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Bürowerkstattwohn-Etagen

Hybridhäuser taugen fürs Wohnen ebenso wie für verschiedenstes Gewerbe. Die Hamburger Bau­ausstellung experimentiert damit und hofft auf eine lange Lebensdauer der flexiblen Bauten

29.02.20125 Min. Kommentar schreiben
Heute wohnen, morgen schaffen: Im Hybridhaus geht beides. Zwei­geschossige Atrien dienen als ­Loggien und Lichtspender – ob für Büromenschen oder Feierabend-­Genießer. Nachteil beim Wohnen: Wer unten lebt, kann von der oberen Brücke aus beobachtet werden.

Von Claas Gefroi

Nein, kleines Karo kann man der Internationalen Bauausstellung, die nächstes Jahr ihrem Höhepunkt auf der Hamburger Elbinsel entgegenstrebt, wahrlich nicht vorwerfen. Gleich zu drei großen Zukunftsthemen wollen die Organisatoren Konzepte und Projekte liefern: zur multikulturellen Stadt („Kosmopolis“), zur zersiedelten Stadt („Metrozonen“) und zur nachhaltigen Stadt („Stadt im Klimawandel“). Noch steckt vieles in den Kinderschuhen, ist Projekt oder noch im Bau. Doch gerade beim Thema der nachhaltigen, „grünen“ Architektur und Stadtplanung ist man recht weit vorangekommen auf dem Weg zu einem „klimaneutralen Stadtteil“. Erfreulicherweise wird der Begriff der Nachhaltigkeit dabei nicht simpel mit Energiesparen gleichgesetzt. Nachhaltiges Bauen heißt hier auch, die Ressourcen zu schonen, erneuerbare Energie einzusetzen, und langlebige, zukunftsfähige Bauformen zu entwickeln. So entstehen derzeit in Wilhelmsburg-Mitte diverse Modellhäuser zu vier Themenfeldern, die zeigen sollen, wie wir in Zukunft bauen und leben können: Smart Material Houses, Smart Price Houses, Water Houses und Hybrid Houses. (Über die Zukunft unserer Sprache sagt das hoffentlich nichts.)

Hybrid in Holland: Flexibilität ist keine Stilfrage. Der Amsterdamer Bauherr des „Solids Ijburg“ wünschte von Baumschlager Eberle Klassisch-Zeitloses und bekam einen Bau, dessen Etagen als Büros, Hotel, Ateliers, Praxen, Wohnungen und mehr nutzbar sind.

Die Idee der Hybridhäuser bedeutet eine Abkehr vom Prinzip einer Formbestimmung durch die Funktion. Stattdessen verfolgt die IBA hier den alten Gedanken, Gebäude zu schaffen, die so flexibel oder nutzungsneutral sind, dass sie sich unterschiedlichen Anforderungen und Nutzungen anpassen und möglichst lange in Gebrauch bleiben. Ein in die Zeit passender Gedanke: In den großen Städten werden mit teilweise immensem Aufwand alte Fabrikhallen, Verwaltungsgebäude oder sogar Schulen umfunktioniert. Nur im Neubaubereich bleibt alles beim Alten: Gebäude für das Wohnen, Arbeiten, Lernen … Ausnahmen bestätigen die Regel: Einige Investoren und Architekten entdecken die Vorteile nicht determinierter Grundrisse, beispielsweise der Gründerzeit, neu und übersetzen das Prinzip in die Gegenwart. So haben Baumschlager Eberle kürzlich auf Haven­eiland in Amsterdam als Teil eines geplanten Blocks ein ­großes Gebäude mit steinernen, repräsentativen Fassaden geplant, dessen großzügige, robuste und simple Grundrissplanung und Bauweise so gut wie alles möglich macht: Büros, Hotel, Ateliers, Praxen, Wohnungen.

Umnutzen: Die Grundrisse der vier 115 Quadratmeter großen „Apartments“ jeder Etage sind neutral gehalten. Natürlich lassen sich die Einheiten zusammenlegen, aber an den Nebentreppenhäusern auch weiter unterteilen.

In Hamburg-Wilhemsburg wird diese Idee in einer etwas bescheideneren Größenordnung und ohne historisierende Zutaten erprobt. Das erste von drei „Hybrid Houses“ wurde jetzt im Wilhelmsburger Zentrum fertiggestellt. Der Erstmieter ist die Projektgesellschaft für die Internationale Gartenschau (igs), die parallel zur IBA auf der Elbinsel stattfindet. Nägeli Architekten aus Berlin entwarfen in einem Team mit DGNB-Experten, Bauphysikern und Akustikern ein Gebäude, das Nutzungsneutralität mit Nachhaltigkeit und geringem Energieverbrauch verbinden soll. Das Erdgeschoss wurde als begrünter Sockel ausgebildet, in dem Landschaft und Gebäude ineinanderfließen sollen. Diese hohe Eingangsebene bietet Raum für offene Stellplätze (eine Tiefgarage verbot sich angesichts des feuchten Baugrunds) und für eine Ausstellung der Gartenschau. Später sollen hier einmal Gewerberäume entstehen. Es fällt die große Gebäudetiefe auf – 27 Meter im Sockel, 23 in den Obergeschossen. Sie ist der Grundrisskonzeption geschuldet: Das Haupttreppenhaus sowie alle Bäder und Küchen liegen in der Mittelzone, die Aufenthaltsräume sind darum herum organisiert. In den Obergeschossen wird deutlich, dass dies nicht zu dunklen Zonen führen muss: An den Längsseiten sind jeweils zweigeschossige Atrien angeordnet, die als Loggien und Lichtspender fungieren. Um sie herum gruppieren sich vier u-förmige „Apartments“ pro Etage, die wahlweise als Wohnungen oder Büros genutzt werden können und jeweils 115 Quadratmeter groß sind.

Zunächst werden sie größtenteils von der Gartenschau-GmbH genutzt; eine wurde jedoch als Musterwohnung ­eingerichtet und wird demnächst bezogen. Um diese Flexibilität zu ermöglichen, wurde das innere Tragwerk auf die Treppenhauswände, zwei in den Mittelachsen stehende Wandscheiben sowie vier Stützen pro Apartment reduziert. Die innere Sanitär- und Küchenzone ist bei einer Büronutzung auf ein schmales Band von Toiletten reduziert; bei einer Umwandlung zu Wohnungen wächst die Zone in den Raum und schafft Platz für je zwei Duschbäder sowie eine Küchenzeile pro Einheit. Der Kosten wegen wurden die Ver- und Entsorgungsleitungen zu zwei Installationsschächten zusammengefasst. Die Wohn- oder Büroflächen sind frei durch Trockenbauwände einteilbar und lassen einige Variationen zu. Durch das zweite, kleine Treppenhaus auf der Ostseite sind weitere Grundrissoptionen denkbar, etwa kleine Einzimmerwohnungen oder Kombinationen aus Wohnen und Büro. Die eingeschobenen zweigeschossigen Atrien sollen nicht nur Licht ins tiefe Innere bringen, sondern auch als Schallabsorber fungieren. Die Ausführung der oberen Balkone als Stege reduziert zwar die Verschattung, besitzt aber einen Nachteil: Von dort lässt sich tief ins Innere der unteren Apartments blicken, was der Privatsphäre nicht eben förderlich ist.

Die IBA legte, getreu den drei Leitthemen, bei diesem Pionierbau nicht nur auf Flexibilität, sondern auch auf Nachhaltigkeit und Ökologie großen Wert. Der Einsatz von Stahlbeton wurde zugunsten nachwachsender Materialien wie Holz reduziert; elastische Verbindungsstoffe wurden durch mechanische Verbindungskonstruktionen ersetzt. Die Errichtung als kompaktes Passivhaus spart Heizenergie, die zudem aus einem Mix aus Nahwärme aus dem Energieverbund Wilhelmsburg sowie aus Erdwärme besteht. Im Ergebnis erhielt das Gebäude das DGNB-Zertifikat in Silber.

Doppelte Fachplanung, doppelte Vorschriften

Man kann darüber streiten, ob ein Gebäude auf all diesen Gebieten gleichermaßen brillieren muss, denn der Aufwand und die Kosten hierfür verteuern den Bau nicht unerheblich. Einkalkuliert werden muss auch eine doppelte Fachplanung, denn alle Flächen müssen sowohl der Arbeitsstättenverordnung als auch den Wohnungsbauvorschriften entsprechen. Bedauerlich ist, dass aufgrund des Bebauungsplans das Gebäude nicht höher ausfallen konnte: Die höheren Kosten etwa für Haustechnik, Brandschutz und Schallschutz würden sich bei weiteren Nutzflächen relativieren. Davon abgesehen ist dieses Hybridhaus ein interessantes Pilotprojekt für eine zukünftige Architektur, die durch Nutzungsneutralität und Flexibilität eine Dauerhaftigkeit erlangt, die heutige Bauwerke zumeist schmerzlich vermissen lassen.

Claas Gefroi ist Presse- und Öffentlichkeitsreferent der ­Architektenkammer Hamburg und freier Autor.

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