Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Homemade“ im Deutschen Architektenblatt 11.2022 erschienen.
Von Christina Gräwe
Wäre das Haus ein Marmeladenglas, müsste es im besten Sinn mit „home-made“ gelabelt sein. Denn hinter dem Ergänzungsbau des hessischen Ministeriums der Finanzen in Wiesbaden verbirgt sich ein ungewöhnlicher Prozess. Für den Neubau wurde, entgegen dem üblichen Verfahren, kein klassischer Wettbewerb ausgelobt oder der Auftrag, wie häufig, „nach draußen“ vergeben, sondern verwaltungsintern nach dem besten Entwurf gesucht.
Entwürfe von Mitarbeiterinnen und Baurefenredaren
Dafür lobte man sozusagen einen eingeladenen Wettbewerb innerhalb des eigenen Hauses aus, bei dem drei Teams – aus den Niederlassungen Fulda und Darmstadt sowie eine kleine Gruppe von Baureferendaren – gegeneinander antraten. Als Basis diente keine detaillierte Auslobung, sondern das Raumprogramm, das an dem Bedarf der beengt untergebrachten Mitarbeitenden orientiert war. Die Jury war mit dem damaligen Wiesbadener Stadtplanungsdezernenten Joachim Pös, Finanzminister Karlheinz Weimar, dem damaligen Staatssekretär Bernd Abeln und Thomas Schwendler aus dem Wiesbadener Stadtplanungsamt besetzt.
Zuvor waren die Entwürfe mit dem Landesamt für Denkmalpflege und der Stadt bereits abgeklärt worden. Fulda erhielt den Zuschlag – und damit der Entwurf mit der größten Aufenthaltsqualität für die späteren Nutzerinnen und Nutzer, wie Architektin Sabina Freienstein vom Landesbetrieb Bau und Immobilien Hessen (LBIH) feststellt. Es folgte eine Überarbeitungsphase, in der die späteren Nutzer dann auch direkt miteinbezogen wurden.
Finanzplanung mit langem Vorlauf
Einem Finanzministerium wird besonders auf die Finger geschaut, wenn es um viel Geld geht; das Haus wollte nicht nur energieeffizient, sondern auch ökonomisch ressourcenschonend bauen. Nachdem bereits 2002/03 im Vorfeld des internen Wettbewerbs drei verschiedene Standorte auf dem Areal des Ministeriums für eine Erweiterung geprüft worden waren, dauerte es daher trotz des „drückenden Platzbedarfs“ knapp acht Jahre, bis das Projekt im Haushalt untergebracht war.
Budget eingehalten
An der Überarbeitung hauptsächlich des energetischen Konzepts und der Umsetzung des Entwurfs arbeiteten dann alle zusammen: ein interdisziplinäres Team der Niederlassungen Fulda und Darmstadt sowie bei der Ausführung insbesondere Wiesbaden. Für diese Phase wurden außerdem freie Architekten hinzugezogen (Eßmann, Gärtner, Nieper Architekten aus Darmstadt). Im Oktober 2013 begannen die Tiefbauarbeiten. Trotz einer Havarie bei der Geothermie-Bohrung konnten die ursprünglich geschätzten Gesamtbaukosten von rund 26 Millionen Euro durch Einsparungen an anderer Stelle eingehalten werden. Nach langem Vorlauf und kurzer Bauzeit konnte das Haus im Sommer 2015 von den stolzen Nutzern bezogen werden.
Bauverwaltung mit Praxisbezug
Aber warum überhaupt der Ehrgeiz des LBIH, der immerhin 80 Prozent der Bauaufgaben an freie Büros vergibt, dieses Projekt hausintern zu stemmen? Architektin Sabina Freienstein, damals Sachgebietsleiterin im Hessischen Staatsbauamt Wiesbaden, ist überzeugt, dass die Bauverwaltung nur dann eine gute Partnerin sein kann, wenn sie den Bezug zur Praxis nicht verliert. So wie es umgekehrt wichtig für praktizierende Bauleute sei, gute Vertragsverhandlungen zu führen und das Kleingedruckte zu kennen, erläutert sie. „Wer 20 Jahre nicht baut, ist kein adäquater Gesprächspartner für die freiberuflichen Vertragspartner“, sagt sie bestimmt und trägt diese Haltung auch in ihr Engagement im Vorstand der Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen.
Das Finanzministerium als übergeordnete Behörde unterstützte ihr Anliegen, die eigenen Fähigkeiten und Kapazitäten jenseits des Schreibtischs unter Beweis zu stellen. Immerhin, so Sabina Freienstein, stelle der öffentliche Dienst ein Sechstel der gesamten Architektenschaft: „Wir können planen und bauen und sehen uns als Landesbetrieb als Vorreiter zum Thema Nachhaltigkeit.“
Öffentliche Vorbildfunktion für nachhaltiges Bauen
Diese beispielgebende Rolle war allen Beteiligten ein wichtiges Anliegen. Mittlerweile ist das Gebäude nach dem Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen zertifiziert und erfüllt zudem den „Passivhaus Classic“-Standard. Solche Ziele waren zu Beginn der Planungen 2003/04 keineswegs selbstverständlich. Ihre erfolgreiche Umsetzung etwa durch Wärmetauscher und die Nutzung von Abwärme der Heizung im Altbau hilft bei dem ehrgeizigen Vorhaben, die gesamte hessische Landesverwaltung bis 2030 auf einen CO2-neutralen Betrieb umzustellen: „Die Landesverwaltung möchte hier eine Vorbildfunktion übernehmen und ein Signal in die Bevölkerung senden“, erläutert Alexander Hoffmann-Glassneck, der Pressesprecher des LBIH.
Kompakter Kubus mit Fenster zur Stadt
Auch architektonisch setzt der Neubau Zeichen. Das wohl markanteste ist das „Fenster zur Stadt“ an der Westseite. Ab dem ersten Geschoss unterbricht es als große Geste den ansonsten kompakten Kubus. „Es ist als Symbol für eine transparente Verwaltungsarbeit lesbar“, beschreibt Hoffmann-Glassneck die Absicht dahinter. Der Erweiterungsbau ist über den Haupteingang des Bestandsgebäudes zugänglich. Als Verbindungsglied dient eine gläserne Brücke, die im ersten Stock in eine Halle direkt hinter der einladenden Öffnung führt.
Atrium als Begegnungsort
Nicht zuletzt diese großzügige Halle sorgte bei den Mitarbeitenden für eine hohe Akzeptanz ihrer neuen Arbeitsplätze, denn „einen solchen Raum, wo man sich versammeln, informell treffen und Veranstaltungen beiwohnen kann, gab es vorher nicht. Begegnungsorte werden immer wichtiger in der Arbeitswelt“, hebt Sabina Freienstein hervor. Mittig unter der Glasdecke schwebt eine Skulptur in Form einer schwarzen Doppelnull. Sie stammt von dem Künstler Bogomir Ecker, der mit diesem Vorschlag erfolgreich aus einem Kunst-am-Bau-Wettbewerb hervorgegangen war.
Um die Halle herum lagern sich die Büros an, in die auch die Mitarbeitenden einer ehemaligen Außenstelle des Ministeriums eingezogen sind. Die Raumgrößen sind variabel; die leichten Trennwände können bei Bedarf herausgenommen werden.
Denkmalgeschützes Nachbarhaus
Mitgeredet hat auch das Landesamt für Denkmalpflege und damit eine weitere Landesbehörde. Alle Beteiligten hätten großes Interesse daran gehabt, dass jede einzelne Position weitgehend umgesetzt wurde, berichtet Freienstein von den intensiven Diskussionen. Der Neubau sollte eigenständig sein, aber auch dem denkmalgeschützten Altbau – einem fein gegliederten Bau der Nachkriegsmoderne – seinen Charakter lassen. Er ist in Anlehnung an diesen mit grünem Naturstein verkleidet, biedert sich aber keineswegs an. Das viergeschossige Volumen ist nur dezent höher als der 1960er-Jahre-Bau und beinahe genauso tief, passt sich also in den Proportionen gut ein.
Am Ende stand der Eindruck, dass das Land gemeinsam überzeugend gezeigt hat, was es kann. Die Erweiterung des Ministeriums für Finanzen in Wiesbaden ist ein Beispiel dafür, wie Behörden sämtliche Planungs- und Realisierungsphasen zu einem glücklichen Ergebnis führen können. Wenn pandemieverzögert das Haus wieder richtig im Alltag angekommen ist, wird vielleicht die Idee der Halle als temporär öffentlicher Veranstaltungsort erneut aufgegriffen. So bekämen Externe die Gelegenheit, sich von den Qualitäten des Hauses auch von innen zu überzeugen.
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