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Orientierungshilfe. Leserbrief von Ekkehard Hempel

Das Thema Barrierefreiheit bietet Spielräume für unterschiedliche Interpretationen und sorgt für Diskussionsstoff

19.02.20186 Min. Kommentar schreiben

Ein Leserbrief zu unserem Beitrag Orientierungshilfe

Von Ekkehard Hempel

Zu dem oben genannten Beitrag, der die angeblichen Dogmen der Barrierefreiheit aufbrechen will, nehme ich als Sachverständiger für Barrierefreies Planen und Bauen der Architektenkammer Sachsen und langjähriger Mitarbeiter beziehungsweise Obmann im Normenausschuss „Barrierefreies Bauen“ beim DIN Berlin, autorisiert durch die Bundesarchitektenkammer, wie folgt Stellung:

Zunächst stelle ich fest, dass in der Veröffentlichung auch eine Reihe durchaus richtiger Aspekte zum Barrierefreien Bauen, auch in prognostischer Sicht, dargestellt wird. Demgegenüber verengt allerdings der Verfasser, der im Stil eines Heilsbringers gegenüber dem doofen und scheinbar lebensfremden Vorschriftenwerk auftritt, das Barrierefreie Bauen zunächst polemisch und fehlerhaft faktisch auf die Schwellenlosigkeit „für einen bestimmten Nutzerkreis“, die angeblich wiederum „andere Barrieren aufbaut.“

Bodengleiche Duschen

Angeblich seien bodengleiche Duschen mit Siphons ausgerüstet, die nicht in der Lage seien, größere Wassermengen abzuleiten. Ich habe mehrere Pflegeheime, Behindertenheime und verwandte Objekte geplant und gebaut und bin nie auf solche Schwierigkeiten gestoßen. Eine angemessene Fußbodenhöhe, Anschlussnennweite, Ablaufleistung und Anstauhöhe vermeidet die kritisierten Probleme.

Mit oder ohne Schwellen

Nach Frey sei „Baurechtlich (…) eine Schwellenhöhe von 2 cm noch erlaubt“. Er zweifelt allerdings zu Recht die Sinnhaftigkeit dieser Angabe an. Nach DIN 18040-2 Abschnitt 4.3.3.1, Satz 2, sind „(…) untere Türanschläge und Schwellen (…) nicht zulässig. Sind Sie technisch unabdingbar, dürfen sie nicht höher als 2 cm sein.“ Der letzte Satz ist unsinnig, da schwellenloses Bauen technisch immer möglich gemacht werden kann. Es ist unter Umständen eine Frage der Wirtschaftlichkeit. Daher gilt also die grundsätzliche Unzulässigkeit von Schwellen und unteren Anschlägen.

Frey beschreibt, dass er Fußpunkte bei Außentüren als Anschlag von 8 mm Höhe ausbilden lässt. Schwellenloses Bauen, also barrierefreies Bauen im echten Sinn, wird demgegenüber bei Außentüren mit dem Autor offenbar unbekannten Alumat-Konstruktionen realisiert. Bei schwellenlos vorzusehenden Innentüren verweist er zu Recht auf Absenkdichtungen. Für Terrassentüren hat er offenbar keine Lösung. Die von ihm genannten Fremdkörper, etwa kleine Steinchen im Schwenkbereich von Drehflügeltüren, sind zum einen ausgesprochen selten und zum anderen bei der Auswahl der vorgenannten Türkonstruktionen nicht relevant.

Welche Türbreite ist die richtige?

Wolfgang Frey behauptet allen Ernstes, dass „im veralteten Bewusstsein des behindertengerechten Bauens“ lichte Durchgangsmaße von mindestens 100 cm oder 120 cm gefordert worden wären. Ein lichtes Durchgangsmaß von 120 cm ist eher für den Krankenhausbau von Bedeutung (hier korrekt 125 cm), wurde aber für barrierefreie Türen, also zum Beispiel für Rollstuhlbenutzer, nie gefordert.
Gefordert wird in DIN 18025 / 1992 für barrierefreie, sprich rollstuhlgerechte Türen, ein lichtes Durchgangsmaß von 90 cm. Bei DIN-gerechten Türen ergibt sich ein Richtmaß von 100 cm und ein lichtes Durchgangsmaß von 95 cm bzw. 96 cm. Dem Praktiker ist andererseits bekannt, dass ein großer Teil der Rollstuhlbenutzer – abhängig von der Rollstuhlbreite – komfortabel auch Türen mit einer Durchgangslichte von 82 cm bis 83 cm passieren kann. Dies ist bei Altbauten durchaus von Bedeutung. Das Richtmaß beträgt hier 87,5 cm.

Die in der früheren Normung (DIN 18024 / 1998, DIN 18025 / 1992) geforderte lichte Durchgangshöhe von 210 cm für Türen wurde aus der Akzelleration, also dem übermäßigen Längenwachstum ab der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, abgeleitet. Die vom Verfasser genannte Brandschutzverordnung aus dem Jahr 1917 ist sicher eine fantasievolle Begründung, sie war allerdings im zuständigen Normenausschuss nicht bekannt und nicht relevant. Im Übrigen erscheint auch die Höhe von 210 cm für einen Huckepack-Transport von Erwachsenen zu gering. Der Unsinn der Brandschutzverordnung aus dem Kaiserreich ist inzwischen sogar in das Internet eingegangen.Da die Durchgangshöhe von 210 cm zu Türen mit Richtmaßen von 225 cm geführt hätte, wurde sie nie realisiert. Die jetzige Normung empfiehlt 205 cm, die ein Richtmaß von 212,5 cm ermöglichen.

Der Verfasser sieht darüber hinaus, völlig unbegründet, die seitliche Bewegungsfläche von 50 cm am Türdrücker kritisch (DIN 18040-2, Bild 4). Er sollte vielleicht doch einmal im Rollstuhl versuchen, eine Tür ohne diese Bewegungsfläche – möglichst noch in einem schmalen Flur –, in Schlagrichtung zu öffnen.

Die Krux mit den Wenderadien

Von Fachleuten des Barrierefreien Bauens werden keine „Wenderadien“ oder „Bewegungsradien“ sondern Bewegungsflächen gefordert. Die klassische rollstuhlgerechte Bewegungsfläche beträgt 150 cm im Quadrat. In einem Kreis mit einem Durchmesser von 150 cm beziehungsweise einem Radius von 75 cm kann sich der Rollstuhlfahrer eben nicht im Kreis bewegen, sondern er rangiert in der genannten quadratischen Fläche. Auch das Baurecht kennt keine „Wenderadien“.

Bei seinen Ausführungen zur Planung von Schlafzimmern rennt der Verfasser zum Teil offene Türen des Vorschriftenwerks ein. Eine 150 cm breite Bewegungsfläche am Bett des Rollstuhlbenutzers wurde bisher immer nur an einer Seite, seiner Zustiegsseite, gefordert. Die Bemerkung zur Bettengröße ist gewagt. Das ein körperlich eingeschränkter Mensch ein 2 mal 2 Meter großes Bett beansprucht, scheint an der Realität zügig vorbei zu gehen. Möglicherweise meint Frey ein Doppelbett für zwei Personen. Die Bettengröße von 1 x 2 Meter ist demgegenüber durchaus denkbar, zumal als eventuelles Pflegebett. Das einschlägige Vorschriftenwerk schreibt übrigens keinerlei Bettengröße vor.

Beispiele für kostensparende Ausführungen

Eine Temperaturbegrenzung im Hinblick auf Waschtische kann mit unterschiedlichen Mitteln herbeigeführt werden, um Verbrühungen zu vermeiden. Ein barrierefreier Waschplatz ist allerdings durch Flach- oder Unterputzsiphons gekennzeichnet. Ein Verbrühen an diesen Siphons ist nicht möglich. Der Begriff „Wasserhahn“ scheint im Übrigen nicht ausgesprochen fachtechnisch zu sein.

Die Aussagen zur individuellen Höhenpositionierung von Sanitärobjekten, Möbeln und Griffsystemen werden akzeptiert. Als Hilfsmittel für die variable Verankerung von Haltegriffen werden im Trockenbau allerdings in der Regel keine Holzbohlen, sondern faktisch standardisierte Schichtenholzplatten verwendet. Es gibt im Übrigen auch keine Forderung, individuelle barrierefreie Wohnungen komplett und ohne Einbeziehung der späteren Nutzer mit Griffsystemen und sonstigen technischen Hilfen auszurüsten.

Die Ausführungen zum Tieferlegen von Bedienungseinrichtungen erscheinen nicht direkt zielführend. Das unbeabsichtigte Anlehnen bei Nottastern mit der Konsequenz eines Fehlalarms erscheint als Argumentationshilfe schon fast komisch.

Tiefer gelegte Fenstergriffe beeinträchtigen – nebenbei bemerkt – die Funktion des Fensters in keiner Weise. Voraussetzung ist allerdings, einen Komfortbeschlag zu verwenden.

Hinweise zum Grundriss

Abgesehen vom ungünstigen Zuschnitt des Zimmers 1 fällt beim flüchtigen Draufsehen auf, dass die Ausstattung der Küche kaum für eine rollstuhlgerechte Nutzung geplant ist. Über eine zum Wohnraum offene Küche gehen die Meinungen ohnehin auseinander. Trotz geräuschgedämmter Dunstabzugshauben und Geschirrspüler ist die übliche Geräuschkulisse, der Duft von Gebratenem im Wohnraum und der nicht zu vermeidende Blick auf schmutziges Geschirr nicht jedermanns Sache. Bei dem Grundrissbeispiel steht auch noch die Waschmaschine in der offenen Küche.

Dr. Ekkehard Hempel ist freier Architekt und Sachverständiger für Barrierefreies Bauen in Dresden


Weitere Leserbriefe zum Thema finden Sie hier

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