Von Christina Gräwe
Frankfurt hat sein Herz zurück“ – emotionalisiert die Tourismusseite der Stadt und dürfte damit aus demselben vieler Bürger und Besucher sprechen. Nach hitzigen und kontroversen Debatten und nach sechseinhalb Jahren wurde im September 2018 die Neue Altstadt eröffnet. Grund, geradezu Pflicht für das Deutsche Architekturmuseum DAM, eine große Ausstellung zum Thema zu zeigen.
In zwei Fallen tappten der Kurator Philipp Sturm und Co-Kurator Moritz Röger nicht. Die Ausstellung lässt sich von keinem Lager – ob Traditionalisten oder Moderne-Verfechter – einspannen. Und sie stellt nicht die Architektur in den Fokus, die ohnehin auf der anderen Mainseite fußläufig 1:1 zu erleben ist. Stattdessen wird die Debatte um den Umgang mit der mittelalterlich geprägten Altstadt, die schon um 1900 beginnt, sachlich aufgerollt.
Zwei Lager kristallisierten sich erst in der Zeit des „Neuen Frankfurts“ heraus, als sich mit Ernst May als Chef des Hochbauamts und radikalem Modernisten und Fried Lübbecke, dem Gründer des noch heute (unter anderem Namen) existierenden „Bund tätiger Altstadtfreunde“, zwei Kontrahenten gegenüberstanden. Viel passiert ist in der Altstadt damals allerdings nicht, bis sie bei Bombenangriffen im März 1944 weitgehend abgeräumt wurde.
Die Stationen der immer auch politisch aufgeheizten Planungen seither und ihre Auswirkungen auf das Stadtbild lassen sich an sorgfältig ausgewählten Exponaten nachvollziehen. Großformatige (Luft-)Fotos machen Bild und Atmosphäre des Areals zwischen Dom und Römer auch für jüngere Besucher lebendig: Das Schuttfeld nach 1945 lichtet sich, südlich und östlich des Doms wachsen luftige Wohnzeilen; da wird Anfang der 1960er-Jahre das Filetstück der Stadt als riesiger Parkplatz genutzt, bevor zehn Jahre später die Tiefgarage mit dem stets ungeliebten Technischen Rathaus entsteht.
Alle zehn Jahre anders
Wieder zehn Jahre weiter blickt man über den Römerberg zur frisch rekonstruierten Fachwerk-Ostzeile. Zeitgleich zieht mit der Schirn und etwas später der Saalgassenbebauung die Postmoderne ein. Eingestreut in den nischenartig aufgebauten Rundgang sind die Ergebnisse zahlreicher Wettbewerbe, darunter auch überraschende Entdeckungen. Candilis, Josic und Woods beispielsweise schlugen 1962/63 eine Clusterstruktur vor: innen mittelalterliches Labyrinth, außen ein zusammenhängendes viergeschossiges Gebäude, das das gesamte Areal überdeckt.
Über das – wiederum umstrittene – Wettbewerbsergebnis von 2005 von (damals noch) KSP Engel und Zimmermann und den anschließenden Paradigmenwechsel hin zu mehr Rekonstruktion rückt man in die Gegenwart vor. 2011 fand ein weiterer Wettbewerb für 35 Gebäude statt, darunter 15 „schöpferische Nachbauten“. Die verschiedenen Grade der Rekonstruktions-Interpretationen lassen sich in der Ausstellung studieren, bevor man vor einem weiteren Großfoto aus der Vogelperspektive auf die frisch glänzende Neue Altstadt schaut. Stimmen, die diesen jahrzehntelangen Streit begleitet haben, kommen auf einer langen Wand mit Zitaten zu Wort.
Der Besuch der Ausstellung (verlängert bis zum 12. Mai) lohnt sich unbedingt und auch für Auswärtige, denn Frankfurts Neue Altstadt steht für eine überregionale Debatte. Der Katalog ist bei jovis erschienen und kostet im Museum 48 statt 58 Euro.
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