Von Simone Hübener
Kindertagesstätten und Kindergärten eröffnen derzeit allerorten. Es gibt immer mehr arbeitende Alleinerziehende; bei Paaren hat die klassische Rollenverteilung zwischen Vater und Mutter oft ausgedient – oder muss aus finanziellen Gründen ausgedient haben. Und in vielen Bundesländern verlangen die Gesetze neue Plätze: Die Eltern haben zumindest ab dem dritten Lebensjahr oftmals einen Rechtsanspruch auf Betreuung.
So weit, so gut. Doch gibt es auch einen Rechtsanspruch auf ein architektonisches Umfeld, das den Bedürfnissen der Kinder entspricht, sie fordert und fördert, ihnen aber auch Raum lässt, sich so zu entfalten, wie es ihnen gerade gut- tut? Existiert eine Regelung, die die Planer in die Pflicht nimmt, sich nicht selbst zu verwirklichen, sondern den Kleinsten ein ideales Umfeld zu bauen? Leider nein. Glücklicherweise gibt es Architekten, die auch ohne gesetzliche Vorschriften danach streben und den Dialog mit Bauherren, Betreuern und Eltern suchen, wie Nicole Pfoser aus Darmstadt. Die von ihr entworfene und von Frank Dierks während der Bauphase betreute Kita auf einem „LUO-Campus“ genannten Schulgelände kann man zweifelsohne als Paradebeispiel bezeichnen.
Der Neubau nimmt eine Krippe und einen Kindergarten für insgesamt 90 Kinder auf. Von außen wirkt er äußerst unspektakulär. Er erstreckt sich als langer, annähernd rechtwinkliger Baukörper auf dem schmalen Grundstück zwischen dem Schulhof des Campus und einem Naturschutzgebiet. Aus diesen Rahmenbedingungen entwickelte Nicole Pfoser eine nach Norden hin ausgerichtete Kita, deren Ost- Süd- und Westfassaden sie mit Holz bekleiden ließ. Über die großen Fenster der Südfassade werden die Gruppenwohnungen belichtet. Die Nordfassade öffnet sich über hohe Fensterbänder zum angrenzenden Schulhof, sodass die Innenräume von dort mit sehr angenehmem, weil gedämpftem Nordlicht versorgt werden.
Davor wurde ein Rankgerüst für Weinpflanzen angebracht, das den Verlauf der dahinterliegenden schrägen Fassadenstützen nachzeichnet, die das Haus in der Horizontalen aussteifen. Der Wein gedeiht gut; in nur einem Sommer sind erste Triebe bis zum Dach hinaufgewachsen. Denn die Wurzeln haben Kontakt zum Erdreich und das Regenwasser gelangt über die Holzstäbe zu den Pflanzen. Durch die Begrünung verändert sich das Erscheinungsbild der Fassade mit den Jahreszeiten – und macht diese für die Kinder erlebbar.
Viel Raum zum Spielen und Toben
Richtig spannend wird es, wenn man die Kita betritt. Denn die Architektin hat die Grundrisse aus Sicht der kleinen Gäste und der großen Mitarbeiter konzipiert, was an vielen Details und den großen Bewegungsflächen sichtbar wird. Diese sind in beiden Etagen den Gruppenräumen vorgelagert und nehmen rund drei Viertel der Gebäudelänge ein. Viele Kinder können hier endlich ihrem Bedürfnis nach Bewegung nachkommen. Es kann also durchaus auch einmal laut werden, wenn Bobbycar-Rennen oder Wettläufe abgehalten werden.
Platz für leisere, ruhigere Aktivitäten bieten die sogenannten Gruppenwohnungen, die sich mittels einer verglasten Schiebewand von der großen Halle abtrennen oder bei Bedarf auch vollständig öffnen lassen. Sie sind gerade so groß, wie es der Gesetzgeber verlangt. Denn wer toben und rennen will, hat in der Halle mehr als genug Platz. Rechts und links der Gruppenräume schließen sich jeweils ein Lager, ein Schlafraum und das Badezimmer mit Toiletten an. So haben die Mitarbeiter die Kleinen immer im Blick, niemand entschwindet über einen langen Flur in ein abgelegenes WC. Auf die Wickeltische können die Krippenkinder, so sie denn wollen, über eine kleine Treppe selbst klettern. Der Tausch der Windel wird zu einem kleinen, teils selbstbestimmten Erlebnis.
Auch im gemeinsam genutzten Bistro im Erdgeschoss und in den Treppenhäusern warten pfiffige Details, die den Erziehern ihre Arbeit erleichtern und die Kinder spielerisch lernen lassen. So ist auf die Setzstufen des einen Treppenlaufs das Alphabet gemalt, im anderen Treppenhaus klettern gemeinsam mit den Kindern die Zahlen in die Höhe.
Im Bistro musste der Boden wegen eines alten, dicht am Gebäude stehenden Baums um 30 Zentimeter angehoben werden. Diese Höhendifferenz nutzte die Architektin, um an der Kante die Küchentheke zu platzieren. Auf der Bedienseite hat sie mit 90 Zentimetern die richtige Höhe für Erwachsene, auf der anderen 60 Zentimeter hohen Seite können die Kinder sich das Essen selbst holen und schon vorher beim Zubereiten helfen.
Alle Kanten sind harmonisch gerundet
Da durch die Kinder genug Leben in der Bude ist, entschied sich Nicole Pfoser für eine Architektur, die Ruhe ausstrahlt. Sichtbar wird dies in den wenigen, farblich dezenten Materialien, die in dieser Kita verwendet worden sind: hauptsächlich Birke multiplex und Sichtbeton. Aus dem hellen Sperrholz fertigte ein Schreiner aus der Umgebung alle Möbel wie Einbauschränke, Garderoben und die Schiebewände. Einzig die Stühle sind von der Stange. Doch auch hier suchte die Architektin so lange, bis sie ein Modell in Birke multiplex gefunden hatte. Gleichzeitig war mit den selbst gefertigten Möbeln die Gefahr gebannt, sich Materialien ins Haus zu holen, die giftige Stoffe ausgasen.
Ein weiteres Detail mag dem Besucher gar nicht auffallen, im Unterbewusstsein nimmt er es aber wahr: Um in Kitas, Kindergärten und Schulen Verletzungen möglichst zu verhindern, regeln Vorschriften die minimalen Radien der Möbelkanten. Je nach Alter der Kinder und Nutzung des Raums sind sie mal größer und mal kleiner. Ein unruhiges Gesamtbild entsteht. Nicole Pfoser nutzte die Chance, alle Möbel vom Schreiner herstellen zu lassen, und arbeitete einheitlich mit einem Radius von zehn Millimetern, dem größten, der für dieses Gebäude eingehalten werden musste. Pfiffig und kostengünstig sind auch die Magnetwände, an denen die Kinder Selbstgemaltes und Selbstgebasteltes aufhängen können. Denn statt teure Tafeln zu kaufen, wurden große Flächen bis auf Armhöhe der Kinder mit weißer Magnetfarbe angestrichen.
Das zweite, oben bereits erwähnte Material, das den Innenraum bestimmt, der Sichtbeton, wies leider nicht die Qualität auf, die sich alle erhofft hatten. Deshalb wurde eine Künstlerin engagiert, die aus der Not eine Tugend und aus der Kita ein großes Wimmelbuch gemacht hat. So klettert über eines der Betonnester eine kleine Maus, eine andere sitzt auf einer der Steckdosen und schaut den Kindern entgegen. Ein Schiff tuckert über die Wand, eine Blume rankt auf dem Beton empor.
Nachhaltigkeit: oft proklamiert, hier realisiert
Neben den Gruppenwohnungen und der Aktionsfläche bietet ein kleines Atelier im Erdgeschoss die Möglichkeit, die oft grenzenlose Kreativität der Kinder zu fordern und zu fördern. Der direkte Zugang zum 1.200 Quadratmeter großen Garten mit seinen Kletter- und Spielgeräten bringt zusätzlich Abwechslung in den Tagesablauf und die nötige Portion Frischluft. Während in anderen Kindertagesstätten die Erzieherinnen bereits während des Spiels im Freien an die Unmengen Sand denken mögen, die danach mit ins Haus getragen werden, können die Mitarbeiter hier ganz beruhigt sein. Die Architektin ließ einen bodengleichen Wasserablauf einbauen, sodass der gröbste Dreck an den Schuhen mit einem Schlauch behutsam abgebraust werden kann.
Im Obergeschoss integrierte Nicole Pfoser in ihr Konzept einen großen Mehrzweckraum. Sprossenwände laden zum Turnen ein, es kann getanzt werden und die bereits installierten Bodenhülsen erlauben es, je nach Wunsch und Bedarf auch Klettergeräte zu montieren. Für ruhigere Stunden lassen sich die Sprossenwände hinter großen Schiebetüren verstecken, so dass sich niemand unbeobachtet emporhangelt.
Die Kita lässt sich also vielseitig nutzen und den Wünschen und Bedürfnissen der Erzieher und der Kinder anpassen. Wegen ihrer Flexibilität und ihrer natürlichen und naturbelassenen langlebigen Baustoffe ist hier ein wirklich nachhaltiges Gebäude entstanden.
Simone Hübener ist Fachjournalistin für Architektur und Bauen in Stuttgart.
Wirklich ein netter Entwurf mit vielen interessanten Details.
Gänzlich unverständlich ist jedoch, weshalb die Autorin das Bauwerk samt Architektin lobpreist, als wären hier alle Probleme der Menschheit abschließend gelöst worden.
Derartig übertrieben salbungsvolle Huldigungen stehen dem „offiziellen Mitteilungsblatt“ der Architektenkammern nicht wirklich gut zu Gesicht, zumal in einer Ausgabe, die sich einmal mehr ausgesprochen qualitätvoll mit dunkelster Deutscher Geschichte auseinandersetzt.
Im Übrigen erscheint es mir in keinster Weise angebracht, angesichts der wohl bewußt nicht erwähnten Gesamtkosten von beinahe 4.000.000,00 Euro (für insges. 90 Kita-Plätze!) von „Nachhaltigkeit“ zu sprechen. Vielmehr dürfte bei Bauherren und Steuerzahlern angesichts dieser Summe ein gewaltiger „Nachhall“ zurückbleiben.
Anmerkung der Redaktion:
Das Budget von 3,9 Millionen Euro schließt Ausstattung, Betriebsmaterialien, Freianlagen und Baunebenkosten ein.