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Blumengroßmarkt: New Mix in the Block

Genossenschaftswohnungen, soziale Einrichtungen, Künstler-Ateliers und gemeinschaftlich finanziertes Gewerbeeigentum: Rund um die frühere Blumengroßmarkthalle in Berlin-Kreuzberg geht das alles zugleich. Dafür gesorgt haben Bauherren und Architekten mit stadtpolitischem Anspruch – und mit viel Ausdauer

23.02.20197 Min. Kommentar schreiben

Von Nils Ballhausen

Die Südliche Friedrichstadt ist ein Quartier, in dem schon vieles ausprobiert wurde. Aus der Zeit ihrer Gründung als barocke Stadterweiterung ist heute allenfalls noch die Straßenführung nachvollziehbar: Wilhelm-, Friedrich- und Lindenstraße liefen einst strahlenförmig auf das ehemalige Rondell vor dem Halleschen Tor zu, das Ende der 1960er-Jahre von Werner Düttmann mit einer kreisrunden Wohnbebauung nachempfunden wurde – dem heutigen Mehringplatz. Jedem städtebaulichen Leitbild wurde hier so lange gefolgt, bis es vom nächsten abgelöst wurde: aufgelockerte Stadt, autogerechte Stadt, soziale Stadt, postmoderne Reparatur der Stadt. Mit dem Mauerfall rückte die Gegend vom West-Berliner Rand in die Mitte der Hauptstadt. Der häufige Paradigmenwechsel hat mit den Jah-ren einen baugeschichtlich interessanten, aber zusammenhangslosen Stadtraum erzeugt, dessen Bewohner immer stärker ins soziale Abseits gerieten.

Ein Zeugnis aus der „suburbanen“ Phase ist die Blumengroßmarkthalle, die 1965 von Bruno Grimmek zwischen Friedrich- und Lindenstraße errichtet wurde. Als die Blumenhändler 2008 ausgezogen waren, standen auch die umliegenden Logistik-Flächen leer. Zwischenzeitlich kam die Idee auf, die Markthalle in eine Kunsthalle zu verwandeln, die Diskussion wurde jedoch mit dem überraschenden Verkauf der Liegenschaft an das benachbarte Jüdische Museum (das heute darin seine Akademie betreibt) abgewürgt. Aus der lokalen Kunsthallen-Initiative entwickelte sich das „Netzwerk Kulturwirtschaft, Medien, Bildung Südliche Friedrichstadt“, das nun im Quartiersmaßstab thematisch in dieser Richtung weiterarbeitete und 2011 gemeinsam mit Bezirks- und Senatsvertretern ein „Standortentwicklungskonzept für ein Kunst- und Kreativquartier (KuKQ)“ vorlegte. Einige der Leitziele: Orientierung an einer künstlerischen und kreativwirtschaftlichen Klientel, partizipatorische und dialogische Gebietsentwicklung mit lokalen Akteuren, ein angemessenes Preisniveau, kleinteiliger Nutzungsmix aus Wohnen und Gewerbe, kulturelle Impulse für die sozial benachteiligte Nachbarschaft.

Architekten als Projektentwickler

Der Berliner Immobilienmarkt – heute kaum noch vorstellbar – war zu jener Zeit weitgehend erlahmt. Die Kreativquartier-Initiative forderte, die landeseigenen Brachflächen nicht, wie es jahrelang Praxis gewesen war, an Meistbietende zu verkaufen, sondern an Bewerber mit dem stadtverträglichsten Konzept. Von den fünf umliegenden Baufeldern (insgesamt etwa 14.000 Quadratmeter) wurden 2014 drei nach einem in Berlin neuartigen Konzeptverfahren vergeben und entwickelt. Fünf Jahre später sind hier drei Neubauten zu besichtigen.

Zugespitzt lässt sich sagen, dass mehr Zeit mit Diskutieren und Entwerfen verbracht wurde als mit dem Bauen. Der lange Vorlauf war dem experimentellen Charakter des Verfahrens geschuldet, das nach und nach modellhafte Züge annahm. Das Projekt mag sogar den Schwenk in der Liegenschaftspolitik des Landes Berlin befördert haben. Seit 2013 wird unter dem Leitbild „Transparente Liegen-schaftspolitik“ auch von offizieller Seite mehr Licht und Strategie in die Vergabepraxis gebracht. Die Konzeptentwicklung am ehemaligen Blumengroßmarkt erfolgte über ein neuartiges „qualifizierendes Verfahren (QV)“. Anstatt nach der Grundstücksvergabe einen Architekturwettbewerb für jedes Baufeld auszuloben, wurden die drei Entwürfe in regelmäßigen Abständen einem Gremium aus Politik, Quartiersmanagement, Nachbarschaftsinitiativen und interessierten Bürgern vorgestellt und so lange modifiziert, bis die stadtentwicklungspolitischen und bauleitplanerischen Zielvorstellungen mit der Architektur unter einen Hut gebracht waren.

Eine Atelier-Wohnung im IBeB

Nur ein eingeschränkter Kreis von Bauherren und Architekten kann sich auf einen solchen Prozess einlassen. „Aufgrund der dialogischen und prozesshaften Projektentwicklung haben wir unser Projekt Frizz23 gefühlt fünfzehnmal neu entworfen“, erinnern sich Matthew Griffin und Britta Jürgens (Deadline Architekten), die mit ihrem „Miniloft Apartment Hotel“ stets über ein Standbein jenseits ihres Architekturbüros verfügten. Tim Heide sagt, er habe für das „IBeB – Integratives Bauprojekt am ehemaligen Blumengroßmarkt“ (entworfen von den Büros ifau und Heide & von Beckerath) an 66 Baubesprechungen mit der Bauherrengemeinschaft teilgenommen. Rechnet sich denn so etwas? „Besonders wirtschaftlich war das vielleicht nicht, aber wir konnten die Planung für das IBeB über andere Projekte unseres Büros subventionieren“, erläutert Tim Heide. „Der Gewinn besteht für uns – neben wertvollen Erkenntnissen aus dem Partizipationsprozess – vor allem darin, dass wir ein Haus von einer gewissen Größe realisieren konnten, das zudem aus einer Vielfalt spezieller Grundrisstypen besteht.“

Komplex in jeder Hinsicht

Das IBeB liegt südlich der Halle wie ein Kreuzfahrtschiff am Terminal. Die 87 Wohnungen und Wohn-Ateliers wurden von der Selbstbaugenossenschaft Berlin eG, privaten Bauherren und einem sozialen Träger, dem Evangelischen Gemeindeverein der Gehörlosen in Berlin, finanziert. Da weder die Anzahl noch die Größe der Wohnungen und Ateliers zu Beginn des Entwurfs feststanden, verankerten die Architekten zunächst lediglich die beiden Treppenhäuser. Entlang der sie verbindenden Horizontalerschließung konnten die Module auf dem Papier so lange verschoben und verfeinert werden, bis die Baugemeinschaft sich gefunden hatte und die Finanzierung feststand.

Die linearen Erschließungen, die aus diesem Entwicklungskonzept hervorgingen, kommen im gegenwärtigen Wohnungsbau nur selten vor. Im ersten Obergeschoss reihen sich die südlichen Wohneinheiten an einem Laubengang auf. In den darüberliegenden Geschossen war es aufgrund der Gebäudetiefe von 23 Metern möglich, die Wohnungen über eine „Rue Intérieure“ zu erschließen, die über fünf glasgedeckte Höfe Tageslicht erhält. Eine räumlich ebenso überraschende wie gewagte Lösung, allein schon wegen der Nähe zwischen den nachbarschaftlichen Küchenfenstern. Der gemeinsame Zwischenraum dürfte aber ein Mehrwert für alle Bewohner sein, denn die internen Wege führen bis unter freien Himmel und gipfeln in einem entrückten Gemeinschaftsgarten auf dem Dach. Die Wege im Haus sind als besonderer Bestandteil des Wohnens zu verstehen, nicht als bloße Notwendigkeit. Da die Eigentums- und die Genossenschaftswohnungen unregelmäßig im Haus verteilt liegen, behalten die Verbindungswege, da sie keine segregierten „No-go-Areas“ tangieren, etwas angenehm Urbanes.

Bunte Mischung: Mit Frizz23 übertrugen Deadline Architekten das Prinzip Baugruppe erstmals auf einen Gewerbebau.

Bauen als Existenzsicherung

Während das IBeB im Fokus der Verknüpfung von Wohnen und Arbeiten entstand, wurde bei Frizz23 (benannt nach der Adresse Friedrichstraße 23) nördlich der ehemaligen Markthalle das erprobte Baugruppenmodell erstmals auf einen Gewerbebau übertragen. „Heute redet in Berlin fast jeder über Verdrängung. Uns war es schon vor zehn Jahren wichtig, die selbst gemachte und kleinteilig ge-mischte Stadt auch in zentralen Lagen nicht aufzugeben“, sagt die Architektin Britta Jürgens. „Mit Frizz23 haben wir einen Rahmen geschaffen, der es den beteiligten Künstlern und Kreativen ermöglicht, ihren Standort gemeinsam zu sichern.“ Der Verdrängungsdruck durch die globale Immobilien- und Tourismuswirtschaft ist seither immens gestiegen. Lokale Gewerbetreibende müssen früher oder später wegziehen, Künstler verlieren ihre Ateliers, die sogenannte Kreativbranche (die paradoxerweise derlei Begehrlichkeiten erst geweckt hat) wird mit horrenden Mieterhöhungen konfrontiert. Diesem Automatismus etwas entgegenzusetzen war das Ziel.

Grundrisse im Frizz23: links das Miniloft-Hotel, rechts das Forum Berufsbildung und dazwischen Redaktionen, Proberäume, Werkstätten.

Im Konzeptverfahren taten sich die Architekten mit dem gemeinnützigen Verein „Forum Berufsbildung“ (im westlichen Gebäudekopf) und einer Baugemeinschaft (im mittleren Teil) zusammen, die von der Architektur-zeitschriftenredaktion und der Werbeagentur bis zum Drehbuchstudio und zum Proberaum eines Pianisten unterschiedlichste Raumgrößen erforderte. Den Miniloft-Turm für temporäres Wohnen (im östlichen Kopf) betreiben Jürgens und Griffin als zweiten Standort ihres Hotels selbst. Das dreigeteilte Gebäude, durch seine Versprünge deutlich markiert, wird von einer Bandfassade aus geflammtem Holz zusammengehalten. Eine Arche? Ein Reservat?

Querfinanziert: Die Eigentümer im Metropolenhaus haben pro Quadratmeter Nutzfläche zwischen 300 und 600 Euro zur Errichtung des kiezorientierten Erdgeschosses gezahlt.

Das Metropolenhaus am Jüdischen Museum an der Ecke Lindenstraße wurde von Benita Braun-Feldweg und Matthias Muffert (bf-studio-architekten) initiiert und geplant. Hier lautete das Programm „interkulturelles Mosa-ik“. Die eher konventionellen Eigentumswohnungen in den Obergeschossen finanzieren das Erdgeschoss, von dem rund 400 Quadratmeter für lokale Kulturschaffende zum moderaten Mietpreis vorgehalten werden. Hier kommt für die Architekten und die Bewohner zum Planen und Bauen auch noch das Kuratieren hinzu, um die im Konzeptverfahren festgelegten Impulse in die Nachbarschaft zu tragen. An diesem Erdgeschoss wird das Gelingen (oder das Scheitern) des Projekts am einfachsten abzulesen sein.

Die Quartiersentwicklung um den ehemaligen Blumengroßmarkt gehört zum Überraschendsten und Erfreulichsten, was seit 1990 in Berlin entstanden ist. Bedenklich ist, dass sie sich einer Zufallskonstellation aus Immobilienflaute, engagierten Architekten, Bauherren und lokalen Akteuren verdankt, während die zuständigen Ämter und Verwaltungen zu einem solchen Umschwung offenbar lange nicht in der Lage waren. Einer der damaligen Protagonisten, Florian Schmidt, wurde 2016 zum Baustadtrat des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg gewählt und verfolgt die Idee der durchmischten Stadt seither auf höherer Ebene weiter.

Gezielte Auswahl: Die Projekträume im Metropolenhaus werden für maximal 6 Euro/qm über ein „kuratorisches Gewerbe-Management“ vergeben.

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