Kurz bevor der Krieg endete, hielt den 16ährigen „Volkssturm“-Soldaten Helmut Morlok ein magerer Mann in einem gestreiften Anzug und mit einer Pistole in der Hand an. Morlok erinnert sich an seinen Gedanken: „Ausgerechnet von einem KZ-ler musst Du dich gefangennehmen lassen.“ Vier Jahre lang hatte er auf „Ordensburgen“ zum Elite-Nazi erzogen werden sollen.
Später wurde er Architekt und in Isny im Allgäu Teilhaber des noch heute florierenden Büros GMS. Sein Schwerpunkt liegt auf Industrie-, Büro- und Verwaltungsbauten; der Büroprospekt nennt unter Dutzenden Referenzen als letzten bescheide „Erhaltungsarbeiten der Gedenkstätte Auschwitz, Polen“. Dorthin kam Morlok zum ersten Mal in den 1970er Jahren durch sein Engagement in der evangelischen „Aktion Sühnezeichen“. Seitdem war er mehr als hundert Mal dort, reist auch als über 80jähriger noch vier- oder fünfmal im Jahr hin, berät und hilft bei der Restaurierung und engagiert sich vor allem für die Jugendbegegnungsstätte Auschwitz.
Die Idee zu deren Bau hatte der „Sühnezeichen“-Gründer Franz von Hammerstein schon seit 1971, nach dem legendären Kniefall Willy Brandts am Warschauer Ghetto-Mahnmal. Lange schleppte sich der Plan dahin. Ein polnischer Opferverband wollte für das Begegnungszentrum einen Neubau errichten; das staatliche Büro des Wojwodschafts-Architekten entwarf ihn, doch 1981 kam das Kriegsrecht dazwischen. Mit dem Projekt waren Morlok und viele andere auch nicht glücklich gewesen: „Viel zu groß, zu monolithisch und starr- heute wäre der Bau wahrscheinlich längst wieder abgerissen.“ Dann war das Aufnahmegebäude des KZs im Gespräch. „Das fand ich grundfalsch. Man soll doch in der Begegnungsstätte nicht verstummen; mal soll auch unbefangen fröhlich sein können.“
Ohne Auftrag machte Morlok zusammen mit seinem Bürokollegen Edwin Heinz einen eigenen Entwurf. „Es sollte ein Ort des Zusammenkommens, des gegenseitigen Verstehens und Versöhnens werden. Wichtig war, ihm im völligen Gegensatz zur KZ-Architektur zu gestalten“: als offene, leichte, in Grün eingebettete und unspektakuläre kleine Häusergruppe. 1985 stellte er sie einer Kommission des polnischen Opferverbands vor. Einer, der ihm gegenübersaß, war besonders aufmerksam. „Er verstand sofort, dass die Anlage auch für Freiheit und Unreglementierbarkeit stehen sollte.“ Dieser Mann war Alfred Przybylski, der als Häftling KZ-Pläne hatte zeichnen müssen. Mit ihm verband Morlok tiefe Freundschaft bis zu Przybylski Tod neun Jahre später. Auf www.DABonline.de stehen eine Würdigung Morlkos für Przybylski.
Im turbulenten Polen der 1980er Jahre entstand zwischen Solidarnosc -Aufstand, Kriegsrecht und Befreiung die Begegnungsstätte. Deutsche Fertigbaufirmen lieferten die Teile; Morlok und alle Büroarchitekten opferten ihre Urlaubstage als Bauleiter in Auschwitz. Honorar nahm dafür keiner. Am 7.Dezember 1986, vor genau 25 Jahren, wurde die Jugendbegegnungsstätte eingeweiht. Morlok sorgte noch dafür, dass sie in die Hände der Stadt und nicht eines fernen Warschauer Verbandes kam. Für Morlok ist das Engagement in Auschwitz zum Lebensinhalt geworden. Er gehört zu den führenden Köpfen der Denkmalpflege im Lager, hat das erste deutsche Hilfsprogramm für die Gedenkstätte koordiniert, das Bundesverdienstkreuz und die für ihn wichtigere Ehrenmedaille der Stadt Oświęcim erhalten. Seine Jugendbegegnungsstätte bezeichnete Maurice Goldstein, Präsident des internationalen Auschwitz-Kommitees, einmal als „andere Seite der Welt“.