt in München.
Buch-Tipp
Weitere Beispiele gelungener Ferienhäuser präsentiert die aktuelle Edition „Urlaubsarchitektur“, die 31 Bauten in ganz Europa vorstellt.
Mehr Informationen und Artikel zum Thema „mobil“ finden Sie in unserem DABthema mobil
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