2014 baute Jan Glasmeier mit seinen damaligen Büropartnern von a.gor.a Architects ... (Klicken für mehr Bilder)
Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Plan B“ im Deutschen Architektenblatt 03.2021 erschienen.
Rund 550 Euro im Monat bekam Jan Glasmeier als Berater der Flüchtlingsklinik im thailändischen Mae Sot an der burmesischen Grenze. „Davon kann man dort bescheiden leben“, sagt er. 35 Gebäude, von der Tuberkulose-Station bis zur Leichenhalle, plante und baute er dafür mit den Migranten und Helfern aus aller Welt. Mit minimalem Budget gelang ihm eine Poetik des Wesentlichen. „Für mich gibt es nichts Größeres“, sagt er.
Zunächst war Glasmeier nur seiner britischen Frau gefolgt, die für die Klinik Spenden einwarb. Doch dann wurde aus dem Atemholen mehr: Bei Arup in Singapur hatte er sich wie ein kleines Rädchen gefühlt. Seine Verbesserungsvorschläge wurden oft kurzerhand vom Tisch gewischt – „es ging nur um Profit und Konkurrenz“, erzählt er. Also gab er 2011 den sicheren Job auf.
Ein Klassenzimmer für 25 Euro pro Quadratmeter
In der boomenden, multi-ethnischen Kleinstadt Mae Sot brauchte man ihn für lebenswichtigere Dinge. Bald fand Glasmeier Gleichgesinnte, mit denen er auch andere Non-Profit-Projekte realisieren konnte. Vor allem ging es hier stets um den gesamten Bauprozess: „Es ist eine ganz andere Form der Kreativität“, schwärmt er. „Ich musste hier nie eine Ansicht zeichnen.“
Er ließ sich von Einheimischen den Lehmbau mit Reishülsen zeigen und wurde ein Meister im Improvisieren. Obwohl er gern mit Menschen arbeitet und bald etwas Thai und Burmesisch sprach, musste er sich an die andere Lebens- und Arbeitsweise der Menschen erst gewöhnen, den „Kontrollverlust“, wie er es nennt. „Ich habe hier genauso viel gelernt wie umgekehrt“, gesteht er.
Etwa, ein Klassenzimmer für 1.300 Dollar zu bauen, also für 25 Euro pro Quadratmeter. Für die Deckenträger schusterten sie Altholz zusammen. Als Belastungsprobe genügte ein Mittagsschlaf in der daran befestigten Hängematte. Wände modellierten sie meist aus dem Aushub der Baustelle, den sie zuvor mit Reishülsen vermengt, zu Ziegeln geformt und getrocknet hatten.
Schlafsäle aus Holz, Bambus und Blättern
Oder Schlafsäle aus Bambus zu errichten. Auch hier nahm das Team, was es vor Ort finden konnte. Die am Boden vormontierten Querjoche aus Holzbalken konnten wenige Helfer aufrichten und in Längsrichtung fixieren. Die Kammern wurden durch einfaches Geflecht abgeteilt, das Dach mit Blättern gedeckt – eine luftige Lösung, nicht für die Ewigkeit gedacht, doch sehr funktional. In solchen Konstruktionen zeigt sich ein bemerkenswertes Cross-over der Kulturen: Während das abgespeckte Tragwerk die „westliche“ Schulung erkennen lässt, nehmen Kontur und Materialität klar auf lokale Ressourcen Rücksicht.
„Bauen für eine bessere Welt“
Bald wurden Medien auf die innovative Pro-bono-Arbeit des Teams aufmerksam. Sogar im fernen Europa errang es für das Klassenzimmer einen Detail-Preis und wurde ins Deutsche Architekturmuseum eingeladen: „Think global, build social – Bauen für eine bessere Welt“ hieß 2013 die Schau.
Die Anerkennung lockte freiwillige Helfer von westlichen Hochschulen an, wo Design-build-Projekte beliebter wurden. Und auch Spendengelder flossen etwas leichter, sodass auch mal Stahlträger, Beton und Trapezblech zum Einsatz kamen.
Architektur gilt in Thailand als Luxus
In Thailand selbst ergaben sich mit der Zeit sogar ein paar besser bezahlte Aufträge. Obwohl Architektur hier als Luxusobjekt gilt und man generell sehr statusbewusst baut – Beton gilt als modernes Nonplusultra –, gelang es dem a.gor.a Architects getauften Team (mit Albert Company Olmo und Line Ramstad), eine Reihe bescheidener Wohnhäuser zu realisieren. Oft kontrastieren darin klare Dachkonstruktionen mit geschwungenen, nicht tragenden Lehmziegelwänden.
Bauen am Rande der Legalität
Solche Aufträge erledigte Jan Glasmeier an der Grenze der Legalität. Während auf dem Land die Klinik- und Sozialbauten stets informell genehmigt oder als temporär geduldet wurden, könnte er in Bangkok nicht so einfach als Architekt arbeiten. Dafür müsste er eine Prüfung auf Thai ablegen, das er nicht ausreichend beherrscht. Thailand hat selbst eine hoch entwickelte Baukultur, und er weiß die ihm bislang entgegengebrachte Toleranz zu schätzen. „Stellen Sie sich vor, ein thailändischer Architekt würde hier bei uns einfach anfangen zu arbeiten. Da würde er sofort belangt.“
Wohltätigkeit zwischen den Welten
Inzwischen hat sich Glasmeier von a.gor.a Architects getrennt und firmiert seit 2017 unter dem Namen Simple Architecture. Mit seinem Ein-Mann-Büro baute er zuletzt auf einer ökologischen Plantage ein großzügiges Teehaus. Als dessen Stützen dienen alte Baumstämme, die sich vor Ort fanden. Das Dach besteht aus lokal hergestellten Lehmziegeln.
Aktuell ist der Kosmopolit mit seiner Frau wieder nach London übergesiedelt. Bis kurz vor der Corona-Krise hat er mit Studierenden, unter anderen von der Hochschule Coburg, noch kleinere Gebäude in Mae Sot realisiert. Und solche Design-build-Projekte, für die er oft auch die Spendengelder mobilisiert, möchte er dort weiterhin betreuen – „etwa zehn Wochen im Jahr“ sind geplant, „auch wenn der ökologische Fußabdruck der weiten Flugreisen manchmal fragwürdig ist“, wie er zugibt.
Design Build Projekte mit Studierenden
Nicht nur wegen der Pandemie versucht er deshalb, mehr online abzuwickeln. So betreut er einen Tag in der Woche online Studierende im Ecotopia-Projekt der Hochschule Augsburg, das ein Öko-Resort in Sri Lanka konzipiert. Auch einen Schulbau in Uganda plant er derzeit komplett aus der Ferne, mithilfe eines Kontaktmannes vor Ort. Daneben hat Glasmeier einen regulären Lehrauftrag am Base Habitat der Kunstuni Linz, einem Aufbaustudiengang für nachhaltiges und soziales Bauen. Dort lehrt auch Anna Heringer, die seit Langem ähnlich wie er Baukulturgrenzen überschreitet. Mit den Studenten hat er gerade in Altstetten in der Schweiz einen Lehmbau-Pavillon errichtet, was ihn zur Geduld zwang: „Der Lehm braucht hier zehn Tage zum Trocknen, in Thailand zwei.“
Für Vorträge über „community architecture“ und partizipatorisches Bauen kommt der 46-Jährige gern immer wieder in die alte Heimat – aufgewachsen ist er in Gelsenkirchen, studiert hat er an der TU Darmstadt. International gut vernetzt, kommt er auch finanziell über die Runden: „Ich kann es mir erlauben, nicht mehr für andere zu arbeiten.“
Wir berichten außerdem, wie das junge Kollektiv Supertecture bauliche Entwcklungshilfe leistet und haben zusammengestellt, wo Sie sich selbst engagieren können oder Informationen bekommen.
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