Der massierte Wohnungsbau der Nachkriegszeit verbreitet meist keinen Zauber. Doch er spiegelt die damalige Soziale Marktwirtschaft wider und ist Sinnbild seiner Zeit. Heute nehmen sich nicht wenige Architekten der Aufwertung von Nachkriegsbauten an, entwickeln sie technisch und optisch weiter und beheben Defizite im Umfeld. Einer von ihnen ist der Architekt, Künstler und Stadtbildplaner Andreas Hanke aus Dortmund, der unter anderem in der dortigen Großsiedlung Scharnhorst, in Ratingen, Hagen und der Recklinghausener Breuskesbachsiedlung tätig geworden ist.
Vor und während der Planung kommuniziert Hanke nicht nur mit den Eigentümern, sondern auch mit Experten der Sozialarbeit und vor allem mit den Bewohnern. Gut 45 Abende verbrachte er beispielsweise mit Hausflurgesprächen in einer Großwohnanlage, um mit den Bewohnern das Gestaltungskonzept zu diskutieren und zu entwickeln. „Da fliegen manchmal die Fetzen“, sagt Hanke. Jedes Projekt erhält ein individuelles und prägnantes Antlitz, das eine eigene Geschichte erzählt.
Malerei für die Nachkriegsmoderne
Die Bauten aus der ersten Epoche der Nachkriegsmoderne der 1950er-Jahre sind von Rasterfassaden geprägt, gefolgt von Vorhangfassaden und von sachlich-nackten Betonflächen der 1960er- bis Ende der 1970er- Jahre. „Die Probleme mit diesen Bauten resultieren vor allem aus der fehlenden Qualität und Vielfalt der verwendeten Materialien“, sagt Andreas Hanke. „Gerade wenn man reduziert baut, braucht man hochklassige Gestaltung und Materialien.“ Seine Farbkonzepte stehen oft dem Bild der Ursprungsarchitektur diametral entgegen. Er greift auch auf Stilmittel der Vormoderne zurück, strebt eine Synergie von Farbe und Material sowie die Vielfalt und Einzigartigkeit von Oberflächen an.
Dazu ergänzt er Ornamente und Reliefs oder legt sie frei, betont Mezzanine-Geschosseund schafft Dachvorsprünge. Farbe ist in Hankes Projekten kein Modetrend und nicht bloß beliebiger Anstrich, sondern will einem individuellen und überdauernden Leitbild folgen. Hanke hat nicht nur Architektur, sondern auch an der Düsseldorfer Akademie Kunst studiert und lässt sich bei der Entwicklung des Farbkonzepts von Gemälden inspirieren. Giorgio de Chiricos Gemälde „Delights of the Poet“ von 1913 stand zum Beispiel Pate für das Projekt in der Hagener Höxterstraße; hier wollte er „das Weiß der Faserzementgroßtafeln in eine würdige Wohnquartiererscheinung verwandeln“.
Die Breuskesbachsiedlung in Recklinghausen ist farblich und gestalterisch von David Hockneys „East Yorkshire Landscape“ inspiriert. Ebenfalls auf Hockney berief er sich in Dortmund-Clarenberg. Dort sollten starke malerische Kompositionen das nach seinen Worten „unwürdig gealterte Grau der Waschbetonfassaden in eine angenehme Farbgestaltung des Quartiers übersetzen“.
Vormoderne handwerkliche Elemente verwendet er in der Fassade von Nachkriegswohnanlagen, um beispielsweise Sockel- und Dachzonen anzudeuten. Für ihn ist das keineswegs ein Verstoß gegen Regeln der Moderne, sondern er orientiert sich dabei unter anderem an deren Pionier Louis Sullivan, der bei urbanen Großgebäuden in Chicago und New York City auch solche Ornamente verwendete.
Hanke versteht Sullivan als letzten Vertreter der Vormoderne, der der Anonymität der Großstadt und dem industriellen Bauen mit solchen Stilelementen begegnete. „Gerade die Vormoderne zeichnet sich durch eine hohe Ablesbarkeit aus, die wir ab einer gewissen Skalierung auch heute unbedingt brauchen, um uns als Menschen sicher, zugehörig und zu Hause zu fühlen.“ Die damaligen Stilelemente seien aber oft kunsthandwerklich und individuell gefertigt oder angebracht worden, etwa lebendige Ziegelfassaden, Putze, Stuckarbeiten oder auch Lüftlmalereien. Und er erwähnt: „Architekten entdecken diese Gestaltungselemente der Vormoderne heute wieder, zum Beispiel im Hochpreissegment Hild und K aus München.“ Doch großmaßstäblicher Wohnungsbau erzwinge eine serielle Herstellung. Hanke verwendet beispielsweise Siebdrucke, „die das Ornament auf Aluminium-Verbundmaterialien mit einem Schattenschlag zur Überhöhung der Plastizität auftragen“. Mit dieser Technik gestaltet er komplexe Fassaden mit den begrenzten Budgets im sozialen Wohnungsbau.
Manchmal findet Hanke auch eine optische Zurücknahme einer allzu auffälligen Gestaltung angemessen, um die Wirkung der Architektur voll zur Geltung zu bringen. Schreiend bunte Hochhausscheiben in Ratingen aus der Zeit um 1970 trugen den nicht freundlich gemeinten Spitznamen „Papageienhäuser“. Hier nahm Hanke Farbe weg und brachte die homogenen Reliefs des Baukörpers mit elfenbeinfarbenen Alucobond-Platten zur Geltung. Und stets verlässt er sich nicht nur auf die Gebäudegestaltung selbst, sondern bemüht sich auch um hochwertige Freiflächen und Grünanlagen – oder auch um skulpturale Elemente, wie die 26 Meter hohen Grashalm-Plastiken aus Metall an der Höhenstraße in Viersen sowie baumhohe und poppig-bunte Hausnummertafeln wie in Ratingen.
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