Gutes Team: Nach der Bürogründung 2015 haben sich Kyung-Ae Kim und Max Julius Nalleweg durch Wettbewerbe schnell ins Gespräch gebracht. (Klicken für mehr Bilder)
Dieser Beitrag ist unter dem Titel „Die Gewinner“ im Deutschen Architektenblatt 01.2020 erschienen.
Von Simone Kraft
Monatelange unbezahlte Arbeit, zahlreiche Konkurrenten und dazu die Unsicherheit, was aus dem Entworfenen wird: Über das Wohl und Wehe der Wettbewerbspraxis in Deutschland lässt sich sicherlich ausgiebig streiten. Unstrittig ist jedoch, dass der Prozess nicht einfach ist. Warum tut man sich so was an?
Weil die Möglichkeiten des Entwerfens hier freier und unabhängiger seien, weil die Herausforderung größer sei, und ja, weil Konkurrenz auch reizvoll sein könne – sagt Kyung-Ae Kim vom Berliner Büro Kim Nalleweg Architekten. „Zudem sehen wir eigentlich nur über Wettbewerbe die Möglichkeit, an zeichenhafte und gesellschaftlich relevante Bauprojekte der öffentlichen Hand zu kommen“, so die junge Architektin. „Unsere Entwürfe präzise lesbar auf Papier und im Modell darzustellen und dann zu schauen, was eine Fachjury ohne Präsentation und Selbstdarstellung daraus liest, ist zudem ein Aspekt. Auch weil die Wettbewerbe ja meist – leider nicht immer – anonym sind.“
Die wenigen Chancen nutzen
Gemeinsam mit ihrem Partner Max Julius Nalleweg arbeitet Kyung-Ae Kim seit 2015 im eigenen Büro, das sie rund sieben Jahre nach Studienende gegründet haben. Mutig wählten sie nicht (nur) die finanziell sichere Variante der Direktaufträge, sondern gingen bewusst auch als Wettbewerbsbüro in die Vollen und nutzten die – wenigen – Chancen, die es für junge Büros überhaupt gibt. Die Situation ist bekannt: Die offenen Wettbewerbe im deutschen Raum sind spärlich und oft genug im Anforderungsprofil so eng gesteckt, dass sich viele Büros aufgrund der Mindestanforderungen nicht bewerben können. In dieser Situation Fuß zu fassen, gleicht der Quadratur des Kreises: Um etwa einen Kindergarten zu bauen, ist Erfahrung im Kindergartenbau vorzuweisen – die man, richtig, beim Bau von Kindergärten erwirbt.
Gründungsviertel Lübecker Altstadt
Nichtsdestotrotz haben Kim Nalleweg in kurzer Zeit einige Erfolge errungen. So waren sie etwa 2015 erste Preisträger bei den Wettbewerben zum neuen Wohnen auf historischen Parzellen im UNESCO-Welterbe Lübecker Altstadt „Gründungsviertel“ und 2018 für die Fassadengestaltung des Deutschen Instituts für Normung (DIN) in Berlin, das sich derzeit im Bau befindet. Im zweiphasigen Wettbewerb zum neuen Wien Museum gab es 2016 einen zweiten Preis. Brandaktuell ist wiederum der erste Platz für den Neubau des Hauses des Gastes in Peenemünde, ein Wettbewerb mit vorgeschaltetem Bewerbungsverfahren (2019).
Neubau Rosa-Luxemburg-Stiftung
Gerade realisiert wird das neue Gebäude der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die bislang als einzige parteinahe politische Stiftung noch keinen öffentlich geförderten Stiftungssitz hatte. 2016 entschieden Kim Nalleweg, in Arge mit César Trujillo Moya, den zweiphasigen offenen Wettbewerb für die Stiftung für sich. Seit 2018 wird gebaut, mit allen für Berlin typischen aufwendigen Erfordernissen; die Einweihung ist für 2020 angesetzt. Vor allem aber sind alle wesentlichen Ideen aus der Wettbewerbsphase in der Realisierung erhalten geblieben – ein leider seltener architektonischer Glücksfall. Entstehen wird eine Hochhausscheibe auf einem zweigeschossigen Sockel aus Sichtbeton, roten Ziegeln und Aluminium, die sich in die heterogene Umgebung des ehemaligen Postbahnhofs in Berlin-Friedrichshain selbstbewusst einfügt. Ein geschosshoher Fachwerkträger mit sich kreuzenden Stützen fungiert als ornamentale Markierung des Gebäudes und als stützenfreier Veranstaltungsbereich.
Jungen Teams vertrauen
Der Mut, sich auf das Abenteuer Wettbewerb einzulassen, hat sich nicht nur für die jungen Architekten gelohnt, sondern auch für den Bauherrn. Warum nicht häufiger so?
Natürlich braucht es dazu in erster Linie Bauherren, die jungen Teams vertrauen. Gründe dafür, dass dies nicht allzu häufig vorkommt, sehen manche in der Struktur der Architektenausbildung, die die Architektenanwärter erst einmal „unfertig“ in die Arbeitswelt entlasse. Wie sollen von praktisch unerfahrenen Studienabsolventen verantwortungsvolle Großprojekte gestemmt werden? Das allein ist jedoch kein hinreichender Grund. Kyung-Ae Kim und Max Julius Nalleweg etwa haben nach dem Studium in Hamburg und Berlin Erfahrungen in verschiedenen Büros gesammelt, waren einige Jahre bei Max Dudler tätig, ehe sie sich mit Mitte 30 selbstständig machten – in einem Alter also, in dem in anderen Branchen wohlgemerkt schon von „Senior“-Positionen gesprochen wird.
Wettbewerbskultur hat sich zurückentwickelt
Man mag es drehen und wenden: Tatsache bleibt, dass sich die offene Wettbewerbskultur in den letzten Jahren eher noch zurückentwickelt hat, im deutschsprachigen Raum wird kaum mehr „offen“ ausgeschrieben – eine Situation, mit der junge Büros auch in anderenLändern zu kämpfen haben. „Leider“, wie Max Julius Nalleweg kommentiert. „Neue, auch einmal anders gedachte Entwurfsideen scheinen nicht mehr gefordert zu sein. Die Baukultur kann dadurch in den nächsten Jahren verarmen.“ Zwar engagieren sich die Architektenkammern bundesweit sehr dafür, die Wettbewerbskultur zu verändern, es sei jedoch nicht immer einfach. „Auch diese ganzen Vergabeverfahren sehen wir kritisch, bei denen Ämter und Kommunen an die immer gleichen, ihnen bekannten Büros relativ große Bauaufträge vergeben, und die Öffentlichkeit bekommt davon fast nichts mit. Aus unserer Sicht wäre es viel besser, jungen Büros die Chance zu geben, sich erst nach einem Wettbewerb gegebenenfalls zu verstärken oder einen größeren Partner hinzuzunehmen“, so der Wunsch der jungen Architekten.
Kim Nalleweg haben einen Weg für sich gefunden. Sie ergreifen bewusst die – wenigen – Gelegenheiten, die Wettbewerbe bieten, und investieren Zeit, Kreativität und Energie in sie. Man müsse die Chancen auch zu nutzen wissen, sehr sorgfältig arbeiten und Einreichungen auf auch technisch hohem Niveau entwerfen, betonen die Architekten. Daneben entstehen Projekte für den Alltag. Dennoch: „Die Arbeit der letzten Jahre bestätigt uns, trotz vieler Schwierigkeiten weiterzumachen!“
Alle Beiträge zum Thema finden Sie auch in unserem Schwerpunkt Junge Architekten
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