Interview: Roland Stimpel
Alle reden von Nachhaltigkeit. Was macht den Begriff so faszinierend?
Er verspricht eine Antwort auf die Frage, wie man der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen entgegenwirken kann. Verbunden wird er aber auch mit Fragen des gerechten Ausgleichs zwischen armen und reichen Ländern.
Wie würden Sie ihn definieren?
Man sollte ihn auf seinen Kern zurückführen: Nachhaltige Entwicklung soll dauerhaft umweltgerecht sein.
Wo bleibt die soziale, wirtschaftliche und baukultu-relle Nachhaltigkeit; wo bleiben die Armen der Welt?
Ich möchte den Nachhaltigkeitsbegriff lieber relativ eng halten. Man kann sonst alles Mögliche damit begründen. Konrad Ott, einer der führenden Nachhaltigkeits-Philosophen in Deutschland und einer meiner Lehrer, hat einmal etwas spöttisch geschrieben: „Auf der Ebene der lokalen Agenden werden die Betreuungszeiten im Kinderhort und der Warmbadetag für Senioren im örtlichen Hallenbad zu Zielen nachhaltiger Entwicklung.“ Da droht der Begriff fast buchstäblich völlig zu verwässern. Soziale Gerechtigkeit ist in meinen Augen nicht das Ziel nachhaltigen Handelns, sondern es ist umgekehrt: Nachhaltiges Handeln ist Teil der Gerechtigkeit gegenüber jetzt und zukünftig lebenden Generationen.
Erscheint Ihnen die Nachhaltigkeits-Diskussion in der Architektur auch so verwässert?
Teilweise ja, wenn als nachhaltiges Gebäude nicht nur ein dauerhaft umweltgerechtes definiert wird, sondern auch eines mit guter Gestaltung und Lage, zufriedenen Nutzern, niedrigen Betriebskosten und soliden Mieteinnahmen. Natürlich trägt das alles dazu bei, dass ein Gebäude länger hält und seltener umgebaut werden muss, was ja die Umwelt belastet. Aber es packt um den Kern der Nachhaltigkeit so viel herum, dass dieser Kern nur noch ein Thema von vielen zu sein scheint.
Aber was ist nachhaltige Architektur für Sie dann – nur noch Dämmung und Wärmepumpen?
Übertriebene Verengung ist genauso falsch wie Verwässerung. Heute dreht sich in der Tat der Diskurs über Nachhaltigkeit in der Architektur um Ressourceneffizienz oder, noch enger, um energiesparendes Bauen. Aber wenn sie allein als technische Aufrüstung und Ausrüstung von Gebäuden verstanden wird, dann droht alles andere aus dem Blickfeld zu geraten, was zu ihr beiträgt. Hier sollte uns eine Erfahrung der frühen Moderne abschrecken.
Wie heute gab es damals einen hohen moralischen Anspruch und die Überzeugung, man könne ein großes gesellschaftliches Problem mittels Architektur lösen, die sich naturwissenschaftlicher Methoden und technischer Mittel bedient. Doch zugleich wurden die moralischen und menschlichen Grundlagen wenig reflektiert; der Mensch wurde auf ein reines Modell reduziert. Damals war es das Modell des disziplinierten und effizienten Bewohners; man denke nur an Le Corbusiers Satz „Kultur ist ein Geisteszustand der Rechtwinkligkeit“. Heute ist es das Modell des smarten Computernutzers, der als „user“ einer „intelligent architecture“ sein Haus „steuert“ und die „performance“ in Energiedingen optimiert. Die Kombination des hohen moralischen Anspruchs mit geringer Reflexion der anthropologischen und ethischen Grundlagen brachte Ergebnisse, die den Bedürfnissen künftiger Generationen nicht gerecht wurden – oft schon der damals lebenden Generation nicht. Das droht erneut, wenn der Ressourceneffizienz und der vermeintlich intelligenten technischen Steuerung eines Hauses alles untergeordnet wird.
Können Sie Ihren Nachhaltigkeitsbegriff der dauerhaften Umweltgerechtigkeit näher erklären?
Dazu gehören neben der technischen Effizienz von Häusern und ihren Systemen zunächst ein Faktor, der Konsistenz oder auch ökologische Resilienz genannt wird: Systeme, die Störungen gut verkraften und sich ohne großen Aufwand an Wartung, Reparatur und Erneuerung im Gleichgewicht halten. Bei hochtechnisierten Häusern droht jedoch viel Aufwand, wenn häufig einzelne Komponenten oder gar komplette Steuerungen ausgewechselt werden müssen. Nachhaltiger als High-Tech können bewährte Low-Tech-Lösungen sein. Ein Klapp-Fensterladen aus Holz ist womöglich nachhaltiger als ein sensorgesteuertes vollautomatisches Verschattungssystem. Manchmal ist High-Tech aber natürlich unentbehrlich.
Also ergänzen wir Effizienz um Konsistenz, und alles wird gut. Brauchen wir dann auf nichts zu verzichten und können so nachhaltig wie lustig leben?
Es gibt noch eine dritte, entscheidende Komponente: die Suffizienz. Was sie ist, wird am besten im Vergleich mit der Effizienz deutlich. Bei der geht es um den intelligenten Gebrauch der Mittel, beispielsweise der eingesetzten Energie. Der Suffizienz, also der Frage nach dem Ausreichenden, geht es dagegen um die Ziele des Einsatzes der Mittel. Ein schweres und PS-starkes Auto kann zum Beispiel einen effizienteren Motor erhalten. Aber brauchen wir überhaupt ein tonnenschweres Auto, um von A nach B zu kommen? Und müssen wir dort so oft und so schnell hinfahren? Das Gleiche fragt man sich beim Wohnen: Trägt eine effizient beheizte Wohnung zur Nachhaltigkeit bei, wenn dort zwei Menschen auf 180 Quadratmetern leben? Die EnEV zum Beispiel stellt solche Fragen gar nicht. Hier spielt die pro Person bewohnte Fläche keine Rolle. Und auch das Benutzerverhalten nicht. Wenn jemand in einer Großwohnung im Winter das Fenster auf Kipp stellt, drinnen im T-Shirt herumläuft und die Heizung auf vollen Touren laufen lässt, dann gilt diese Wohnung trotzdem im Sinn der EnEV als korrekt. Ich habe mal an einem 400-Quadratmeter-Haus für ein einziges Paar gebaut, das allen formalen Kriterien entsprach. Da grenzte an das klimatisierte Schlafzimmer direkt ein 30-Quadratmeter-Bad mit drei Metern Raumhöhe an. 90 Kubikmeter Luftvolumen waren zu beheizen, und der Raum direkt daneben wurde im Sommer gekühlt.
Wer will schon mit zwei übereinander gezogenen Strickpullis im stickigen Kämmerchen hocken, statt im T-Shirt durchs Loft zu promenieren?
In der gegenwärtigen Architekturdiskussion wird über Suffizienz fast nur in dieser negativen Form gesprochen. Es herrscht die Meinung vor, dass Nachhaltigkeit nichts mit Verzicht, einer Ästhetik des Einfachen oder Sparsamen zu tun habe. Aber ich halte es im Sinn der Nachhaltigkeit für geboten, unser Konsumverhalten zu hinterfragen. Es reicht nicht, mit effizienterem Mitteleinsatz in der Wohnung Fläche oder Winterwärme zu konsumieren. Es muss auch der Umfang solchen Konsums diskutiert werden. Die Suffizienz ist mindestens so wichtig, wie wir heute die Effizienz nehmen.
Heißt das: Verzicht versüßen?
Ich würde es nicht als Verzicht auf Raum, Bequemlichkeit und Luxus sehen, sondern als bewusste Lebensführung, als bewusste Entscheidung für oder gegen bestimmte Dinge. Dann kann ich es auch als Entlastung, Weiterentwicklung und sogar Bereicherung sehen. Ich kann mich womöglich mit einem intimen Raum besser identifizieren und mich aufgehoben fühlen. Ich glaube, dass die Großzügigkeit für viele Menschen nicht die ideale Form ist und dass sie mit weniger Raum besser zurecht kommen würden.
Ist das nicht eine Bedrohung für Architekten?
Es ist doch eine Mammutaufgabe, Wohnraum auf intelligente Weise so zu gestalten, dass er umweltgerecht genutzt wird. Da hätten wir für Jahrzehnte Beschäftigung.
Wäre das nicht auch ein Zurück zur extremen Raumfunktionalisierung der frühen Moderne?
Es geht nicht mehr mit diesem Bild des Menschen, der sich daheim so streng normiert bewegt wie in der Fabrik am Fließband. Wir müssen mit einem Bild planen, in dem der Mensch nicht nur rational, sondern viel stärker emotional und individualisiert ist. Aber ich gebe zu: Genauer weiß ich es auch nicht. Ich fände es jedoch gut, wenn sich Architekten mehr Gedanken darüber machen würden, wie man auf weniger Fläche gut leben kann.
Und dann macht Sparen allen Spaß?
Allen nie. Ich fürchte, auch dann bliebe immer eine Spannung zwischen manchen Wünschen und der Umweltgerechtigkeit, genau wie beim Essen oder beim Reisen. Man kann den Widerspruch zwischen dem individuellen Wunsch nach mehr und der gemeinsamen Notwendigkeit des Weniger nicht auflösen. Wir kommen sogar um staatlich organisierten Verzicht nicht herum. Wenn jeder für sich materiell so großzügig lebt, wie er will, dann geht das auf Kosten der Umwelt und nachfolgender Generationen.
Muss man da nicht Aufträge wie das von Ihnen geplante 400-Quadratmeter-Einfamilienhaus wegen mangelnder Nachhaltigkeit ablehnen?
Das ist ein Dilemma, in das jeder Architekt geraten kann. Wir sind unterschiedlichen und manchmal widersprüchlichen Zielen verpflichtet. Wer seine Familie ernähren muss, nimmt vielleicht auch fragwürdige Aufträge an. Ich glaube aber, dass sich Architekten ihrer moralischen Verantwortung sehr wohl bewusst sind. Der Anspruch, den wir an uns selbst haben, ist sehr viel höher als in den meisten anderen Berufen.
Was raten Sie in Dilemma-Situationen: Ein schlechtes Haus planen oder die Familie hungern lassen?
Solche Konflikte kann jeder nur im Einzelfall lösen. Aber dafür ist es wichtig, sich mit moralischen Fragen in der Architektur zu beschäftigen. Das führt zu fundierteren Entscheidungen in schwierigen Fällen. Man steht besser da, wenn man von unvermeidlichen Übeln das kleinere erkannt und bewusst gewählt hat.
Soll jeder Architekturstudent auch noch Ethik lernen, und soll sie später Teil der Fortbildung werden?
Ja, absolut! Architekten werden gleich auf zwei Ebenen mit Fragen der Moral konfrontiert. Zum einen die immer wieder auftretenden Konflikte zwischen Interessen: denen der Bauherrn, eigenen, denen Dritter und der Gesellschaft. Zum anderen die Suche von Architekten nach dem, was Aristoteles das „gute Leben“ genannt hat: ein gelingendes Leben für Individuum und Gesellschaft. Architektur beeinflusst beides ganz massiv. Das braucht moralische Regeln und Normen – das Thema der architektonischen Ethik.
Wollen Sie auch Organisationen etwas raten – zum Beispiel Kammern, wenn es hier um das materielle Wohl ihrer Mitglieder und da um Nachhaltigkeit geht?
Architektenkammern leisten schon viel, wenn sie solche Widersprüche nicht unterdrücken oder wegreden, sondern wenn sie als Plattformen dienen, auf denen offen darüber gesprochen wird. Das führt oft noch nicht zu einer Lösung, aber immerhin kann es einen Konsens in den Absichten schaffen. Und es hilft den einzelnen Mitgliedern, wenn diese vor einem solchen Dilemma stehen. Es wirkt aber auch in die Gesellschaft hinein. Denn schließlich sind es letztlich die Bauherren, deren Konsumwünsche den Widerspruch zur Nachhaltigkeit erzeugen.
Nicht nur dieser Widerspruch tritt immer wieder auf.
Darum stellt sich immer wieder die Frage des richtigen Umgangs. Die Kammern wären wie jede andere Instanz überfordert, sollten sie moralische Fragen allgemeingültig beantworten und im Einzelfall sagen: So ist es richtig und so falsch. Der einzelne Architekt kann sich hier keine Autorität borgen. Es bleibt seine Verantwortung und Entscheidung.
Ein schweres Päckchen.
Ja, aber man kann es auch mit einer gewissen Gelassenheit tragen. Wir sollten die diversen Konflikte als Teil unseres Berufs und unserer Arbeit begreifen, schon um unsere eigene normative Überforderung vermeiden. Man kann dann entspannter damit leben, dass es für manchen Widerspruch einfach keine Lösung gibt.
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Die (selbst)kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff ‚Nachhaltigkeit‘
ist sehr zu begrüßen, ja überfällig. Insbesondere gilt dies für die Erkenntnis,
dass der Mut zum Verzicht und damit verminderter Ressourcenverbrauch
oftmals zielführender und ehrlicher ist als das Nebelkerzenwerfen mit
Begriffen wie ‚Plusenergie‘ oder ‚Null-Emission‘, welches nur allzu oft für
das Kaschieren des eigentlichen Zwecks, zusätzlicher Wertschöpfung
nämlich, herhalten muss. Mit Planung und Erstellung dieser
überdurchschnittlich technisierten und Kapital bedürftigen Gebäude
geht nicht selten einher der nahezu zwanghaft anmutende Wunsch nach
Inanspruchnahme von Fördermitteln oder/und einer gut sichtbar angebrachten
Öko-Plakette an der Fassade in Eingangsnähe als eine Art Gutmenschen-
Deklaration für die Selbstbestätigung richtigen Handelns.
Architektinnen und Architekten sollten sich den Verweis auf einen energetisch
schlechten Zustand des Altbestandes seitens Politik, dena und Bauindustrie
nicht unreflektiert zu eigen machen. Abgesehen von Bauwerken mit kultur-
historisch herausragender Bedeutung (s. Bauhaus Dessau) ist die Masse
der Häuser unter dem Aspekt tatsächlicher Nachhaltigkeit energetisch
nur begrenzt oder gar nicht sanierungswürdig, geschweige denn mit
vertretbarem Aufwand in die Nähe Neubau-ähnlicher Standards zu bringen.
Ein Oldtimer lässt sich eben nicht mit Airbags und ABS nachrüsten.
Die schlichte Akzeptanz des Ist-Zustandes für eine begrenzte
Restnutzungsdauer ist bei vielen Häusern die richtige Entscheidung.
Bei seriöser Bestandsanalyse kann insbesondere der Appell für große Teile
des Baubestandes aus den 40er bis 70er Jahren letztlich nur lauten:
Mehr Mut zum Abriss!
Nach wie vor besteht anscheinend die Meinung, man könnte mit immer weiterer Technisierung die Umweltprobleme lösen, die, im Grunde genommen, eben diese Technisierung erzeugt.
Im High-Tech-Haus mit computergesteuertem Normklima, Winter wie Sommer möglichst gleich, mit kontrollierter Atemluft, frei von allen Umwelteinflüssen (negative und positive), mit intelligenter Fassade etc., verabschiedet sich der Mensch vollends von jeglichem Kontakt zu, und Bewusstsein für, Natur und Umwelt. Doch genau dieses gilt es doch zu bewahren bzw. zu stärken, als Grundvoraussetzung für eine entsprechende Lebensweise.
Hier ist die Kreativität der Planer gefragt. Wenn Häuser z. B. (wieder) räumliche Schichtungen zwischen innen und außen hätten, also vorgelagerte überdeckte Bereiche, (echte) Wintergärten, Wirtschaftsbereiche, etc., dann kann sich das Bewohnen im natürlichen Rhythmus der Jahreszeiten dahinein ausdehnen und wieder zurückziehen. Ganz nebenbei sind solche Pufferzonen „natürliche“ Wärmedämmung, und schaffen eine lebendige Wohnatmosphäre (im Gegensatz zur A/V-Optimierung). Die Möglichkeit, in einem regengeschützten Bereich an der Außenluft Wäsche im Wind zum Trocknen aufzuhängen, (in der Nähe der Waschmaschine – nicht vor dem Wohnzimmer), findet man selten. Dagegen gilt es heute als ökologisch vorbildlich, wenn der Wäschetrockner mit Gas betrieben wird anstelle mit Strom.
Nachhaltigkeit und Ökologie hat, m. E., seitens der Gebäude immer mit Einfachheit und Langlebigkeit zu tun, (und seitens der Menschen mit Demut vor der Schöpfung!)
Markus Pröhmer, Architekt, Stegen
Betreff: DAB Ausgabe 3/012, Seite 10-15
Einerseits ist es sehr erfreulich, dass im DAB dieses so brennend wichtige Thema behandelt wird, andererseits ärgert mich die Ängstlichkeit der Autoren die Problematik beim Nahmen zu nennen: Wir Architekten sind es , die aus Eitelkeit und aus Egoismus von Ökosuffiziens nichts wissen wollen – Prestigeobjekte im Sinne unserer Starkollegen würde es nicht mehr geben.
Offenbar fällt es uns zu schwer war zu nehmen, dass für nachhaltige Architektur die Kenntnis umweltethischer Themen (s. Konrad Ott, Martin Gorke) substantiell und Voraussetzung beim Bauen für eine Zukunft sind. Günther Moewes hat das Thema schon öfter – auch hier – auf seine eigene Weise deutlich gemacht.
Jörg Riedel, Architekt, Felde