Von Manuel Pestalozzi
Wäre der abgeschiedene Weiler Uerzlikon im Land Brandenburg, man könnte ihn Unterleuten nennen wie die fiktive Ortschaft im gleichnamigen Roman von Julie Zeh. Allerdings sind wir hier im Knonauer Amt, in der Südwestecke des Kantons Zürich. Keine historischen Brüche, der nächste Anschluss ans Autobahnnetz liegt nur wenige Kilometer entfernt, Brennpunkte des wirtschaftlichen Booms der Schweiz sind mit dem Fahrrad erreichbar.
Die Hofsiedlung ist für diese hügelige voralpine Region typisch. Uerzlikon schmiegt sich in eine Geländemulde, die sich nach Nordwesten öffnet. Der kantonale Richtplan lässt die Ausdehnung des Siedlungsgebiets nicht zu. Im regionalen Richtplan wird der Weiler zu den ländlich-traditionellen Siedlungen gezählt, die kulturhistorisch bedeutsam sind. Sie zeugten von den Ursprüngen und seien wichtig für die „Ämtler Identität“. Das heißt, wer hier Bauvorhaben realisieren will, sieht sich mit einem engen Korsett konfrontiert. Das Bild, das die historische Substanz hergibt, wird als intakt betrachtet und soll – möglichst unter Berücksichtigung dieser Substanz – bewahrt werden.
Schicksalsfragen
Am Nordosthang der Geländemulde steht ein fast 300-jähriges Haus, das in dieser Umgebung erst einmal als nichts Besonderes erscheint: ein kompaktes Volumen, mit einem annähernd quadratischen Grundriss und einem quer zum Gefälle verlaufenden Satteldach, teils Blockhaus, partiell durch späteres Fachwerk ersetzt, teils Holzständerstruktur. Eigentlich wollte der Besitzer der Nachbarliegenschaft das Gebäude kaufen, es abreißen und ein Wohnhaus errichten. Das Raumplanungsamt des Kantons machte auf den Ortsbildschutz aufmerksam. Die Gemeinde beauftragte eine Gutachterin, sie schätzte das Haus als Schutzobjekt von kommunaler Bedeutung ein. Der Nachbar verlor das Interesse an seinem Vorhaben. Eigentlich waren alle Bedingungen erfüllt, dass das Gebäude dem Zerfall preisgegeben wird.
Man kann es als eine glückliche Fügung des Schicksals bezeichnen, dass sich in diesem Moment zwei Schutzengel dieses Hauses annahmen, die die kreativen, emotionalen und finanziellen Ressourcen für seinen Erhalt aufbringen konnten. Und nicht nur das: Margrit und Moritz Häberling sind Einheimische. Ihre Kunstschlosserei hat sich mit Restaurationsarbeiten weit über die Region hinaus einen Namen gemacht. Somit wurde die Wahrung des Genius Loci von Personen angegangen, die über fundierte Ortskenntnisse verfügen und dafür sorgen konnten, dass die Wertschöpfungskette in heimatlichen Gefilden verläuft. Das Ehepaar schloss mit der Gemeinde einen Schutzvertrag ab, der den Erhalt des Hauses, seiner Bausubstanz und seiner Grundrissstruktur sicherstellte. Und es fand in Andreas Pizza einen Architekten, der ihre Vorstellungen umzusetzen wusste.
Leidenschaft und Pragmatik
Dem in Aachen und Neapel ausgebildeten Architekten, der mit der Bauherrschaft und der Lokalität bereits vertraut war, wurde ein Direktauftrag erteilt. Es war auch ein Dauerauftrag: Von den Anfängen der Planung bis zum Bezug des Gebäudes im Frühjahr 2017 dauerte es vier Jahre.
Erste Untersuchungen ergaben, dass der Baugrund wenig stabil war und das nur talseitig unterkellerte Haus teilweise absank. Viele Elemente der alten Struktur erwiesen sich als marode. Diese Erkenntnisse mussten sich die Beteiligten Schritt für Schritt erarbeiten und die Sanierungsstrategie entsprechend in Absprache mit der Denkmalpflege anpassen. Andreas Pizza entwickelte ein Konzept, das den bisherigen zweigeschossigen Wohnteil entsprechend dem gewünschten Raumprogramm ergänzt durch eine Maisonette mit Keller (anstelle des hangseitigen Wirtschaftsteils) und einer loftartigen Etagenwohnung im bisher unbenutzten Dachraum. Hier konnte der Architekt die Denkmalpflege-Instanzen für eine Lösung mit Fensterbändern unter Schleppgauben und eine verglaste, teilweise mit unbehandelten Lochblechen verkleidete talseitige Giebelfront aus Metallfenstern gewinnen. In der Wohnung sorgt das für eine angenehme Tageslichtstimmung. Die Erschließung erfolgt über eine eigene, skulpturale Stahltreppe in der Nordecke des Hauses direkt vom Außenraum.
Das Konzept wurde als „Patchwork“ von Alt und Neu umgesetzt. Leidenschaft und Pragmatik bestimmten das Vorgehen, niemand beharrte auf einer lupenreinen Purifizierung. Dies entspricht diesem profanen Zweckbau, der immer wieder Anpassungen oder Ausbesserungen erfahren hat.
Kollaboration
Ungewöhnlich bei diesem Projekt ist nicht nur das Zusammenspiel von modernen und traditionellen Elementen oder die lange, iterative Planung und Realisierung, sondern auch das aktive Engagement der Bauherrschaft. Moritz Häberling ergänzte das architektonische Konzept und die Details von Andreas Pizza; er schmiedete mit gutem Sinn für das Sachliche nützliche Geländer, Balkonaufhängungen, Vorhangstangen und sogar einen funktionstüchtigen Holzkochherd. Er steht neben der modernen Einbauküche in der typologisch wichtigen, breiten Diele, die quer zum Giebel von Fassade zu Fassade verläuft. Der Bauherr fand auch Metallbrüstungen und Fensterbeschläge in seiner reichhaltigen Sammlung, die er in Abbruchprojekten alimentiert. Er suchte im eigenen Wald die Bäume aus, deren Bretter die bestehende Substanz ergänzen, er fand Wandschränke und einen alten Kachelofen, die so ins Haus integriert sind, dass man meint, sie seien schon immer da gewesen. Der Bestand und die Ergänzungen wurden neu kombiniert und geben dem Haus eine stimmige und unprätentiöse Identität, die nie neutral wirkt, sondern Partei für das Haus zu nehmen scheint.
Der Architekt hatte sich hier mit einem aktiv mitarbeitenden Bauherrn auseinanderzusetzen, in einem Verhältnis des kontinuierlichen Gebens und Nehmens. Die drei Mietparteien, ein kinderloses Paar und zwei allein Lebende, verfügen nun über helle, großzügige Räumlichkeiten, die heutigen Komfort bieten und gleichzeitig echte Spuren der Vergangenheit allgegenwärtig machen.
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