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Schutzräume für eine Welt im Umbruch

In China sind seit den Achtzigerjahren rund 60.000 Kirchen entstanden. Architektonisch fanden sie aber zu keiner prägnanten, eigenständigen Sprache. Der junge Architekt Dirk U. Moench hat nun in der südchinesischen Provinz zwei viel beachtete Gemeindezentren realisiert, die vorbildlich Tradition und Moderne verbinden und von einem architektonischen Umdenken in China zeugen

Von: Christoph Gunßer
Christoph Gunßer ist für das DAB vor allem in Süddeutschland...

16.10.20196 Min. Kommentar schreiben

Kaum jemand kennt den chinesischen Kirchenbau besser als Dirk U. Moench (siehe auch hier). Gerade ist der knapp 40jährige Architekt, der mit seiner aus China stammenden Frau das Büro inuce führt, kreuz und quer durch Südchina gereist, um für seine Dissertation Sakralbauten zu dokumentieren.

Seit der Deutsch-Brasilianer 2011 nach Fuzhou zog und das Architekturbüro eröffnete, hat er aber auch schon zwei große neue Gemeindezentren realisiert und weitere entworfen. Besonders prominent ist das Huaxiang Christian Center im Herzen der 7-Millionen-Metropole Fuzhou, das 2015 zum hundertjährigen Bestehen der dortigen methodistischen Gemeinde eingeweiht wurde. Von der Frühzeit der Mission, die durchaus auch problematische Züge trug, zeugt der erhaltene Kirchenbau von 1938, der mit seiner in einem behäbigen Turm gipfelnden Granitsteinfassade genauso gut in England oder Amerika stehen könnte.

Diese Landmarke, die während der Kulturrevolution unter Mao als Fabrik dienen musste, überragte bis vor wenigen Jahrzehnten noch ein Labyrinth zweistöckiger Hofhäuser. Chinas Liberalisierung ließ dann auch in Fuzhou in kürzester Zeit eine „Downtown“ mit etlichen Hochhäusern wachsen, die den Kirchenbau an der Flower Lane zum Zwergen degradierte.

Selbstbewusstes Zentrum im Hinterhof

Der auf 20.000 Mitglieder angewachsenen, durchaus einflussreichen Gemeinde schwebte bei der Erweiterung eher ein Steinbau vor, doch Moench konnte sie mit zahlreichen Modellen und Mustern, die bis zum Maßstab 1:1 gingen, von einem zeitgemäßeren Weg  überzeugen. Im engen Hof neben der alten Kirche entstand ein feingliedriger, vielfach gefalteter Baukörper, den der Architekt einen „urbanen Vermittler“ nennt. Tatsächlich verwandelt das Gebäude die zahlreichen Bezüge auf die Umgebung in etwas skulptural Neues, das gar nicht recht in die Kategorie Gebäude passen mag. Eher ließe sich von einer Art Landschaft sprechen, zu der das komplexe Raumprogramm arrangiert wurde.

Jedenfalls sieht man der um die Ecke gezogenen Baumasse nicht an, dass darin neben Unterrichts- und Verwaltungsräumen auch eine 1.500 Plätze fassende, symmetrische „Service Hall“ (Raum für Gottesdienste) untergebracht ist.

Dass dies ein Ort der Begegnung ist, teilt indes bereits die Dachlandschaft mit: Sie besteht aus zwei Amphitheatern, die ursprünglich öffentlich zugänglich sein sollten, inzwischen aber nur von der Gemeinde für ihre Treffen genutzt werden. Sogar Gottesdienste werden hier, von den Hochhäusern einsehbar, im Freien abgehalten. Während christliche Kirchen in anderen Provinzen durchaus noch mit Repressionen rechnen müssen, sei das Klima in Fuzhou friedlich und entspannt, meint Moench. Er hält die Berichterstattung über China im Westen auch für etwas einseitig.

Ihren Neubau schätzt und liebt die Gemeinde inzwischen. Besonders die haptisch mit rundgeschliffenen, rosa bis hellbraun schimmernden Granit-Kieseln verputzte Fassade mit ihren weichen Kanten wird immer noch gern gestreichelt. Und die Passagen zum Hof seien stets voller Menschen, erzählt der Architekt. Besteht die Stadt aus Bauten, die mit ihren glitzernden Curtain Walls alle größer und lauter als die Nachbarn sein wollten, so bringt das Gemeindezentrum eine Bescheidenheit und Schlichtheit ins Zentrum, die den Menschen guttut.

Rundling auf dem Lande

Ebenfalls in ungewöhnlicher Rundheit, doch an ganz anderem Ort entstand das Projekt in Luoyuan, einer Landstadt nördlich von Fuzhou, die binnen weniger Jahre auf 200.000 Einwohner angewachsen ist. Hier beauftragte die durch Zuzug verstärkte anglikanische Gemeinde Dirk Moench bereits 2011 mit dem Bau einer Familienkirche.

Die ursprünglich vom Tee-Anbau geprägte Landschaft beschreibt der Architekt heute als „großen Steinbruch, durchwühlt und verkarstet“. Die Urbanisierung überformt die altindustriellen Wunden mit ihren ortsfremden seriellen Typologien.

In diesem Durcheinander schlug Moench einen fast embryohaften „Schutzraum“ vor: Aus dem Versammlungsraum für immerhin 1.200 Menschen entwickelt sich wie ein Keimling ein Rundbau um einen Hof mit Räumen, wo die vielen Kinder der Gemeinde Platz finden, die noch nicht an den Gottesdiensten teilnehmen dürfen.

Ein ozeanisches Gefühl

Der ovale Andachtsraum selbst ist ringsum doppelt verglast: Tiefblaues Licht gibt ihm eine mystische Stimmung. Er habe den Raum instinktiv gestaltet, sagt Moench. Eine Stimmung wie tief im Ozean schwebte ihm vor. Ein Schutzraum für die Entwurzelten, der an die traditionellen Wohnburgen des indigenen Hakka-Volkes erinnern soll. Laubengänge am Hof und ein Tee-Pavillon sind weitere traditionelle Elemente, die in neuer Form wieder Verwendung finden. Wie ein großer Lampion strahlt die Kirche nachts in die Stadtlandschaft.

Da die Mitglieder der Gemeinde ihr neues Domizil unter der Bauleitung des Pastors weitgehend selbst errichten, ist es bis heute nicht ganz fertiggestellt. „Wenn sie wieder Geld haben, bauen sie weiter“, sagt Moench. Doch immerhin ist das so auffällig andersartige Gebäude seit einem Jahr in Benutzung, und fast täglich kommen Christen aus anderen Landesteilen, um es zu besichtigen. Es sei seit jeher üblich, dass die Pläne von Pionierbauten wie diesem einfach weitergereicht und kopiert würden, berichtet der Architekt. Bei seiner Poetik, die ihm 2014 bereits einen Leaf Award eintrug, wäre das dem Rundling durchaus zu wünschen.

Doch kann man, gerade angesichts solcher Gepflogenheiten, vom Kirchenbau in China leben, oder muss Moench sie mit kommerziellen Projekten querfinanzieren? „Bei Kirchen streben wir keine Profite an. Aber es kommt am Ende doch eine schwarze Null heraus“, resümiert Moench. In den letzten Jahren hat er in Fuzhou mehrere große Büro- und Wohngebäude geplant und auch an der Universität unterrichtet. Seit einem Jahr hat das Paar ein Kind und verbringt daher mehr Zeit am Stammsitz des Büros inuce in der Schweiz.

Freiräume gegen den Leistungsdruck

Wie sieht er nach acht Jahren die Rolle ausländischer Architekten in China? Immerhin haben zahlreiche renommierte deutsche Büros im Lande die kulturellen Unterschiede falsch eingeschätzt und Planungen realisiert, die nicht angenommen wurden, etwa die „deutsche Stadt“ Anting von AS+P.

„China war ein Versuchslabor“, erwidert Moench, „zukunftshungrig. Die Leute wollten das Neue.“ Darum sei es verständlich, dass eine Gegenbewegung einsetze und Präsident Xi Jinping etwa davon spreche, dass man keine so „komische Architektur“ mehr errichten solle.

Von einer „Sinisierung“ der Formensprache hält Moench indes nicht viel. Es werde ohnehin sehr viel dekoriert in China. Und dass seine Kirchen wie buddhistische Tempel aussehen sollen, das wollten die Menschen nicht. „Gerade die jungen Menschen suchen in den Kirchen einfach ein Gemeinschaftsgefühl und Räume, die frei sind vom Leistungsdruck.“ Also dürfen, ja sollen sie auch anders aussehen.

Die Ausgrenzung der Kirchen ist für Moench Geschichte: „Die Zeit des Leidens ist vorbei. Heute gehen ganz normale Leute in die Kirchen.“ Auf rund 100 Millionen wird die Zahl der Christen in China geschätzt, Tendenz steigend.

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