Von Jürgen Tietz
Ob als Schloss getarnt oder als mittelalterlicher Burgfried, ob mit eingebautem Kriegerdenkmal oder als technisch-kühle Konstruktion – Wassertürme haben das Zeug zur stadtbildprägenden Landmarke. Das ist wohl der Hauptgrund dafür, dass viele dieser technischen Denkmale noch heute erhalten sind, obwohl bereits etliche ihre ursprüngliche Nutzung verloren haben. „Besonders schwierig ist die Umnutzung von Bahnwassertürmen“, berichtet Matthias Baxmann, der beim Brandenburgischen Landesamt für technische Denkmale zuständig ist. Gerade auf Bahnarealen können die Erschließung und bauliche Ergänzung der Türme zum Problem werden. Ohnehin bedarf es einer gehörigen Portion Leidenschaft, um einen Wasserturm umzunutzen.
Sarah Phillips und Richard Hurding, die den Wasserturm im brandenburgischen Joachimsthal für sich entdeckt haben, besitzen diese Leidenschaft. Mit der Eröffnung des „Biorama“ ist es ihnen letztes Jahr gelungen, dem alten Turm eine neue Nutzung und der Schorfheide nördlich von Berlin einen publikumswirksamen Anziehungspunkt zu geben. Der Name „Biorama“ setzt sich zusammen aus den Begriffen des Biosphärenreservats Schorfheide-Chorin und dem wunderbaren Panorama, das sich den Besuchern von der neu geschaffenen Aussichtsplattform aus bietet. Aber auch sonst liegt die Kunst im Fokus von Phillips und Hurding: Mit Veranstaltungen und Installationen haben sie den Turm und die angrenzende „weiße Villa“ neu definiert.
Der Wasserturm selbst ist mit seiner sichtbaren Stahlbetonkonstruktion, die mit gelbem Klinker ausgefacht wurde, eine Sechziger-Jahre-Schönheit. Technisches Denkmal und Denkmal der Nachkriegsmoderne gleichermaßen, fasziniert er durch seine funktionelle Ästhetik. Nachdem Richard Hurding den Turm auf einer Radtour entdeckt hatte, ließ dieser ihn nicht mehr los – und inzwischen ist er zum Lebenszentrum der beiden Briten geworden, die hier wohnen. Dafür hat der Berliner Architekt Frank Meilchen mehrere neue Etagen in den Turm eingezogen. So stapeln sich nun das kreisrunde Schlafzimmer, die Küche und das Wohnzimmer übereinander. Ein Badezimmer hat Meilchen mit einer Stahlkonstruktion eingehängt. Erschlossen wird der private Wohnturm über die alte Stahltreppe, die eng an die Innenwand geschmiegt emporführt. Der ehemalige Wasserspeicher aus Beton, der den Bau bekrönte, musste allerdings demontiert werden. In einzelne Stücke zersägt, wurde er durch eine der schmalen Fensteröffnungen des Turmes entfernt. Eine Millimeterarbeit mit Schwergewichten! Vier massive Betonscheiben sind jedoch stehen geblieben und erinnern noch heute in der Küche an die einstige Turmnutzung. Sensationell ist die Aussicht, die sich vom rundum verglasten obersten Geschoss des Wasserturms aus bietet – als hätte es sich schon beim Bau in den 1960er-Jahren um einen Aussichtsturm gehandelt und nicht um einen Speicher. Und tatsächlich dürfte von hier aus bei DDR-Staatsbesuchen wohl mancher beobachtende Blick über Erich Honeckers Jagdrevier in der Schorfheide gewandert sein.
An die Stelle der alten filigranen Stahlfenster mit einfacher Verglasung sind neue Fenster mit Aluminiumprofilen und Isolierverglasung getreten, um mit vertretbarem Kostenaufwand für die Bauherren eine gewisse Wärmedämmung zu ermöglichen. Und direkt neben dem runden, alten Turm hat Meilchen einen neuen, eckigen Turm aus Beton, Stahl und farbigem Glas errichtet, dessen Aufzug die Besucher auf die neue öffentliche Aussichtsplattform auf dem Dach des Wasserturms bringt. Eine Stahltreppe schlängelt sich tänzelnd um beide Türme, bindet sie zu einer Einheit zusammen und bietet zudem den notwendigen Rettungsweg.
Rund 20 000 Besucher
hat das „Biorama“ seit seiner Eröffnung im letzten Sommer bereits angelockt und damit nicht nur architektonisch ein Zeichen in der Schorfheide gesetzt. Wer hätte schon gedacht, dass der alte Wasserturm in Joachimsthal ein solches Potenzial bietet? Gelten doch sowohl technische Denkmale als auch Bauten der Nachkriegsmoderne gemeinhin hinsichtlich ihrer Umnutzung als schwierig. In Joachimsthal haben Phillips und Hurding gemeinsam mit Frank Meilchen den Gegenbeweis angetreten, dass es „nur“ einer guten Idee bedarf und eines sicheren Blicks, um das Potenzial eines Denkmals zu erkennen. Und die Denkmalpflege? „Am Anfang hatten wir Angst vor dem Denkmalschutz, ehe wir gemerkt haben, dass er ja gar nicht so böse ist“, resümiert Architekt Meilchen rückblickend. Es ergab sich nicht nur ein konstruktiver Denkmaldialog, sondern auch eine finanzielle Förderung des „Biorama-Projekts“.