Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Baumhäuser“ im Deutschen Architektenblatt 05.2023 erschienen.
Von Christoph Gunßer
Im Harz gab es in den letzten Jahren durch die extreme Trockenheit Fichtenholz en masse. Etliche der meist infolge Käferbefalls abgestorbenen Stämme, das sogenannte Kalamitätsholz, verschifften die Forstämter in Containern nach China, andere wanderten in den Häcksler, um als Holzwerkstoff Verwendung zu finden.
Käferholz eignet sich noch zum Bauen
Was jedoch wenige wissen: Wenn es rasch aufgearbeitet wird, ehe sich holzzersetzende Lebewesen ansiedeln, taugt Käferholz auch als ganz normales Bauholz. Das zeigt ein Projekt zweier Brüder aus der Region: Heiner Schulte, Land- und Forstwirt in Clausthal-Zellerfeld, und Christian Schulte, Architekt in Braunschweig, entwickelten gemeinsam einen Mutterkuhstall, dessen Tragwerk aus ganzen Baumstämmen besteht. Die hatte der Landwirt zuvor im Landesforst für wenig Geld „geerntet“.
Kuhstall mit Architektur
Normalerweise bemüht kein Bauer für seine Nutzbauten einen freien Architekten. „Das ist heute völlig unüblich“, meint auch Christian Schulte. Ställe, Scheunen und dergleichen liefern Systemanbieter „von der Stange“. Zu Beginn nahmen die Schultes deshalb mit den einschlägigen Firmen Kontakt auf und fragten, ob sie nicht das viele günstige Holz für einen Standardbau verwenden wollten. Doch kein Anbieter ließ sich darauf ein. Also fingen die Brüder mit ihrem Bau bei null an.
Für große Spannweiten und Schneelasten
Vierzig Mutterkühe mitsamt ihrem Nachwuchs waren zu behausen. In der Hanglage auf 600 Metern Höhe lief das auf eine Grundfläche von 25 x 35 Metern hinaus, mit einem Fundament plus Teilunterkellerung aus Ortbeton. Der Tragwerksplaner Axel Schmidt von W+S Westphal aus Braunschweig kalkulierte, dass die gerade gewachsenen, 150 Jahre alten Fichten unbeschnitten als Sparren taugten.
Sich zum First hin konisch verjüngend, überspannen die rund 17 Meter langen Stämme rund neun Meter stützenfrei in einem Raster von 5,50 Metern. Bei den einzubeziehenden großen Schneelasten erwies sich das Rundholz als goldrichtig: „Ein einzelner herausgeschnittener Balken aus diesen Bäumen hätte nie ausreichenden Widerstand gegen die auftretende Belastung bieten können“, sagt der Statiker.
Knotenpunkte nach Zimmermannsart
Die Knotenpunkte ließen sich weitestgehend ohne die im Ingenieurholzbau üblichen Nagelplatten oder Schlitzbleche nach traditioneller Zimmermannsart konstruieren. So fügte man beispielsweise kurze Holzblöcke in die Sparren ein, um den Übergang vom Rundholz zu den normal eckigen Nebenträgern, den Koppelpfetten, zu bewerkstelligen.
An den Fußpunkten, wo die 35 Zentimeter starken Rundstützen auf den etwa hüfthohen Beton-Konsolen aufliegen, dienen einfache verzinkte Laschen als Befestigung. Ausgesteift wird die Struktur in der Dach- und Wandebene durch Auskreuzung. Das Gebäude trägt kein billiges Blech-, sondern ein Ziegeldach und wird von einem breiten Oberlichtband erhellt.
Mobiles Sägewerk und Kettensäge
In einem mobilen Sägewerk oder einfach nur mit der Kettensäge schnitt man die Stämme in Eigenleistung vor Ort passgenau zu, zwei Hubwagen bugsierten sie in Position. Am Ende waren alle beeindruckt: „Durch die nicht geschnittenen Rundhölzer der Haupttragbalken ‚am Stück‘ wird das Symbol des gewachsenen Baums im Gebäude sehr gut sichtbar“, meint Axel Schmidt. „Das gibt einem ein ‚wohliges‘ Gefühl.“
Referenzprojekt für Rundholz
Das hatte auch die Jury des niedersächsischen Holzbaupreises 2022. Sie prämierte den Mutterkuhstall mit einem Sonderpreis. Die hohe gestalterische und holzbautechnische Qualität spreche für sich, fand sie. Aber auch Energieeffizienz, Wirtschaftlichkeit in Betrieb und Unterhalt sowie die Recyclingfähigkeit waren Kriterien, um den Low-Budget-Bau zu küren. Die niedersächsische Architektenkammer berief Christian Schulte und seine Partnerin Imke Maron von Schulte Maron Architekten in ihren Beirat für Baukultur und Umweltschutz.
Die niedersächsische Forstverwaltung sieht in dem Bau ein Referenzprojekt für die Verwendung von Rundholz gerade in landwirtschaftlichen Gebäuden. Denn noch warten Unmengen an Fichtenstämmen in Nasslagern auf Verwendung. Und jährlich wachsen allein in Niedersachsens Landesforsten 12,3 Millionen Kubikmeter Holz nach.
Die Büros eines Holzunternehmens in Plößberg verstecken sich hinter 180 geschälten Fichten. (Klicken für mehr Bilder)
Foto: mju-fotografie, Marie Luisa Jünger, Hümpfershausen
Ganze Wertschöpfungskette von Holz
Die Holzbranche ist daher stets daran interessiert, ihren Baustoff noch weiter in die Breite zu bringen. Eine sehr elegante Form der Absatzförderung fand zuletzt ein großes Holzunternehmen in Plößberg in der Oberpfalz. Es wünschte sich einen Bau, der alle Stufen der hölzernen Wertschöpfungskette in einem vorführt – so das Briefing an die Architekten Brückner & Brückner aus dem nahe gelegenen Tirschenreuth.
In der neuen Unternehmenszentrale auf dem Gelände eines weitläufigen Sägewerkes ist die Palette an präsentierten Einsatzbereichen nun auch überaus kreativ und reicht vom Baum übers Brett zum Möbel, ja bis zur Lampe. Stolze 4.700 Kubikmeter Holz enthält der vierstöckige Bau auf 32 x 32 Meter Grundfläche!
Fassade aus geschälten Baumstämmen
Der „Rohstoff“ des Betriebs stapelt sich nun nicht nur auf dem imposanten Lagerplatz des Werks. Er prägt auch die Fassade des kubischen Bürohauses: Größtenteils 19 Meter hohe, händisch geschälte Fichtenstämme wurden vor die gläserne Pfosten-Riegel-Fassade gestellt.
Camouflage am Waldesrand, Sonnenschutz oder einfach raue Selbstdarstellung mögen der Grund für dieses ungewöhnliche Gesicht sein. Womöglich wäre die Anmutung des kantigen, aus zwei versetzten, ringsum verglasten Quadern gefügten Baus sonst in diesem wilden Kontext allzu fremd und städtisch.
Baumstämme ohne tragende Funktion
Ein gelungener Coup, mit einfachen Mitteln umgesetzt – denn tragen müssen die Stämme in diesem Fall nur sich selbst. Sie wurden erst nach Fertigstellung des Kern-Hauses hinzugefügt, ruhen via verstecktem Schuh auf einem separaten Fundamentstreifen und münden oben in einen ebenfalls unsichtbaren Metallstift, der sie in der Brettsperrholz-Dachplatte fixiert. Ohne Abstand zum Grund leicht tänzelnd ins Kiesbett platziert, erscheinen sie tatsächlich wie hier gewachsen.
Hier gibt es keine Käfergänge, doch altern die Stammoberflächen ganz unterschiedlich. Manche sind eher grau, andere gelb bis braun. Das wirkt im Vergleich zu den kontrollierten, genormten Holzbaustoffen im Rest des Gebäudes ebenso lebendig wie archaisch und gibt dem Gebäude Tiefe. Zu den Granitfelsen in der umgebenden Waldlandschaft steht der plastische Baumschirm zudem in reizvollem Kontrast.
Fast reiner Holzbau mit Gebäudeklasse 4
Von der Zweifachverglasung abgesehen, besteht das Gebäude wirklich auch sonst fast nur aus Holz: Brettschichtholzstützen und -träger sowie Brettsperrholzdecken und -wände bilden das Tragwerk, ausgesteift durch zwei betonierte Fluchttreppenhäuser, deren Läufe indes schon wieder aus massiven Holzstufen gefügt sind. Und die Betonschalung bestand ganz offensichtlich aus gebürstetem Nadelholz. Vor allem durch Abkapselung der tragenden Holzteile gelang es, die Gebäudeklasse 4 zu erreichen.
Wendeltreppe, Theke, Gewölbe, Leuchte: alles aus Holz
Als Blickfang im Foyer dient eine Spindeltreppe aus Furnierschichtholz. Sie führt bis in den dritten Stock, wo allein Kantine und Loggia einen baumfreien Blick ins Gelände bieten. Es gibt aber auch eine Theke aus übereinandergestapelten Kanthölzern, eine runde Lichtkuppel als Holzkraggewölbe, eine Wand aus horizontal gehängten, grob gesägten Stämmen, eine Leuchte aus unterschiedlich langen Latten und überall Eichendielen.
Zusammenarbeit mit Holzbaufirma
Brückner & Brückner sind für ihre präzisen, gediegenen Interieurs bekannt. Hier arbeiteten sie eng mit der örtlichen Holzbaufirma Riedl zusammen, die die Ausführungs- und Detailplanung übernahm. „Die verarbeiteten Produkte sollten Anwendung finden und ‚begehbar ausgestellt‘ sein“, sagt Brückner-Projektleiter Stephan Gräbner. „Das Ziel und gleichzeitig die Herausforderung war es, den Baustoff Holz konsequent weiterzuentwickeln und zeitgemäße Antworten für seine Verwendung zu finden – freilich ohne dabei kitschig zu werden.“
Das ist dank des insgesamt ruhigen räumlichen Rahmens überzeugend gelungen. Das Unternehmen stößt mit dem für 120 Mitarbeitende konzipierten Neubau indes schon wieder an seine Grenzen. Die Zentrale soll künftig Mittelpunkt eines „Campus“ mit weiteren Gebäuden werden.
Nawareum: Showroom für nachwachsende Rohstoffe
Die Idee des lebensgroßen „Showrooms“ überzeugt – schade eigentlich, dass er sich in Plößberg sozusagen im Wald versteckt. Interessierten sei daher ein Besuch bei einem anderen Projekt ans Herz gelegt, das der gleichen Idee folgt, aber weit zugänglicher im niederbayerischen Straubing verortet ist.
Auch hier gibt es aus dem Bayerischen Wald viel Holz zu vermarkten. Die bayerische Staatsregierung hat deshalb Straubing zum Standort eines auf nachwachsende Rohstoffe spezialisierten Hochschul-Campus auserkoren. Jüngster Zuwachs inmitten der Institutslandschaft ist das gerade im März eröffnete „Nawareum“, ein Ausstellungshaus, in dem nachwachsende Rohstoffe einer breiteren Öffentlichkeit in allen Facetten vorgestellt werden. Dömges Architekten aus Regensburg planten das Gebäude nach einem Wettbewerb in Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Hochbauamt Passau.
Baumstämme tragen das Vordach
Das insgesamt nur zweistöckige Gebäude ist als Teil der Ausstellung komplett aus Holz – von den Flucht- und Nebenräumen abgesehen. Hier haben es 11,50 Meter hohe Lärchenstämme aus dem Staatsforst in die Stadt geschafft. Nun zieren sie in noch lockererer Reihung als in Plößberg und mit sichtbaren „Schuhen“ die lange Südfront des Museums. In diesem Fall tragen die Baumstützen immerhin das rund 2,50 Meter breite Vordach aus Brettsperrholz, das folglich erst nach der Schließung der Südfassade angefügt wurde.
Holzskelettbau mit Passivhausstandard
Mit Dreifachverglasung, Erdsonden und Kollektoren genügt der Bau dem Passivhausstandard. Auch ist er strikt gen Süden ausgerichtet und nur dorthin großzügig verglast. Im Gegensatz zu seiner quaderförmigen Hülle entfaltet sich das Interieur diagonal: Aufgrund der etwas beengten städtebaulichen Lage betritt man das Gebäude an der Südostecke, wo sich die Baumreihe zu einer Art Lichtung mit Deckenausschnitt erweitert.
Innen empfängt der Skelettbau gleich mit noch mehr Rundholzstützen. Die sind allerdings ganz gerade und aus Brettschichtholz, denn sie tragen den 5.408 Quadratmeter großen Hauptbau, wofür das Holz bekanntlich weder besonders astreich noch exzentrisch verwunden sein darf wie die „Kollegen“ direkt aus dem Wald.
Schräg geht es weiter: In einem schmalen, langen Lichthof führt eine offene Treppe hinauf bis zu einem Ausguck, der objekthaft den Quader durchstößt und den Blick auf die (Vor-)Stadt freigibt. Von der Galerie führt unterwegs eine Rutsche hinab.
Lernparcours für den Holzbau
Erfreulicherweise ist das Gebäude mit den anschaulichen Lern- und Spielstationen nicht komplett zugestellt, sondern stark genug, um ein Eigenleben zu entfalten. Natürlich gibt es den toten Baumstamm zum Aufklappen und andere raumgreifende Installationen, für die eigens ein Kunst-Wettbewerb ausgelobt wurde.
Der Parcours beginnt im massiven Untergeschoss und führt aus dem Dunkel ins Licht, was effektvoll ist. Leider sitzt der 20-Millionen-Euro-Bau etwas eingezwängt und zusammenhanglos da. Die repräsentative Schaubaumfassade kommt so nicht recht zur Geltung, während die übrigen, verbretterten Nebenfassaden schon sehr sichtbar vergrauen – in der Stadt immer noch ein ungewohnter Anblick.
Das Spiel von Licht und Schatten auf den Baumstämmen ist indes auch von der Seite sehr schön. Den offenen Innenräumen gibt es einen ruhigen Rhythmus inmitten der temporären Installationen. Die Resonanz zur Eröffnung ist groß bei Jung und Alt. Bleibt zu hoffen, dass sie viel mitnehmen in ihren Alltag – wenn die gebaute Werbung wirkt, tummeln sich hier vielleicht gerade die Holzbauer der Zukunft.
Baumstämme im Holzbau tragend einsetzen?
In Deutschland werden ganze Bäume im Baubereich üblicherweise nicht tragend eingesetzt – oder wenn, dann deutlich überdimensioniert. Doch das müsste nicht so sein, wie der Blick in die USA zeigt. Dort hat eine kleine Firma im Bundesstaat Wisconsin ein Verfahren entwickelt, mit dem ansonsten fast wertloses Durchforstungsholz zielgenau verbaut werden kann – und das tragend!
Hinter dem natürlichen Aussehen steckt dabei ein Haufen digitaler Technik: Die Geometrie der Bäume wird durch Scanner erfasst, in Autodesk-Dateien übersetzt und in eine Online-Datenbank eingespeist Dort können Baufirmen und Architekten die individuellen Baumgeometrien einsehen und als Baumaterial bestellen (). Die Tragfähigkeit der krummen Stämme prüfen Mitarbeiter zuvor mithilfe nichtinvasiver Echo-Verfahren. Wie das genau funktioniert, lesen Sie in unserem Zusatz-Beitrag.
Weitere Beiträge finden Sie auch gesammelt in unserem Schwerpunkt Nachhaltig.
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Hochinteressant der Beitrag „BAUMhäuser“, vor allem auch das Statement des Statikers: „Ein einzeln herausgeschnittener Balken aus einem dieser Bäume hätte nie ausgreicht…“
„Ein gelungener Coup, mit einfachen Mitteln umgesetzt – denn tragen müssen die Stämme in diesem Fall nur sich selbst. Sie wurden erst nach Fertigstellung des Kern-Hauses hinzugefügt.“
Materialverschwendung träfe es wohl eher, bestenfalls handelt es sich um einen aufwendigen, dysfunktionalen und nutzerunfreundlichen außenliegenden Sonnenschutz.
Sofern die im Artikel benannten Zahlen zutreffen, ist ein Viertel des Gebäudevolumens mit Holz gefüllt. Der unterstellte Wunsch nach einer rauen Selbstdarstellung liegt nahe und mag für die Außendarstellung eins Holzbaubetriebes auch folgerichtig erscheinen. Ob diese allerdings dadurch unterstützt wird, dass so viel Holz wie möglich verbaut wird, erscheint zumindest fragwürdig.
Ich bin seit über 30 Jahren ausschließlich im landw. Bauen unterwegs. Es ist keineswegs unüblich, Architekten zu nutzen. Und nein, es gibt schon seit Jahrzehnten Beispiele für Rundholzbauten in der Landwirtschaft. Das KTBL (Kuratorium für Bauen in der Landwirtschaft) hat mit dem Arbeitspapier 229 „Landwirtschaftliches Bauen mit Holz“ 1995 eine Sonderschrift aufgelegt, in der ein Beitrag von Herrn Rittel, -Bayrische Landesanstalt für Landtechnik- veröffentlicht war. Die Landesanstalt hatte damals und hat sie auch heute noch, soweit ich weiß, Baupläne und Statiken für Rundholzbauten in ihren Archiven zum freien Erwerb. Alles schon dagewesen und nichts Innovatives, wie immer verlautet wird. Schon peinlich, mit welchem Furor hier wieder eine „Neuigkeit“ im Hochglanzformat erscheint.
LG R. Seevers