Text: Nils Hille
Es wirkt schon ein wenig inszeniert – aber die Symbolik der Offenheit und Transparenz könnte nicht treffender sein. Da steht der Oberbürgermeister von Gelsenkirchen, Frank Baranowski, an einem Montagmittag einfach mitten im riesigen Atrium seines neuen Rathauses und unterhält sich munter mit zwei Herren. Durch Zufall haben sich die drei genau hier getroffen und verweilen offensichtlich gerne. Immer wieder lassen sie dabei den Blick durch den Bau schweifen. Und auch ohne groß lauschen zu müssen, wird schnell klar: Die beiden Männer sind neugierig, was alles Neues hinter der Backsteinfassade des Hans-Sachs-Hauses steckt – des einzig erhaltenen Teils des Gebäudes, das nach Plänen von Alfred Fischer in den Jahren 1924 bis 1927 hier gebaut wurde. Und der Oberbürgermeister lässt sich gerne aufhalten, so begeistert scheint er von dem Bau des Büros Gerkan Marg und Partner, kurz gmp.
Dann führt er die Herren sogar selbst stolz zu einer riesigen mobilen Wand. Sie kann aus dem Bürgerforum, dem an das Atrium anschließenden großen Bereich im Erdgeschoss, einen eigenen Saal machen. Momentan sind ihre Module aber eingeklappt und am Rand so geschickt versteckt hintereinandergereiht, dass sie kaum auffallen. Besucher, die gerade durch die Glasschiebetüren am Haupteingang das Hans-Sachs-Haus betreten, können so über die gesamte Gebäudebreite durch die gegenüberliegende gläserne West-Fassade blicken. Ein Zeichen für Transparenz – und damit eines von vielen hier, wie Christian Hoffmann, der zuständige Partner bei gmp, erklärt: „Stadtpolitik und Verwaltung verstecken sich nicht mehr hinter dicken Mauern, sondern suchen den Kontakt zu den Bürgern.“ Mit zahlreichen konkreten Maßnahmen, um diesen Ansatz auch umzusetzen, konnte gmp beim Wettbewerb 2008 punkten. Dabei war eigentlich drei Jahre vorher der Komplettabriss des seit 2002 nicht mehr genutzten alten Hans-Sachs-Hauses schon beschlossen worden. Doch die Gelsenkirchener hängen an ihrem besten Stück der 20er-Jahre-Moderne: Ein Bürgerbegehren brachte den Sinneswandel, die Ausschreibung und schließlich dem Büro den Auftrag.
Darf ich (zum Neubau) bitten?
Nach zweijähriger Planungszeit bedurfte es weiterer drei Jahre, um die historische schiefe Fassade mit einem neuen Körper, oder, wie Hoffmann sagt, „mit einer neuen guten Stube“ auszustatten. Denn früher gingen die Gelsenkirchener nicht nur für Amtsgeschäfte hierhin, sondern auch zur Tanzstunde und zum Feiern. Heute soll das Hans-Sachs-Haus auch wieder zum Haus für die Bürger werden – mit Serviceeinrichtungen, Gastronomie und Veranstaltungen. Doch vom Glanz vergangener Jahre war am Gebäude nicht viel übrig geblieben. Dagegen fanden die Architekten Unerfreuliches vor, wie eine Fassadenfundament, das aufwändig verstärkt werden musste. Und sie kämpften in den rund vier Jahren Bauzeit mit Insolvenzen und Neuausschreibungen. Das zerrte an den Nerven aller Beteiligten, wie Oliver Böckler vom Referat Hochbau und Liegenschaften der Stadt Gelsenkirchen zugibt: „Eine schnellere Fertigstellung des Gebäudes hätten wir uns als Bauherr schon gewünscht.“
Ende August konnten Baubeteiligte und Bürger endlich die Neueröffnung des Hans-Sachs-Hauses feiern. Nach und nach ziehen jetzt die Mitarbeiter der Stadtverwaltung vom neun Kilometer entfernten Rathaus im Stadtteil Buer wieder ins Zentrum. Wie ein Magnet soll der Bau nun auch auf die Bürger wirken. Gar nicht so einfach, wie Architekt Hoffmann erklärt: „Die Fassade wurde sorgfältig restauriert und ergänzt. Aber sie ist in den historischen Bereichen nicht transparent und zieht die Besucher nicht automatisch in das Gebäudeinnere. Es müssen schon die Angebote des Hauses dafür sorgen, dass man es betritt und seine inneren Werte entdeckt.“ Das funktioniert gleich im Erdgeschoss. Hier sind neben einem gut frequentierten Restaurant, dessen Tische teilweise am Rande des Atriums stehen und für Belebung des riesigen Raums sorgen, auch die Touristeninformation und das Bürgercenter eingezogen. Gerade in der neuen zentralen städtischen Anlaufstelle für die Gelsenkirchener zeigt sich sehr gut, wie gmp es geschafft hat, trotz dicker Fassadenwände helle, benutzer- und besucherfreundliche Räume zu schaffen.
Doch der Grundriss schränkte die Architekten an anderer Stelle auch ein. In den fünf Obergeschossen hatten sie nicht die Möglichkeit, alle Büros mit Fenstern nach außen zu planen. Einige Mitarbeiter müssen damit leben, zukünftig nicht mehr auf die Straße, sondern nur noch ins Atrium schauen zu können. Manch einen wird es stören, wenn er auf dem Präsentierteller für diejenigen sitzt, die über die zum Atrium hin offenen Flurbereiche zu den Besprechungsräumen gehen oder sich auf den Fluren drumherum die Dauerausstellung zur Stadtgeschichte anschauen. Hier könnte es etwas zu viel der gewünschten Bürgernähe sein. Doch manch einen wird solch ein Büro auch freuen, da der Blick nach innen teilweise schöner ist als der nach außen – denn wer vom Hauptbahnhof die rund zehn Minuten bis zum Hans-Sachs-Haus durch die Innenstadt geht, wird nicht viel architektonisch Sehenswertes zu Gesicht bekommen. Und auch das unmittelbare Umfeld des neuen Rathauses lässt zu wünschen übrig. Daher ist die größtenteils alte und teilweise detailgetreu nachgebaute Backsteinfassade besonders wichtig für die Ruhrgebietsstadt. Und sähe das Hans-Sachs-Haus außen aus wie innen, wäre es ein deutlicher Fremdkörper in der Stadt.
Kein Balkon für deutsche Meister
Das Bauen mit Bestandselementen brachte einen weiteren Kompromiss im Neubau-Kern mit sich. In der obersten Etage gibt es jetzt aufgrund des erhöhten Platzbedarfs – anders als früher – ebenfalls Büros. Natürliches Licht kommt hier teilweise nur durch Oberlichter, schießschartenartige Mini-Fenster nach außen und Scheiben zu den Fluren, an denen wiederum Lichthöfe liegen – trotz der gegebenen Helligkeit ein eher gewöhnungsbedürftiger Arbeitsplatz. Auch der Oberbürgermeister hat sein Büro auf dieser Etage. Er wird sich aber sicher nicht über mangelnde Ausblicke beschweren: Sein Büro liegt nach Westen, mit Glasfassade und großem Balkon zum ruhigen Alfred-Fischer-Platz. „Wenn Schalke mal Fußballmeister wird, wäre der Balkon nun eigentlich bestens geeignet, damit sich Bürgermeister und Mannschaft den Gelsenkirchenern präsentieren. Aber für die vielen Fans ist der Platz einfach viel zu klein“, sagt Hoffmann.
Möchte der Oberbürgermeister seinen eher alltäglichen Aufgaben nachkommen und zur Sitzung in den Ratssaal gelangen, kann er durch eines der Treppenhäuser gehen, die mit einem Farbleitsystem ausgestattet sind. In Anlehnung an Fischers damals neuartiges Konzept hat jede Etage wieder eine Farbe bekommen, wobei sich das Rot des ersten Stocks im fünften Stock wiederholt. Es ist allerdings fraglich, ob dies zwingend unter anderem mit großen farbigen Decken- und Wandflächen im Treppenhaus gelöst werden musste, die man auch von den offenen Flurbereichen und vom Atrium aus sieht. Eine zurückhaltendere Lösung hätte dem neuen, edlen Aushängeschild sicher gutgetan.
In deutlich dezenterer Gestalt kommt der Ratssaal in der zweiten und dritten Etage daher. „Viel Glas zum Gebäudeinneren symbolisiert auch hier Transparenz, denn die Mitarbeiter aus der Verwaltung sollen feststellen, dass sie Teil der Stadtpolitik sind“, sagt Hoffmann. Zur neuen Offenheit gehören auch Galeriebereiche mit über 100 Plätzen. Von hier aus haben die Besucher bei öffentlichen Sitzungen den besten Blick auf die, wie oft in Landtagen, nach Parteien halbrund angeordneten Sitzreihen und -blöcke sowie durch die rückseitige Glasfassade zum Platz hinter dem Haus. Modern ist aber nicht nur die Kombination aus Holz und Glas, sondern auch die Technik. Über einen zentralen Monitor lassen sich per Berührung Licht, Ton und Jalousien steuern – und die Zugänge zu den Besucherbereichen schließen, wenn Transparenz mal doch nicht gewünscht ist.
Zwischen der gläsernen Rückseite des Saals und der ebenfalls gläsernen Platzfassade gibt es noch einen offenen, großzügigen Flurbereich. Dort können sich die Ratsfraktionen nicht nur besprechen oder ihre Pausen verbringen. Von hier lässt sich auch der gelungene Übergang von alter zu neuer Backsteinfassade erkennen. Einzelne Teile mussten nachgebaut werden. Dies geschah mit großer Liebe zum Detail, sodass der Unterschied kaum zu erkennen ist. Das ruft auch Kritiker auf den Plan, die sich über den neuen Körper im alten Kleid empören. Architekt Hoffmann sieht das gelassen: „Wir sind mit großem Respekt an die Arbeit von Alfred Fischer herangegangen und haben sie so weit wie möglich erhalten. Doch wenn so ein Baudenkmal wie das Hans-Sachs-Haus bestehen bleiben soll, muss es auch in seinen Funktionen nutzbar sein. Es sollte ja schließlich kein Architekturmuseum werden.“