Von Cornelia Dörries
Es ist noch nicht so lange her, da galten Krankenhäuser als gestaltungsresistente Orte. Lange, kahle Flure und grell ausgeleuchtete Patientenzimmer verströmten einen aseptischen Charme, und die für Kliniken nachvollziehbar strengen Normen und Hygienevorschriften schienen sich ausschließlich mit standardisierten Möbeln und den Farben Weiß, Grau und Eisblau umsetzen zu lassen.
„Im Klinikbereich dachte man bis vor Kurzem ausschließlich in den Begriffen von Funktionalität, Flächeneffizienz und Prozessoptimierung. Ästhetik ist hier ein ganz neues Thema“, sagt Sylvia Leydecker. Sie muss es wissen, denn sie ist eine Innenarchitektin, die sich in den letzten Jahren intensiv mit der Gestaltung von Krankenzimmern, Arztpraxen und Kliniken auseinandergesetzt hat. „Ein innenarchitektonisch-gestalterischer Anspruch hat sich im Gesundheitswesen viel später durchgesetzt als in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens“, so die Kölnerin. „Auch deshalb sind Krankenhäuser oder Gesundheitszentren erst in den letzten Jahren zu einer Aufgabe für Innenarchitekten geworden.“ Und der widmet sich Sylvia Leydecker seit 2006 mit Leidenschaft und großem Erfolg. Inzwischen ist sie zu einer Spezialistin geworden, die mit Krankenkassenvertretern und Klinikdirektoren in deren Sprache reden kann, und der Worte wie „Urin-Dichtheit“ oder „Sturzprophylaxe“ ganz selbstverständlich über die Lippen kommen, wenn sie von ihren Projekten erzählt. „Kollegen empfinden Health Care und Pflege noch als unsexy“, sagt Leydecker. Ein seltsames Vorurteil. Denn Planer stehen dort vor durchaus aufregenden und gestalterisch anspruchsvollen Aufgaben, bei denen es darum geht, ein Höchstmaß an Funktionalität mit gutem Design für eine sehr heterogene, anspruchsvolle Zielgruppe zu verbinden. „Unsexy ist höchstens die lange, bürokratielastige Vorlaufzeit der Projekte.“
Suiten mit Chefarztbehandlung
Nun ist es jedoch beileibe nicht so, dass die Krankenhäuser in Deutschland reihenweise Innenarchitekten anheuern würden, um bei der eingangs beschriebenen Trostlosigkeit endlich Abhilfe zu schaffen. „Schön wär’s“, seufzt Sylvia Leydecker. In den meisten Fällen beschränkt sich ihr Wirken noch auf die Bereiche für Privatpatienten, also jene Zimmer und Abteilungen, in denen Krankenhäuser über die von den Kassen verlangten, sogenannten Regelleistungen hinaus eine Art gehobenen Service anbieten. Der Wettbewerb um die gut zahlenden Privatpatienten wird längst nicht mehr nur über die Chefarztbehandlung und das Einzelzimmer mit Flachbildfernseher ausgefochten, sondern auch mithilfe von ansprechend eingerichteten Krankenzimmern. „Die neuen Räume sollen nicht mehr nach steriler Klinik aussehen, sondern Hotel-Charakter haben. Gefragt sind komfortable Patientenzimmer mit Sofalandschaft und Mini-Bar, in denen sich die Kranken wie Hotelgäste fühlen sollen“, so Leydecker. Eine angenehme Vorstellung, keine Frage. Doch mit den üblichen Kriterien für die Raumgestaltung in Hotels kommt man im Klinikbereich nicht weit. Was am Ende vielleicht wie ein gutes Hotel aussieht, muss immer auch den funktionalen und medizinisch-pflegerischen Kriterien des Krankenhausalltags genügen. Denn welcher Hotel-Planer macht sich schon Gedanken über die zweckmäßige, gleichwohl diskrete Platzierung eines Druckspenders für die Handsterilisation des Pflegepersonals?
Mitunter steht Sylvia Leydecker auch vor ganz anderen Herausforderungen. Zum Beispiel dann, wenn ihr die Klinik bei der Planung zwar freie Hand lässt, aber auf einer bestimmten Bettwäsche beharrt. „Das kann beim Entwurf nicht ignoriert werden, sodass die quasi unveränderlichen Farben dieser Bettwäsche integriert werden müssen. Auch das kann ein gestalterischer Bezug sein, mit dem sich arbeiten lässt“, weiß sie.
Imagefaktor Innenarchitektur
Dass sich große Klinikkonzerne und Krankenhausbetreiber eine professionelle Innenarchitektur leisten, führt Leydecker auf ein geschärftes Bewusstsein für den Wert einer guten Gestaltung zurück, die sich auch in dieser Branche zunehmend in barer Münze auszahlt. „Die Häuser locken die lukrativen Privatpatienten mit Design und Innenarchitektur, und auch für die Anwerbung begehrter Fachkräfte und Ärzte ist ein ansprechendes Haus mit einer angenehmen Atmosphäre ein wichtiger Imagefaktor.“ Etliche Auftraggeber ihres Büros bestellen sich mit den neuen Räumlichkeiten auch eine Art Visitenkarte. Doch sie räumt zugleich ein: „Manchmal geraten funktionale Fragen gegenüber Marketing-Ideen ins Hintertreffen.“ Nicht immer sind Polsterlandschaften, Eames-Schalensitze oder Bisazza-Mosaikfliesen im Krankenhaus die beste Wahl. „Nach einer Hüft-OP braucht ein Patient keinen tiefen Loungesessel, sondern einen stabilen Stehtisch. Und Leuchten, die zwar gut aussehen, die aber keiner sauber halten kann, haben im Krankenhaus auch nichts zu suchen.“
Feuchtigkeitsabweisende Oberflächen, die Desinfektionsmittelbeständigkeit des Fußbodens oder mikrobiologische Eigenschaften von Fugen im Badezimmer – all das muss Sylvia Leydecker bei ihrer Planung berücksichtigen. Als Mitglied von AKG (Architekten für Krankenhausbau und Gesundheitswesen), einem Arbeitskreis innerhalb des BDA, ist sie ständiger Gast auf Health-Care-Konferenzen im In- und Ausland und bildet sich im engen Austausch mit Hochbau-Kollegen, Herstellern und Krankenhausbetreibern weiter. „Man wird automatisch zum Experten mit ungeheurem Spezialwissen. Aber anders lassen sich die Aufgaben in diesem Bereich auch kaum mehr bewältigen.“ Nicht mal bei einer Pause im Café um die Ecke kann sie richtig abschalten. Es ist ein sehr schönes Lokal, von professioneller Hand gestaltet. „Tja, das sieht zwar gut aus“, gibt Sylvia Leydecker zu. „Aber schauen Sie: Die Stühle haben keine Armlehnen. Und hier in der Gegend leben vor allem alte Leute, die können ohne Armlehnen einfach nicht aufstehen.“ Manchmal reicht ein einziger Satz, um eine gute Innenarchitektin zu erkennen.