Das Naturmaterial Kork hat Eigenschaften, die an einen im Labor entwickelten Superwerkstoff denken lassen: dämmend und schallabsorbierend, stoßfest und elastisch, wasserabweisend und diffusionsoffen, leicht zu bearbeiten und schwer entflammbar, nachwachsend und rezyklierbar. Zwei Häuser in Berlin und Eton loten aus, was sich daraus machen lässt
Das Berliner „Korkenzieherhaus“ durfte nur ein Vollgeschoss haben. (Klicken für mehr Bilder)
Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Knorke“ im Deutschen Architektenblatt 09.2020 erschienen.
Von Nils Ballhausen
Das „Korkenzieherhaus“ im Berliner Ortsteil Staaken hat seit seiner Fertigstellung 2018 bereits einige mediale Schleifen absolviert. An dem Projekt des 2013 gegründeten Berliner Büros rundzwei Architekten lassen sich einmal mehr die gängigen Mechanismen einer zunehmend bildlastigen Aufmerksamkeitsgewinnung in der Architekturbranche studieren. Wie profilieren sich junge, ambitionierte Büros in der Öffentlichkeit, wenn es an offenen Wettbewerben als Bühne mangelt? Zum Beispiel so: Man kombiniere eine durchschnittliche Bauaufgabe (hier: Einfamilienhaus) mit einer originellen Konstruktion (hier: Korksichtfassade) und einem unkonventionellen Raumkonzept (hier: Flächenmaximierung) – und vertraue darüber hinaus auf gute Fotografien. An diesem Rezept ist nichts ehrenrührig oder zynisch, solange mit der „Story“ eine Idee, besser noch: ein Ideal verfolgt wird und so die Fachdebatte neue Impulse erhält. Preise und Anerkennungen blieben demnach für das Korkenzieherhaus nicht lange aus.
Man darf unterstellen, dass die beiden Büroinhaber von rundzwei, Andreas Reeg und Marc Dufour-Feronce, sich dieser Zusammenhänge bewusst sind. Zu den Selbstverständlichkeiten dieser Architektengeneration gehört es, dass Ressourcen für das Bauen möglichst sparsam und umweltverträglich eingesetzt werden müssen. „Wir sind der Überzeugung, dass nachhaltige Architektur mit dem Konzept beginnt und sich nicht auf nachträglich angepasste Haustechnik-Lösungen stützen sollte“, so rundzwei.
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Grundriss wie ein Korkenzieher
Damit ein solches Konzept in der Realität überprüft werden kann, benötigen Architekten eine Bauherrenschaft, die dabei mitzieht und sich auch auf das Ungewohnte einlässt. In Staaken, am westlichen Stadtrand von Berlin, stand ein 580 Quadratmeter großes Hammergrundstück in zweiter Reihe zur Verfügung, mit einem Baufenster von etwa zehn mal zehn Metern für ein Haus mit nur einem genehmigten Vollgeschoss. Ein zu enges Spielfeld, um sich zu präsentieren – aber gerade das dürfte die Aufgabe forciert haben. Drei unterschiedliche Konzepte erarbeiteten die Architekten, die Bauherrin wählte jenes aus, das äußerlich dem klassischen Hausmotiv noch am nächsten kam. Zwei Besonderheiten heben das Gebäude von seiner banalen Vorstadtnachbarschaft ab: seine Hülle und seine innere Organisation.
Inwieweit der Typus eines Einfamilienhauses mit Swimmingpool und Carport überhaupt etwas mit dem Begriff Nachhaltigkeit zu tun haben kann, sei einmal dahingestellt. Im Rahmen des Möglichen gingen die Architekten allerdings konsequent in diese Richtung, indem sie innerhalb des erlaubten Volumens maximale Flächen schufen (BGF: 321,6 Quadratmeter). Durch spiralförmig angeordnete Splitlevels schraubt sich die Wohnfläche bis hinab ins Untergeschoss, das über die großzügige Verglasung viel Licht einsaugt und keinerlei Gedanken an „Keller“ aufkommen lässt.
Wie aus einem Stück Kork geschnitten
Der Sockel unterhalb der Geländeoberkante besteht aus Stampfbeton, dessen sichtbar belassener Schichtaufbau an Erdsediment erinnert und im Inneren eine herbe Wohnlichkeit erzeugt. Oberhalb dieses durch unterschiedliche Niveaus zonierten Einraums besteht das Gebäude aus einer Holzkonstruktion, einer Haube, durch deren Zentrum sich eine luftige, additiv gefügte Holztreppe hinaufwindet. Dank der Kreuzdachform ergeben sich im Dachgeschoss in allen vier Giebeln nutzbare Räume; sie lassen sich – falls eines Tages Bedarf besteht – zu einer Einliegerwohnung zusammenfassen, deren Eingang bereits vorgehalten ist. Der Planungsaufwand der Architekten war nicht nur wegen der komplexen Raumzusammenhänge hoch.
Der innenräumliche Mehrwert des Hauses kommuniziert sich in erster Linie über seine ungewöhnliche Hülle. Anstelle einer üblichen WDVS-Fassade wurde eine Dämmung aus 140 Millimeter starken Korkplatten auf die tragende Holzrahmenkonstruktion montiert. Auch die Dachflächen wurden mit Kork verkleidet, die 40 Millimeter starken Korkplatten liegen jedoch auf einer Konterlattung, die wiederum auf einer (nicht sichtbaren) wasserführenden Schicht aus Trapezblech lagert. Das Regenwasser wird über vier innen liegende Stahlrohrstützen abgeführt. Keine Rinne, kein Fallrohr stört die scharfkantige Korkhülle, die dank der sorgfältigen Detailplanung von Weitem wie aus einem Stück geschnitten wirkt. Aus der Nähe betrachtet, entfaltet das Konglomerat aus gepresstem Korkgranulat seine besondere Wirkung.
Geht auch: komplett aus Kork
Als Demonstrationsobjekt, an dem die Leistungsfähigkeit, aber auch die Veränderungen im Lebenszyklus des Korks in Augenschein genommen werden können, taugt das Berliner Wohnhaus wegen des Schutzes der Privatsphäre kaum. Umso dringlicher erscheint es, dass sich öffentliche Bauherren verstärkt dieser Form der angewandten Bauforschung zuwenden. Wann entsteht hierzulande das erste öffentliche Gebäude mit einer Sichtkorkfassade?
In Großbritannien ist man da schon weiter. Nachdem 2012 der Londoner Serpentine-Gallery-Pavillon ein viel beachtetes Schlaglicht auf das Material warf, entwickelte das Architektenpaar Matthew Barnett Howland und Dido Milne 2015 bis 2018 zusammen mit Oliver Wilton von der Bartlett School of Architecture und Industriepartnern das Projekt „Solid Cork Building Envelope“. Das Ziel des Forschungsprojekts: ein Konstruktionssystem aus tragenden, massiven Korkelementen. Als Materialsponsor war der weltweit größte Hersteller von Korkprodukten beteiligt, das traditionsreiche portugiesische Unternehmen Amorim, das auch beim Korkenzieherhaus zulieferte. Industrieroboter frästen Kanten, Nuten und Falze in die Korkblöcke, sodass man sie ohne Verbindungsmittel oder Kleber von Hand zu einem Gehäuse aufstapeln konnte.
Nach dem Bau des Prototyps, einer Hütte mit stumpfem Pyramidendach, veranlassten die erfolgreichen Prüfungen der Luftdichtigkeit, des Raumklimas und der Formstabilität die Architekten dazu, mit dem entwickelten System ein dauerhaft bewohnbares Haus zu realisieren. Dieses sollte ohne Verbindungsmittel und Beschichtungen auskommen, damit man es irgendwann wieder zerlegen und rückstandsfrei in den Stoffkreislauf einspeisen kann.
Mauern mit Korkblöcken
Das „Cork House“ besteht aus 1.268 dieser speziell zugeschnittenen Blöcke und steht im Garten hinter dem Wohnhaus der Architekten, das sich auf einer Themse-Insel in der Kleinstadt Eton befindet. Der laborerprobte Typus wurde schlicht verfünffacht und in Reihe geschaltet. Wegen der gegenwärtigen Reisebeschränkungen war eine persönliche Besichtigung leider nicht möglich, aber einige Internetvideos vermitteln einen Eindruck von dem Gebäude, das 2019 fertiggestellt und seitdem mit zahlreichen Preisen bedacht wurde.
Die monolithische Bauweise wurde hier konsequent umgesetzt, lediglich ein umlaufender Ringbalken aus Holz dient als Auflager der fünf Dachhauben. Das archaische, vom Trockenmauerwerksbau bekannte Kraggewölbe erlaubte nur eine geringe Spannweite. Die höhlenartige Wohnumgebung mit einer Nutzfläche von 44 Quadratmetern wird vom dunkelbraunen Kork verstärkt und durch großzügige Verglasungen ausbalanciert.
Elitär, eskapistisch oder zeitgemäß? Die beiden Experimente in Staaken und Eton lassen sich gewiss nicht ohne Weiteres für größere Bauvorhaben skalieren. Kork ist kein Baustoff, der sich uferlos in der Bauwirtschaft ausbreitet. Dazu ist seine natürliche Anmutung zu limitiert: Kork sieht immer aus wie Kork. Das vielseitige Material illustriert einen sanften, bescheidenen Ansatz im Bauen, der seine Zeit braucht. Und es will entdeckt werden.
Was man über Kork wissen sollte
Die Korkeiche (Quercus suber) hat eine durchschnittliche Lebensdauer von 200 Jahren und wächst vorwiegend in mediterranen Regionen; die größten Bestände finden sich im südlichen Portugal, wo der Baum heute unter besonderen Schutz gestellt ist. Schon die Römer wussten die Rinde der Korkeiche zu nutzen. Sie lässt sich etwa alle neun Jahre abschälen, ohne den Baum in seinem Wachstum zu schädigen. Die erste Ernte findet statt, wenn die Korkeiche etwa 25 Jahre alt ist. Je Schälung fallen circa 100 Kilogramm Rinde an.
25.000.000 Korken pro Jahr stellt Corticeira Amorim her, der nach eigenen Angaben größte Hersteller von Korkprodukten. Seit 1963 verarbeitet das portugiesische Unternehmen den bei der Korkenherstellung anfallenden Verschnitt zu Korkgranulat. Dieses lässt sich unter Verwendung von 350 Grad heißem Wasserdampf zu Blöcken zusammenfügen. Bei diesem Vorgang expandiert das Granulat und das im Pflanzengewebe eingelagerte Suberin tritt aus, ein hydrophobes Biopolymer, das den Baum in erster Linie vor eindringendem Wasser schützt. Wird die erste Rinde eines Baums verwendet, die besonders viel Harz enthält, sind dank dieses natürlichen Klebstoffs keine weiteren Verbindungsmittel nötig. Nach der Trocknung können die Blöcke nach Bedarf zugeschnitten werden. Mit einer Wärmeleitfähigkeit von 0,045 W/mK eignet sich Kork vor allem als leicht zu bearbeitender Dämmstoff, aber auch als Bodenbelag. Er ist als schwer entflammbar klassifiziert (B1) und eignet sich daher innen wie außen als sichtbar belassene Oberfläche. Durch die Luft, die in den verholzten Pflanzenzellen eingelagert ist, wirkt Kork außerdem schallisolierend. Als nachwachsender Rohstoff hat das Material eine hervorragende CO2-Bilanz, zudem gelten Korkwälder wegen ihrer Artenvielfalt als besonders wertvolle Ökosysteme.
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