Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Palazzo oder Fabrik?“ im Deutschen Architektenblatt 10.2024 erschienen.
Landau + Kindelbacher: Bernheimer Palais in München
München, Innenstadt. Durch das Eingangsportal in der Ottostraße 6 betritt man eine breite Halle, die mehr dem Vestibül einer italienischen Villa des 16. Jahrhunderts denn dem Empfang eines Architekturbüros des 21. Jahrhunderts ähnelt: Schwarz-weiß karierter Marmorboden, hohe schlanke Säulen, weiß getünchtes Kreuzrippengewölbe, ein opulenter Kamin im Neorenaissancestil. Zwei portalartig gerahmte Türen führen an den Schmalseiten links und rechts in zwei lang gestreckte, hohe Räume.
Modernes Büro in neobarockem Ambiente
Während im Eingangssaal der Denkmalschutz keine Veränderung zuließ, bieten diese beiden annähernd gleich großen Säle exzellentes Anschauungsmaterial für eine Symbiose von Alt und Neu, von Münchner Historismus und hochwertigem zeitgenössischem Office-Ambiente. Wir sind im Büro der Innenarchitekten und Architekten Landau + Kindelbacher.
2022 haben die beiden Firmengründer und Inhaber nach dem Auszug der vormaligen Gastronomie die Räume im ehrwürdigen Bernheimer Palais bezogen. Dessen Name geht zurück auf den Textil-Kaufmann Lehmann Bernheimer, einst Hoflieferant des bayerischen Königshauses, der 1888/89 das Palais vom Architekten Friedrich von Thiersch im neobarocken Stil errichten ließ.
Kunden schätzen Showroom-Atmosphäre
Zwanzig Jahre später kam der rückwärtige Erweiterungstrakt in der Ottostraße hinzu, in dem die Architekten heute sitzen. Natürlich dienen diese prominente Lage, einen Steinwurf vom Stachus entfernt, und der repräsentative Rahmen auch der Selbstdarstellung des Büros, das zu seinen Kunden zahlreiche erste Adressen der Industrie zählt sowie eine private Klientel, die von Kitzbühel bis St. Tropez Bau und Ausstattung ihrer Villen in Auftrag gibt.
Für die Wahl des noblen Münchner Standorts sprach nach Gerhard Landau aber besonders auch die Erdgeschosslage und damit die Einsehbarkeit von außen. „Unsere Kunden schätzen eine Showroom-Atmosphäre.“
Architektur und Innenarchitektur ganzheitlich gestaltet
1.300 Quadratmeter Fläche stehen den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen insgesamt zur Verfügung, deren Zahl sich heute auf 70 beläuft. Im Saal links sitzen die Innenarchitekten, rechts die Architekten.
Eine nahezu ausgeglichene Zahl beider Berufsgruppen entspricht zwar nicht dem jeweils generierten Umsatz, aber sie spiegele, so Gerhard Landau, doch die ganzheitliche Betrachtung des Büros wider, die ihr Vorbild in der Arts-and-Crafts-Tradition habe, die vom Gebäude bis zum innenarchitektonischen Detail idealerweise einer gestalterischen Linie folgt.
Fußbodenheizung und Lüftung
Beide großen Office-Räume sind zurückhaltend in Weiß gehalten; nur einzelne Pflanzen und Materialbemusterungen setzen auflockernde Akzente. Man habe einen weitgehend neutralen Rahmen gewollt, so Gerhard Landau.
Beherrscht werden die Räume von den zur Straße gerichteten hohen Rundbogenfenstern, die für Helligkeit und Großzügigkeit sorgen. Zwischen ihnen sind als neuer gestalterisch-funktionaler Aspekt jeweils schlanke Lüftungstürme installiert, die im Verbund mit der Fußbodenheizung den Grundbedarf der Heizleistung liefern und für eine gleichmäßige Luftverteilung sorgen.
Legendäres Restaurant „Lenbach“
Im Saal links dinierte im legendären Restaurant „Lenbach“ ehemals ein internationaler Jetset von Karl Lagerfeld bis zu den Rolling Stones. Den Boden bilden hier elegante beige Steinplatten. Die Schmalseite des Raumes nimmt ein ebenfalls in dezentem Weiß gehaltenes großes Stoffpaneel ein.
Sein dekoratives Muster ist an den Stuck der Decke angelehnt, seine Hauptfunktion besteht jedoch im Schallschutz. An der der Fensterfront gegenüberliegenden Längsseite unterhalb der Empore – dort, wo früher die Barkeeper ihrer Kunst nachkamen –, liegen nebeneinander ein Rückzugsraum, zum Beispiel für Videocalls, sowie zwei Räume mit umfangreichen Materialbibliotheken.
Schalldichte Besprechungsboxen
Leicht verändert gibt sich der gegenüberliegende Saal, durch den ein podestartig erhöhter Mittelgang führt (zum Schutz des denkmalgeschützten Bodens), in den als Hohlraum die Haustechnik integriert wurde.
Hier in der Mitte des Saales sind auch zwei gläserne schalldichte Besprechungsboxen eingestellt worden, deren schwarzer Metallrahmen freilich stark mit der Umgebung kontrastiert und das markanteste Merkmal moderner Büroarchitektur darstellt.
Spindeltreppe als architektonischer Hingucker
Durch die Mitteltür des Entrees gelangt man in das rückwärtig gelegene Casino, in dem ein Hochtisch mit anthrazitfarbener Platte aus Feinsteinzeug sowie weitere Sitzgelegenheiten Platz für Kommunikation und Imbiss bieten. Architektonischer Hingucker ist hier eine sechs Meter hohe Spindeltreppe aus Stahl mit durchlaufendem Glasgeländer, die zum Mezzaningeschoss führt.
Hier liegen zwei Besprechungs- beziehungsweise Präsentationsräume, gedacht für eine Klientel, die zum Teil Wert darauf legt, möglichst diskret per Aufzug aus der Tiefgarage diese Ebene erreichen zu können. „Der Durchbruch durch die Decke war eine enorme Anstrengung“, so Gerhard Landau. „Wir mussten eine Betonbohrung mit einem exakten Durchmesser von 240 Zentimetern durchführen – und das im denkmalgeschützten Rahmen!“
Homeoffice kaum genutzt
Vom Foyer wie den Besprechungsräumen blickt man auf den rückwärtigen Innenhof, der von den Mitarbeitern gerne für Treffen im Freien genutzt wird. Bei so viel gestalterischem Aufwand sollte die Präsenz der Angestellten im Büro eigentlich kein Problem sein?
Man biete, so Gerhard Landau, optional zwei Homeofficetage pro Woche an, die aber tatsächlich wenig in Anspruch genommen würden. Angesichts der Kommunikationsintensität von Architekturbüros scheint das womöglich auch gar nicht sinnvoll.
Innenarchitektur als Premiummarke
Ob die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen (Letztere sind deutlich in der Überzahl; auch die Geschäftsführung ist weiblich) sich von der noblen (an manchen Stellen vielleicht doch etwas unterkühlt wirkenden) Eleganz ihrer Arbeitsumgebung motivieren lassen?
Man kann es vermuten. In seiner ästhetisch klar definierten, einer Premiummarke entsprechenden Konsequenz präsentiert sich das Büro jedenfalls als Muster seiner Klasse.
Stanke Interiordesign: Alte Tuchfabrik in Euskirchen
Schwenk nach Euskirchen, NRW. Auf den ersten Blick könnte der Kontrast zur mondänen Atmosphäre des Münchner Büros von Landua + Kindelbacher kaum größer sein.
Euskirchen, eine linksrheinische Mittelstadt mit rund 60.000 Einwohnern, 35 Kilometer von Köln entfernt abseits der Metropolen gelegen, ist seit 2019 die Heimat der Innenarchitektinnen von Stanke Interiordesign.
Factory-Flair in der Provinz
Ein Grund für die Standortwahl lag – neben der Herkunft von Firmengründerin Nadia Stanke – im Charme des unmittelbaren Umfelds: Eingerichtet haben sich Nadia Stanke und ihr junges Team in einem mehrstöckigen, gut erhaltenen Fabrikgebäude aus den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts mit hohen Fenstern und den fabriktypischen Mauerankern in der Fassade.
Der Trakt ist Teil des am Rande der Stadt, fast auf freier Wiese, gelegenen 20.000 Quadratmeter großen Areals einer ehemaligen Tuchfabrik, auf dem früher vor allem Militäruniformen angefertigt wurden.
Nach Leerstand und einer Sanierung in den 1980er-Jahren ist das Areal zu einem Kreativ-Zentrum mit Start-ups, Werkstätten und Veranstaltungsräumen geworden, das die Stadt zum Innovationszentrum weiterentwickeln will.
Das Wasser stand einen Meter hoch
In die Schlagzeilen kam die Alte Tuchfabrik jedoch im Zusammenhang der desaströsen Ahrtal-Überschwemmung vor drei Jahren. Damals wurden die meisten Teile des Geländes innerhalb eines Tages komplett unterspült.
Nicht nur das Mobiliar ging verloren, auch Boden und Wände waren teilweise nicht mehr zu retten. Einige Firmen auf dem Gelände mussten aufgeben, erzählt Nadia Stanke: „Das Wasser stand einen Meter hoch in unseren Arbeitsräumen. Auch wir waren damals nicht versichert, konnten aber mithilfe von Freunden und der staatlichen Fluthilfe, die nach eineinhalb Jahren 80 Prozent der Schäden übernahm, weitermachen.“
Büro wurde vergrößert
Damals machte man aus der Not eine Tugend, entfernte eine Zwischenwand zur Nachbarfläche und konnte so das Büro auf nun 285 Quadratmeter erweitern – ausreichend Platz für die insgesamt zwölf Mitarbeiterinnen.
Dass ihr Team, das die Bereiche Innenarchitektur, Architektur, Design und Mode abdeckt, ausschließlich weiblich besetzt ist, ist dabei Zufall, so Nadia Stanke.
Regal für Teppichmuster und Fachliteratur als Raummöbel
Im Kern besteht das Büro nun aus einem einzigen, circa fünf Meter hohen Raum, der von den neu eingesetzten Aluminiumfenstern gut belichtet wird.
Hauptgliederungselement ist ein L-förmiges, circa zweieinhalb Meter hohes Regal, das Teppichmuster und Fachliteratur enthält. Mittig im Raum stehend, trennt es den fensternahen Arbeitsplatzbereich von dem rückwärtigen Küchen- und Cafébereich.
Für jede Nutzung eine Zone
Die Ecke des Regals rahmt eine von Stoffwänden eingefasste „High-Back“-Sitzgruppe, die vier Personen Möglichkeit für Rückzug und Gespräch bietet. Wer es weniger intim möchte, nimmt am hohen Tisch im Cafébereich Platz.
Im vorderen Teil führen zwei schmale Eisentreppen, die noch aus den Fabrikbeständen stammen, über das Büro von Nadia Stanke auf die Mezzaninebene, auf der ein Besprechungsraum und ein zweiter Meeting-Raum liegen, der mit schrägen Decken und einer grau bezogenen Sitzgarnitur für zehn Personen Wohnzimmeratmosphäre ausstrahlt.
Grünpflanzen und florale Motive im Trend
Atmosphärenbildung ist das richtige Stichwort: Eine Vielzahl von kleinen bis großen Details trägt zu einer stimmigen, von floralen Elementen geprägten Tonalität bei.
Da ist an der Stirnseite des Hauptraums ein wandgroßes, Akustik absorbierendes Bild mit floralen Motiven, und entlang der Fenster reiht sich eine auffallend große Zahl an Grünpflanzen – nach Nadia Stanke gerade für Büros heute ein aktueller Trend.
Visitenkarte für Umgang mit Bestand
Passend dazu sind die beiden einmal in rötlichen, einmal in blass grünlichen Farbtönen gehaltenen Toiletten. Auch der silberne Aluminiumleuchter im Cafébereich, der wie ein üppig blühender Baum über einem zweiten Tisch schwebt, zählt zu dieser Komposition, die eine durchdachte Handschrift und gestalterische Leidenschaft verrät.
Das Ergebnis insgesamt ist ein heiter-anregendes, fabrikhistorisches Ambiente, das wie in München auch hier der Klientel des Büros entspricht (80 Prozent der Aufträge betreffen Bestandsbauten) und die Nüchternheit des Büroalltags aufzulockern weiß.
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