Christian Rittelmeyer
In der Erziehungswissenschaft und -praxis werden Themen wie „Schule als Lebensraum“ und „Raum als Lehrer“ immer wichtiger. Die internationale Schulbauforschung hat längst nachgewiesen, dass von den Schülern positiv erlebte Bauten ein konstruktives Lern- und Sozialverhalten anregen, während negativ erlebte Bauten das Lernen, die Gesundheit und die soziale Kompetenz beeinträchtigen und häufig zu Vandalismus führen. Die Schularchitektur hat messbare körperliche Auswirkungen: Je nach Formen und Farben werden Spannungs- und Entspannungsgefühle, Gefäßdurchblutung, Blickbewegungen und andere physiologische Parameter vom Raum beeinflusst. Bauformen und Farben, Dekor und Hofgestaltung muss daher die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt werden wie den Lehrplänen und der Qualität des Unterrichts.
Schulkongresse haben wie selbstverständlich das Thema Schulbau auf dem Programm. Einzelne Länder wie Rheinland- Pfalz, aber auch die Architektenkammern des Saarlandes und Nordrhein-Westfalens organisieren Tagungen, auf denen Bau- und Erziehungsfachleute ins Gespräch kommen. Schwung in die Debatte bringen auch neue Lernformen und neue Aufgaben der Schulen, etwa die Frühförderung, der flexiblere und der ganztägige Unterricht, selbstständiges Lernen, Schulverbände und Kooperationen mit Dritten. Doch auch viel Kritik wird dabei laut: In vielen Ländern bewerten Schüler wie Lehrer ihre Schulbauten negativ. Klagen über Menschenfeindlichkeit gehören zum Standardrepertoire internationaler Schulbautagungen und Fachpublikationen.
Aber immer noch kooperieren Architekten, Pädagogen, Schul- und Bauämter in der Praxis zu selten – auch, weil Planern und Erbauern auf der einen Seite, den Nutzern auf der anderen oft eine gemeinsame Sprache und gemeinsame Maßstäbe fehlen. Einige Beispiele zeigen, wie beide Gruppen aneinander vorbeidenken und -reden. Da werden Flure von Architekten als „Lehrstraßen“ bezeichnet, die aus Lehrer- und Schülersicht als „kalt“, „monoton“ oder „abweisend“ erscheinen. Eine Zeitung berichtete kürzlich: „An ein Gefängnis oder einen Bunker fühlten sich entsetzte Eltern und Kinder erinnert, als sie die Realschule zum ersten Mal von innen sahen.“ Die Sichtbetonwände, auch von Pädagogen als „Knastoptik“ empfunden, rechtfertigte die Architektin jedoch mit dem Hinweis auf eine „interessante Patina“, wenn der Beton alt werde. Auch hätten ja berühmte Architekten wie Le Corbusier mit diesem strapazierfähigen Baustoff gearbeitet. Ein preisgekrönter, doch an eine Kaserne erinnernder Schulbauentwurf der Stadt Berlin wurde von befragten Schülern als Fabrikansicht oder als Entwurf einer „Ausbildungsstätte für Klontruppen“ bezeichnet.
Ein voluminöses Dach, das auf befragte Jugendliche wie eine schwer lastende Landschaft übereinandergeschobener Eisblöcke und so erdrückend im Hinblick auf den Unterbau wirkt, wird vom Architekten als „Verbindung von behütender Geste über dem Schulleben und der umgebenden Berglandschaft“ deklariert. Reihen von Giebelbauten, die Lehrern monoton erscheinen, gelten dem Architekturbüro als „Ensemble voller räumlicher Überraschungen“. Eine schwarz gestaltete Pausenhalle, die auf Schüler düster und abweisend wirkt, ist aus der Sicht des Farbgestalters kinderfreundlich, denn „Schwarz ist die geeignete Hintergrundfarbe für das bunte Spiel der Kinder“.
Umgekehrt finden Architekten oft keine kompetenten Gesprächspartner unter Schülern und Lehrern. Diese müssen ihrerseits für die Argumente der Architekten sensibilisiert werden. Allzu häufig neigen Pädagogen dazu, etwa auf Tagungen Zukunftsprojekte zur Ganztagsschule zu entwickeln und diese nun umgehend in vermeintlich adäquate Raumgestaltungskonzepte umsetzen zu wollen. Dabei herrschen oft erstaunlich naive Vorstellungen über baurechtliche Vorgaben, baukonstruktive Bedingungen für bestimmte architektonische Lösungen oder angemessene Verhältnisse zwischen Form und Farbgebung sowie Dekor vor. Auch für den Schulbau interessante Entwicklungen der Architektur sind oft nicht bekannt. Wo beide Seiten füreinander Verständnis gewinnen, kann dagegen die Arbeit extrem fruchtbar sein. Beispielhaft erwähnt seien hier die Projekte des Stuttgarter Architekten Peter Hübner.
Worauf kommt es nun bei der Gestaltung von Schulen an? Dazu wurden in einem Forschungsprojekt der Universität Göttingen rund 500 Schüler aus verschiedenen Altersgruppen und Schulformen befragt. Hier wurde erneut deutlich: Die ästhetischen Maßstäbe von Schülern und Lehrern sind in aller Regel andere als die von Absolventen der Architekturfakultäten. Und die Maßstäbe der langjährigen Gebäudenutzer haben über die Gestaltung zu entscheiden. In der Untersuchung zeigten sich drei grundlegende Kriterien, nach denen Schüler ihre Schulgebäude positiv oder negativ bewerten.
Prinzip 1: abwechslungsreich statt monoton
Schulbauten sollen Anregungen und Abwechslung bieten, keine Monotonie und Wiederholung des immer Gleichen. Negativ werden zum Beispiel Gebäude mit seriellen Fenstergestaltungen, monotonen Fluren, sich wiederholenden Raumteilern und eintönigen Farbgebungen eingestuft. Abgelehnt wird die Kastenarchitektur; Zustimmung erfahren organisch-lebendig wirkende Bauten, die das visuelle Erkundungsverhalten provozieren. Schulen mit vielfältigen Sichtperspektiven, Raumelementen, Farbvariationen und Nutzungsmöglichkeiten sowie „atmende“, mit Aus- und Einbuchtungen versehene Flurwände bieten Anregungen. Grundsätzlich positiv zu werten ist das in neueren Schulen angestrebte „Marktplatz“-Konzept mit einer Art urbanem, zentral gelegenem und ästhetisch gestaltetem Treffpunkt im Gebäude, auf den abwechslungsreich gestaltete „Schulstraßen“ zuführen. Auf den Etagen sind von dort vielfältige Räume für Arbeit, Spiel und Entspannung erreichbar. Galerien ermöglichen das Miterleben der Aktivitäten anderer Schüler, bieten aber auch Rückzugsecken und Ruheplätze.
Hier kündigt sich ein neuer, wenn auch noch schwacher Trend im Schulbau an, der traditionelle Elemente einer wohnlichen Stadtgestaltung in den Schulanlagen reanimiert: „Rathäuser“ (Verwaltungen), schülergerecht gestaltete „Lernstraßen“, Amphitheater und andere Einrichtungen. Deutlich wird dabei eine Ästhetisierung des Ambientes favorisiert: Marktplätze mit Grünbewuchs und Cafés, plätschernde Bäche, Theaterräume, „Gaststätten“, vielseitig nutzbare Gruppenräume, schöne Bibliotheken, wohnliche Klassenräume sowie Wege innerhalb der Schule, die vielfältige Ein- und Ausblicke bieten, die warmtonig und dialogisch gestaltet sind. All das lässt „Lernlandschaften“ entstehen, wie sie in der neueren didaktischen Diskussion betont und besonders für Ganztagsschulen gefordert werden.
Prinzip 2: befreien statt bedrängen
Räume und Gebäudeformen sowie Farben und das Interieur sollen psychisch freilassend und befreiend, nicht bedrängend oder beengend wirken. Zu vermeiden sind schwer anmutende Dächer, grelle Farben, mit Dekor überladene Klassenraumwände und enge Flure. Wichtig ist hier auch die erlebte Beziehung zwischen den Bauelementen. Dächer können als drückend erlebt werden, ein Gebälk als schwerfällig im Hinblick auf darunterliegende Elemente. Oder Schüler wie Lehrer haben beim Betrachten eines Flurs den Eindruck, dass sich dessen verschiedene und intensive Farbgebungen wechselseitig „totschlagen“. Hier wird also ein Gewaltverhältnis im architektonischen Milieu wahrgenommen. Intensive und oft grelle, bunt kombinierte Farben kommen übrigens gegenwärtig weltweit im Schulbau in Mode, wirken jedoch häufig suggestiv bzw. aggressiv und widersprechen damit dem Freiheitskriterium.
Prinzip 3: warm und weich statt kalt und hart
Als drittes Planungsprinzip folgt aus der Göttinger Studie: Die Schulgebäude sollen Wärme und Weichheit ausstrahlen, nicht Kälte und Härte. Beim „Temperieren“ ihrer Stimmung ist „Feinjustierung“ gefordert: Ältere Schüler neigen eher zum Kühlepol, jüngere zum Wärmepol. Auch werden in dieser Hinsicht zum Beispiel naturwissenschaftliche Räume, in denen eine gewisse Kühleanmutung angebracht erscheint, anders bewertet als Klassenräume, in denen Wohnlichkeit, Freundlichkeit und moderate Wärme gesucht werden. Schulbauten sollten also in dieser Hinsicht sehr differenziert geplant und analysiert werden. Der Eindruck einer angenehmen Temperierung wird unter anderem durch die Baumaterialien hervorgerufen. So wirkt etwa Naturholz meist wärmer als Glas und Stahl. Ebenso entscheidend sind die Farben. Zum Wärmeeindruck in einem Schulgebäude tragen auch Pflanzen und Vorhänge sowie das Mobiliar bei.
Das Kriterium der „Weichheit“ bezieht sich auf den erlebten Dialog der Bau- und Farbelemente: So wirken Bauelemente und Farbgebungen eher hart, wenn sie beziehungslos nebeneinander stehen, „Weiche“ Beziehungen können dagegen etwa zwischen einer Säule und einer Decke durch verschiedene Kapitellformen hergestellt werden, also durch architektonische Vermittlungsglieder. Ein Klassentrakt kann in einen farblich anders gestalteten Flur über „Zwischenfarben“ vermittelt werden, oder die Farbgestaltung des einen Traktes wird im Flur des anderen in einzelnen Säulenelementen und Geländergestaltungen nochmals wie ein „Nachklang“ aufgenommen.
Ein wichtiger Befund der Forschungen war, dass Schulbauten oder ihre Details auch gestisch und gebärdenhaft erlebt werden. Sie erscheinen beschwingt, traurig, brutal, geschwätzig, lebendig, erstarrt, verspielt, trostlos, gewalttätig, gesichts- und charakterlos, fragil, zudringlich, freilassend usw. In einem gewissen Sinn begegnen die verschiedenen Raumgestalten in Schulen, so z. B. die Fassaden, Farbgebungen oder Geländegestaltungen, Heranwachsenden als „Interaktionspartner“, als bedrängende oder freilassende, düstere oder heitere Umgebungsfiguren. Eine Schule, die für die Bedürfnisse von Schülern entworfen und gestaltet ist, wirkt im günstigen Fall wie eine anregungsreiche und deshalb interessante, freilassende und schließlich auch dialogbereite, warmherzige Person.
Prof. Dr. Christian Rittelmeyer lehrte Erziehungswissenschaft in Göttingen und hat zur Wirkung von Schularchitektur geforscht.
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