Text: Roland Stimpel
Für den Bautyp „Rathaus“ gab es jahrhundertelang eindeutige Bilder: die von Trutzburgen des Stadtbürgertums oder von kommunalen Schlössern zur Selbstbehauptung gegen Feudalherren vor den Toren. Später, im Kaiserreich, waren es die Bilder stolzer, meist historistischer Manifestationen für Wachstum und Reichtum. Im 20. Jahrhundert verblasste die Eindeutigkeit; kommunale Verwaltungsbauten waren oft kaum noch von privaten unterscheidbar. Bürokratie dominierte oft über Demokratie, auch räumlich und optisch. Heute sind vor allem Rathäuser der Nachkriegszeit technisch und funktional veraltet, wie so viele Bauwerke der Epoche. Und selbst ambitionierteste Kommunal-Paläste jener Jahre haben nicht den Weg ins Herz vieler Bürger gefunden und sind vom Abriss bedroht. Wo dieser schon stattgefunden hat, gehen Städte unterschiedlichste Wege – von der Synthese mit dem Konsumpalast bis zum Rückgriff auf historisierende Formen.
Leverkusen: kommunale Untertasse
Leverkusens Rathaus-Galerie ist keine städtische Kunsthalle, sondern ein Einkaufszentrum mit 22.600 Quadratmetern Ladenfläche. Obendrauf liegt eine Art fliegende Untertasse mit 5.000 Quadratmetern, die Ratssaal, Bürgermeisterbüro und Pressestelle der rheinischen Großstadt zur Miete beherbergt. Immerhin gibt es vor der „Galerie“ eigene Treppen und Aufzüge zu den städtischen Räumen, und niemand muss bei Betty Barclay und Bijou Brigitte vorbei, wenn er zu Oberbürgermeister Reinhard Buchhorn will. Dieser äußerte sich beim Einzug vor drei Jahren nur gedämpft begeistert: „Die Planung ist, wie sie ist.“ Sie ist das Ergebnis eines Investoren-Wettbewerbs; Architektur-Partner der darin siegreichen ECE waren HPP aus Düsseldorf. Nach deren Worten handelt es sich um eine „grundsätzliche Neugestaltung des Standortes zur Schaffung eines neuen städtischen Schwerpunktes mit einer Nutzungsmischung aus städtischem Platz, Einzelhandel, Rathaus, Bürgerzentrum, Gastronomie und Entertainment-Center“. Das Rathaus von 1977 wurde dafür abgerissen. Geschichte wiederholt sich in Leverkusen: Für den grün-grauen Klotz hatte man zuvor das Neorenaissance-Rathaus von 1908 planiert.
Vom Bunker zum Raumschiff: Rathaus in Leverkusen von 1977 ....
Die Synthese von Center und kommunaler Kultur ist nicht neu: Die ECE hat in ihrem Braunschweiger Komplex hinter der Fassade des rekonstruierten Welfenschlosses Bibliotheken, Archiv und Museum untergebracht. In Koblenz entstanden parallel Center und Kulturhaus von denselben Architekten, Benthem Crouwel aus Amsterdam. Und in Berlin-Steglitz umklammert das Center „Das Schloss“ das historische Rathaus von zwei Seiten, hat die Stadtbibliothek huckepack genommen und den Rathaushof zu seinem „Food Court“ gemacht.
Mainz: bedrohtes Meisterwerk
Das 1974 fertiggestellte Mainzer Rathaus von Arne Jacobsen steht für eine Scheidung der Geister: auf der einen Seite Freunde einer Perle der Nachkriegsmoderne, die von der Stellung und Gliederung des Baukörpers über die Fassadengestaltung bis zur Raumfolge im Inneren neue Wege nicht nur für Mainz zeigt. Auf der anderen Seite stehen Bürger, denen die willensstarke Gestalt auch nach fast 40 Jahren heimatlos-fremd, schroff und verschlossen erscheint. Dabei könnte man es belassen, wäre der Bau nicht technisch so heruntergekommen mit feuchten Stützen, einer instabilen Fassade, sehr dezenten Eingängen, niedrigen Decken und der schlechtesten aller Luftwelten mit schadhafter Klimaanlage und nicht zu öffnenden Fenstern.
Rathaus-Gegner verlangen Abriss und Neubau; Oberbürgermeister Michael Ebling will aber das Haus jetzt sanieren. Rund 50 Millionen Euro sind dafür veranschlagt, etwa gleiche Kosten wie für einen Neubau. Ebling gibt sich „fest davon überzeugt, dass wir Akzeptanz für die Sanierung nur herstellen, wenn wir das Gebäude stärker öffnen“. Das aber würde die von Jacobsen geschaffene Raumfolge vom Eingang bis zum Ratssaal zerstören. Sie ist für den rheinland-pfälzischen Architektenkammerpräsidenten Gerold Reker wichtiger Teil des Rathauses als ein „Kunstwerk, mit dem man sich beschäftigen muss“. Der Ausgang ist offen, möglich ist alles zwischen aufwendiger denkmalgerechter Sanierung und Abriss. Einigkeit besteht in Mainz nur darin, dass es beim schlechten Bauzustand der Gegenwart nicht bleiben kann.
Ruhrgebiet: Historismus, Abriss, Moderne-Pflege
Mit polychloriertem Biphenylen war das 1974 fertiggestellte Rathaus der Ruhrgebietsstadt Gladbeck unrettbar verseucht. Nach dem Motto „PPP statt PCB“ initiierte die Stadt einen Wettbewerb unter privaten Investoren, den Hochtief PPP Solutions gewann – und damit indirekt die von der Firma beauftragte Architektengruppe Hofmann Syffus Knaack aus Düsseldorf. Gladbecks damaliger Baurat Michael Stojan hatte einen gestalterischen Rahmen gesetzt, der diverse Architekten ärgerte, aber den Wünschen vieler Gladbecker Bürger entgegenkam: Stojan forderte Ziegel-Lochfassaden, geneigte Ziegeldächer und andere regionale Gestaltungselemente, einen Anschluss an die Traufhöhe des alten Rathauses von 1910 und die Entstehung eines neuen Stadtplatzes. Letzterer lebt seit der Fertigstellung 2006 als Zentrum der Stadt mit Märkten, Festen und alltäglicher Identifikation.
Neu-altes Gesicht: Gladbecks Rathaustürme von 1974 waren PCB-verseucht und wurden ...
Ganz anders gehen zwei Nachbarstädte Gladbecks mit dem historischen Bild ihrer Kommunalbauten um: Gelsenkirchens wichtigster Bau der 1920er-Jahre, das kommunale Hans-Sachs-Haus von Alfred Fischer, war baulich nicht zu retten und musste abgerissen werden. Jetzt hat ihn das Hamburger Büro gmp neu errichtet. Das Hans-Sachs-Haus 2 wird in diesen Wochen fertig; anstelle der Backsteinfassade verläuft teilweise eine Glasfront, die den Ratssaal belichtet. Wiederum völlig anders liegen die Dinge im nahen Wesel: Hier war das spätgotische Rathaus im Krieg zerstört worden; in den 1990er-Jahren entstand ein leicht postmodern angehauchter Nachfolger. Dem wiederum blendete bis 2011 der Architekt und Dombaumeister Wolfgang Deurer eine Rekonstruktion der gotischen Fassade vor. Wie in Gladbeck beurteilten ansässige Laien das Ergebnis sehr viel freundlicher als aushäusige Experten.
Ein Stück weiter östlich entstand bis 1958 Deutschlands markantestes Avantgarde-Rathaus der Nachkriegszeit: das kommunale Zentrum der damals rasch wachsenden Stadt Marl. Die Niederländer Johannes Hendrik van den Broek und Jacob Berend Bakema hängten die filigranen Fassaden der beiden Bürotürme an den Dächern auf; auch das frei gespannte Faltwerk über dem Ratssaal war damals revolutionär. Der Bau kämpft heute mit Wärmedämmung und schlechtem Raumklima – verbreiteten Krankheiten in seiner Generation. Aber niemand in Marl denkt daran, das Wahrzeichen aus der blühendsten Epoche der jungen Stadt abzureißen.
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