Text: Heiko Haberle
Noch als Architekturstudenten hatten Karim El-Ishmawi, Martin Jacobs und Chris Middleton 1999 unweit des Berliner Alexanderplatzes einen eigenen Club eröffnet, ihn selbst ausgebaut und „Kinzo“ genannt. Weil auch nach Studienende das Architekturgeschäft noch am Boden lag, widmeten sich die drei Freunde Aktionen im öffentlichen Raum oder drehten Filme. Aber auch Aufträge für kleinere Innenausbauten kamen bereits, sodass 2002 im gleichen Haus wie der Club das gleichnamige Büro Kinzo gegründet wurde. Von Anfang an wollten sie selbstständig sein und neben der Architektur angrenzende Gestaltungs-Disziplinen einbeziehen. „Das bietet mehr Gestaltungsmöglichkeiten und erlaubt eine größere Arbeitstiefe“, findet Karim El-Ishmawi und berichtet noch vom Wunsch, ein Projekt nicht nur an einer Ecke anfassen zu wollen, um es dann anderen Planern zu übergeben, sondern vom Konzept bis zur Schraube beeinflussen zu können.
Den Club gibt es nicht mehr und das Büro ist längst umgezogen, doch der interdisziplinäre Denkansatz findet sich heute im Team aus Architekten, Innenarchitekten, Produktdesignern und Grafikern wieder. Dass heute viele Bürokonzepte und -ausstattungen zu Kinzos Aufträgen gehören, sei kein bewusst gewählter Schwerpunkt. Sehr wohl werde das Thema aber generell wichtiger, denkt El-Ishmawi. Als man sich 2007 dem Thema erstmals annahm, sei der Arbeitsplatz kaum als Gestaltungsaufgabe wahrgenommen worden, obwohl so viel Zeit dort verbracht wird. So wie inzwischen aber das Design bei Hotels ein wichtiges Aushängeschild ist, werde es das auch im Büro werden, denkt der Architekt. Eine „bunte Welt der individuellen Bürokonzepte“, wie sie im angelsächsischen Bereich, etwa im Silicon Valley, schon oft zu finden ist, werde auch zu uns kommen. „Wir planen inzwischen Büros, die eigentlich gastronomische Einrichtungen mit Arbeitsmöglichkeiten sind.“
Viele Firmen scheinen den Druck zu spüren, überkommene Strukturen ändern zu müssen. Sie wollen Kommunikation und Abläufe verbessern, die Mitarbeiterbindung verstärken und überhaupt ein modernes Bild von sich zeichnen. Es muss schon gute Gründe geben, warum man noch ins Büro geht, wo die Arbeit immer mobiler wird. „Weil man heute viel im Team arbeitet und den gegenseitigen Austausch braucht“, antwortet El-Ishmawi. Das Sozialisieren gehört heute also auch zum Büroalltag, ebenso wie das Entspannen und unterschiedliche Arten der Arbeit. Etwa die Hälfte der Zeit müsse man konzentriert alleine sein können, erklärt der Architekt. Für all das seien passende und möglichst attraktive räumliche Angebote nötig. Die Kategorien Einzel-, Großraum- oder Kombibüro lehnen Kinzo dabei ab. Sie sprechen eher von „städtischen Landschaften“, in denen verschiedene Tätigkeiten an geeigneten Orten geschehen, statt organisatorische Strukturen abzubilden. Bekannte Elemente, wie Zelle und Großraum können aber darin auftauchen. An „verkehrsgünstigen“ Stellen schaffen sie Kommunikationsbereiche.
Besonders mutig, seien oft eher traditionelle Unternehmen, wie die Erste Bank in Wien, für deren Hauptverwaltung Kinzo die Innenräume planten. Die Bank wollte einen Paradigmenwechsel vom „Ich“ zum „Wir“ einleiten und vor allem Offenheit signalisieren, was auch die gläserne Architektur von Henke Schreieck Architekten ausdrückt. Sehr radikal hat man Hierarchien und Privilegien abgebaut. Es gibt kein einziges Einzelbüro mehr – auch nicht für den Vorstand – und keine festen Arbeitsplätze. Die 4620 Schreibtische entsprechen nur 80 Prozent der Mitarbeiterzahl, weil 20 Prozent unterwegs oder krank sind, Home-Office oder Urlaub machen. Für solch radikale Konzepte seien drei Faktoren wichtig, erklärt El-Ishmawi: Erstens eine Veränderung auf Nutzerseite, zweitens die technischen Voraussetzungen, etwa für ständige Platzwechsel der Mitarbeiter und drittens die Gestaltung der Bereiche und ihrer Atmosphären.
Letztendlich gehe es in der Arbeit von Kinzo immer darum, bestimmte Atmosphären zu schaffen. Sie beeinflussen das Arbeiten, vermitteln Mitarbeitern und Gästen Wertschätzung und idealerweise auch die Firmenphilosophie. Um dorthin zu gelangen, fließt zunächst viel Aufwand in die Analyse der Kundenwünsche. Durch Workshops versuchen die Planer, ein Gefühl für das Unternehmen zu bekommen. „Wir lassen uns aus verschiedenen Perspektiven erzählen, welche Werte dem Unternehmen wichtig sind und wie das neue Arbeitsumfeld sein soll. Uns ist ein hohes Maß an Identifikation mit dem Entwurf wichtig. Schubladendenken und Standardlösungen vermeiden wir“, erklärt El-Ismawi. Es folgen eine erste Raum-Funktionsplanung und das Arbeiten mit Mood-Boards, mit denen Stimmungen und Zielrichtungen formuliert werden. Wenn das Konzept geschärft ist, werden die Fachplaner, etwa für Licht und Akustik eingebunden.
Idealerweise sollte bei Neubauten die Büroplanung schon mit dem Gesamtentwurf zusammen gedacht werden. Nur selten ist das schon Thema in Wettbewerben, wie etwa beim neuen Zalando Campus, den Henn Architekten mit Büroentwürfen von Kinzo gewannen. El-Ishmawi empfindet die Innenarchitektur als stiefmütterlich behandelt und appelliert, sie ähnlich zu gewichten, wie Landschaftsplanung, Statik und Haustechnik, die bereits in frühen Planungsstadien einen Entwurf entscheidend beeinflussen: „Wir hätten bessere Gebäude, wenn die Atmosphäre und die Ausstattung der Räume von Anfang an mitgedacht würden.“
So kommt das Team von Kinzo immer wieder zu individuellen Lösungen, zu denen oft auch das Mobiliar gehört. Je nach Größenordnung kann die Umsetzung ein lokaler Tischler übernehmen oder man sucht einen Hersteller, durch dessen Erfahrung dann oft ein deutlicher Qualitätssprung erreicht werde, wie El-Ishmawi findet. Manches wird dann später sogar zum Serienprodukt. Die modulare Ausstattung für die Erste Bank in Wien basiert auf einer Planung, die Kinzo unabhängig vom Projekt schon begonnen hatte. Dazu gehören vier Arbeitsplatztypologien für konzentriertes oder eher teamorientiertes Arbeiten. Erkennbar sind die Bereiche an den Leuchten in verschiedenen Farben und Formen, die als einheitliches System der eher kleinteiligen Möblierung in dem offenen Raum übergeordnet sind. Sideboards, Regale sowie falt- und schwenkbare Raumteiler gliedern den offenen Raum. Hinzu kommen Besprechungsräume, Sitzgruppen mit Hydrokulturen, Pausenbereiche und Garderobenmöbel mit integrierter „Telefonzelle“. 1500 Sessel schaffen zwischendurch Wohnzimmeratmosphäre.
Das Möbelprogramm für „Adidas Laces“, dem Forschungs- und Entwicklungszentrum des Sportartikelherstellers in Herzogenaurach, wurde komplett individuell entworfen. Es besteht aus 50 verschiedenen Elementen, die anders als im herkömmlichen Verwaltungsbau, auch Textilien, Bällen, Schuhen und Plänen einen Platz verschaffen und die Architektur von kadawittfeld nahtlos weiterentwickeln. „Dass wir gerne selber Möbel entwerfen, hat nichts mit fehlenden Angeboten der Industrie zu tun. Uns sind einfach Einzigartigkeit und Identifikation besonders wichtig“, erzählt El-Ishmawi. Greife man auf Serienprodukte zurück, gleiche das oft einem „cherry picking“: hiervon einen Stuhl, dort einen Tisch, diesen Mülleimer. Dann entstehe leicht der Eindruck einer Collage: „Wir wollen keine Möbelsammlung, sondern eine rundum gelungene Raumplanung.“ Wo die Büromöbelindustrie aber tatsächlich wenige Angebote mache, sei im Bereich der Funktionsüberlagerung, wie sie Kinzo gerne vorsehen: Bei den Büros für den Online-Dienst Soundcloud geht im Empfangsbereich der Tresen in eine Lounge über. Ein Garderobenmöbel mit Spinden bietet zugleich eine Sitznische und eine Wasserstelle. Die Polstermöbel in einem Besprechungsraum werden mit zugezogenen Vorhängen zur Liege für den Mittagsschlaf. Eine Kerze zeigt an, ob jemand schläft. „Verschiedene Nutzungszustände ohne Umbauten abzubilden, ist mit klassischer Möblierung nicht machbar“, findet El-Ishmawi.
Die neuste Bürolandschaft von Kinzo wurde gerade in Berlin eröffnet. Der Stromnetzbetreiber 50hertz bezieht seinen von Love architecture and urbanism entworfenen neuen Firmensitz. Kinzo haben erneut viele ihrer Prinzipien angewendet und weiterentwickelt. Auch hier bekommt das Büro wohnliche Qualitäten und stellt sich auf individuelle Bedürfnisse ebenso wie auf die Organisation in Teams ein. Nur wenn die Technik wieder zunehmend stationärer werde, würden sich auch Büros wieder grundsätzlich verändern. Die nahe Zukunft sehe aber noch mobiler und virtueller aus, sagt El-Ishmawi.