Von Roland Stimpel
Können die sich nicht mal etwas hitziger streiten? Das Zwei-Stunden-Gespräch mit fünf Mitgliedern des Netzwerks Berliner Baugruppen-Architekten ist konstruktiv-warm, aber nie flammt eine aggressiv-heißere Diskussion auf. Alle zeigen Feuer und Leidenschaft; alle halten es aber unter Kontrolle. Es ist für förderliche Prozesswärme da, nicht zum gegenseitigen Ankokeln.
So muss man das offenbar machen als erfolgreicher Baugruppen-Architekt: immer wieder Kohlen nachlegen in den Kessel der Gruppe. Aber nicht nur Heizer sein, sondern auch vorsorglicher Brandschützer, der kleine Konfliktherde austritt oder sie isoliert verglimmen lässt und der bei größeren energisch den Löscher schwingt. Man braucht ein ausgeprägtes Händchen für das rechte Maß an sozialer Wärme. „Wir haben alle einen Hang zu sozialen Prozessen“, sagt Christoph Deimel vom Büro Deimel Oelschläger. Julia Dahlhaus von dmsw spricht über die „Leidenschaft, mit Privatbauherren und Eigennutzern im Dialog zu sein“, und Gudrun Sack von Nägeliarchitekten meint: „Man beschäftigt sich mit ganz anderen Dingen als im klassischen Leistungsbild der HOAI. Es sind Themen wie angewandte Spieltheorie, Psychologie und Soziologie.“
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Sie meint, wie die beiden anderen, keinen tiefen Einstieg in die Seelen- und Sozialwissenschaft, aber Willen und Talent zum menschlich klugen Umgang mit den Bauherren. Doch nicht aus gefühlter Neigung haben sich die fünf ins Metier gestürzt. Christoph Roedig von roedig.schop architekten kam zum Gruppenthema „zur Auftragsbeschaffung und für den Eigenbedarf. Ich hatte die Idee, in der Innenstadt zu wohnen, und dann die Idee, Leute dafür zu sammeln.“ Auch Julia Dahlhaus „hatte Eigenbedarf und wollte als Architektin ein Projekt generieren. Wir haben ein Grundstück entdeckt und gedacht, gut, dann packen wir unsere Leute zusammen.“ Marc Richters Büro Zoomarchitekten schließlich „hatte Jahre zuvor Erfahrungen als Bauträger in der Altbausanierung gesammelt, und dann haben wir uns gesagt, wir machen mal etwas von Anfang an mit den Nutzern.“
Leistungsphase „minus eins“
Keiner der fünf wartete mit dem ersten Projekt, bis Bauherren kamen – alle initiierten es selbst und suchten erst mal ein Grundstück. Hat Deimel eins im Auge, beginnt er mit „Leistungsphase minus eins.“ Das meint „das Nutzungsprogramm, die Entwicklung der Projektziele.“ Alle fünf sehen sich zunächst als Projektentwickler – eine Tätigkeit, die sonst Immobilienleute machen. Sie wird von den Bauherren früh und gesondert bezahlt, oft beim Eintritt in die Gesellschaft. Roedig: „Das Ganze ist nur auskömmlich, wenn man die Leistungen trennt und für sich berechnet – Projektentwicklung hier, klassische Architektur dort.“ Gudrun Sack: „Wir haben im Netzwerk gemeinsam Listen angefertigt, die alle Leistungen aufdröseln – in klassische HOAI-Leistungen, Projektentwicklungs-Leistungen und so weiter.“
Parallel zur Grundstückssuche oder gleich danach haben die Architekten meist eine Kerngruppe der Bauherren angeworben, die die Parzelle gemeinsam kaufen und dann weitere anwerben. Gruppen mit höchstens 50 Mitgliedern agieren in der Regel als GbR mit meist nebenberuflichen, oft ehrenamtlichen Geschäftsführern. Größere brauchen mehr Struktur, etwa als Genossenschaft mit Vorstand. Organisation, Verträge, Steuern und Finanzierung sind für Baugruppen-Architekten so elementar wie das Seelisch-Soziale. Und man tauscht sich aus – ein wichtiger Antrieb für das Berliner Netzwerk mit seinen 17 Mitgliedern. „Wir haben schon überlegt, ob man da nicht die eigene Konkurrenz stärkt“, sagt Roedig. „Aber wir merken: Je mehr Architekten sich mit Baugruppen beschäftigen, desto mehr entstehen auch. Die Konkurrenz belebt das Geschäft.“
Inzwischen werden die Netzwerker öfter von Bauherrengruppen angesprochen, die selbst das Grundstück und dann den Architekten suchen. Das fand Gudrun Sack erst mal verlockend: „Da denkst du, da fällt der ganze Stress mit dem Organisieren weg.“ Aber die Euphorie verging rasch: „Dann erfährst du, dass sie zehn verschiedene Architekten angucken, dass sie jemanden suchen, der ihre Klischees von Architektur umsetzt, dass sie eine fertige Powerpoint-Präsentation zu allen Fragen von dir erwarten. Da bist du plötzlich wieder in den herkömmlichen Strukturen, nur dass keine professionellen Bauherren auf der anderen Seite sitzen.“
Nicht stolpern beim Rollenwechsel!
Spannung und Anspannung gibt es auch so genug. Das gilt für Julia Dahlhaus vor allem für „den Moment, in dem man vom Projektentwickler, der Ideen entwickelt und Interessenten sucht, in die nächste Phase springt. Dann ist man nicht mehr Initiator, sondern Auftragnehmer. Über den Rollenwechsel kann man stolpern.“ Und nach beiden Seiten fallen: entweder in die Rolle des für Bauherren zu dominanten Anführers. Oder in die des Leisetreters, der vor lauter Erfüllungsgehilfentum die eigenen Ansprüche verliert.
Damit würde das Projekt in sich scheitern. Denn viele Bauherrenwünsche widersprechen sich, würden die Kosten treiben und könnten die Gestalt verderben. Christoph Deimel: „Man muss immer wieder klarmachen, dass es in erster Linie um das gemeinschaftliche Bauen geht und dass es zweitrangig ist, ob die eigene Wohnung im dritten oder vierten Stock liegt oder ob der Balkon einen Quadratmeter größer ist. Alle wollen die größtmögliche Individualisierung. Wir müssen klarstellen, dass den Rahmen dafür die Gemeinschaft setzt.“ Ein anderer Berliner Architekt hat einmal für sich in Gestaltungsfragen den Status des „Diktators“ reklamiert. Marc Richter: „Das mag in Gruppen mit 60 bis 80 Mitgliedern nötig sein, bei bis zu 20 in der Regel nicht.“
Aber auch hier beansprucht jeder Architekt seine Claims. So sagt Roedig: „Wir entscheiden immer über die Installationsführung und die Statik. Schließlich wollen alle ein kostengünstiges Haus mit tragenden Wänden übereinander und ohne wilde Leitungsführung.“ Zu den inneren Widersprüchen kommt oft ein äußerer, den Julia Dahlhaus beschreibt: „Wir tragen auch die Verantwortung gegenüber der Stadt – und die ist im Zweifel wichtiger, als dass einer von der Badewanne aus den Fernsehturm sieht. Ich erinnere die Bauherren immer wieder daran, dass viel mehr Leute an ihrem Haus vorbeigehen als drin wohnen.“ Hinzu kommen Differenzen in der Gruppe: „Dieses Spannungsfeld kann strapaziös sein. Da muss man Vermittlungsarbeit in alle Richtungen leisten.“
Nicht praktikabel ist eine Teilung der Kompetenzen nach dem Motto: Das Äußere bestimmt der Architekt, drinnen bestimmen die Bauherren. Christoph Deimel: „Man kann die Fassade nicht vom Haus abschneiden, sondern muss die Mehrheit der Bewohner hinter die Idee bringen. Das muss auch gar nicht mit allen funktionieren. Dass am Ende zwei von 20 sagen, diese Fenster hätte ich nie zugelassen, wenn ich nicht überstimmt worden wäre, und die beiden dann noch ein paar Monate protestieren – so etwas kann man nie ausschließen.“ Roedig setzt bei der Konsensfindung auch auf die Verbindung von Geld und Gestalt: „Es sagen ja auch Bauherren: Ich erwerbe eine teure Immobilie, und das Gesicht des Hauses repräsentiert diesen Wert.“
Gruppenstunden mit Farbfächern
Ganz unterschiedlich sind die Vorgaben der Architekten zur Fassade und ihr Drang, sie persönlich zu prägen. Die einen geben die Idee der Fassade vor – Deimel und Richter schon in der Projektentwicklung: „Wir arbeiten mit einem Image.“ Christoph Roedig bietet „verschiedene Varianten, und dann bestimmen die Bauherren.“ Nicht immer ist das leicht. „Wir haben mal eine Fassade mit stehenden und eine mit liegenden Fenstern vorgestellt, und dann gab es zwei gleich starke Fraktionen. Im aktuellen Projekt haben wir jetzt als Notnagel in den Vertrag geschrieben: Wenn nichts mehr geht, entscheiden die Architekten über die Fassade.“
Gudrun Sack hält sich mit Vorgaben zurück: „Wir arbeiten prinzipiell nicht mit Ansichten, solange nicht alles fixiert ist. Wenn ich in dem Stadium Bilder produziere, komme ich von denen nie mehr weg und kann nichts mehr entwickeln.“ Lieber lässt sie die Bauherren kreativ werden. Einmal saß eine Gruppe Stunden über Farbfächer gebeugt, um sich dann für das Protokoll auf den Satz zu einigen: Die Architekten haben die Aufgabe, einen Farbton zu entwickeln, der der Sonne nicht abgeneigt ist. „Da habe ich gesagt: Das ist wunderbar, damit kann ich arbeiten.“ Sie findet sich als Person nicht in einer von ihr erdachten Gestalt wieder, sondern im Gelingen: „Meine Handschrift, mein persönlicher Abdruck auf der Fassade, das ist das Prozessuale und nicht ein bestimmtes Image. Dafür bewundere ich die Bauherren und sehe es für uns als Architekten als große Chance, dass man in dieser Zeit der Bilderfluten diesen prozessualen Weg gemeinsam gehen kann.“
Sack genießt den Prozess. „Der wunderbare Unterschied zum Bauträgerprojekt ist ja: Die Leute wollen selbst was tun. Das muss man ernst nehmen, den Überblick behalten und immer überlegen, wen man wie einbeziehen, wem man welche Aufgabe geben kann.“ Es geht um Garten oder Gemeinschaftsraum, Energiekonzept und Eigentümer-Ordnung. Alle fünf legen Wert darauf, dass ihre architektonische Kernkompetenz nicht berührt ist.
Lieber Gruppe als Eheberatung
Die Kunst der Abgrenzung ist immer wieder in der Gruppendynamik gefordert. Etwa beim Querkopf oder Außenseiter, dessen Auftauchen offenbar ein Naturgesetz ist. Roedig: „In jeder Gruppe hat einer den Platz für den Ausnahmefall, der quer zur Statik plant oder den Versorgungsschacht verschieben will. Und wenn dieser eine nicht da wäre, dann würde der Platz wahrscheinlich von einem anderen besetzt.“ Noch nie ist aber ein Projekt an solchen Auseinandersetzungen gescheitert. Roedig: „Die Spreu derer, die nur den eigenen Kopf durchsetzen wollen, trennt sich vom Weizen der Kooperationswilligen immer schon in der Frühphase.“
Auf Architekten, die bisher nur Einzelbauherren betreut haben, mag eines bedrohlich wirken: Statt des einen schwierigen Eigenheimkunden hat man plötzlich zehn. Richter sieht das aber gerade umgekehrt: „Zehn Einfamilienhäuser, aber nicht im Speckgürtel, sondern gestapelt in der Stadt – das ist ja das Tolle. Es ist im Endeffekt auch leichter. Wir haben mal eine Villa gebaut, da ging es stark in Richtung Eheberatung. Und da ist man direkt den Auftraggebern ausgeliefert; es fehlt das Regulativ der Gruppe. Dort ist auch die Wahrscheinlichkeit viel höher, dass gute Argumente von anderen Bauherren kommen und sich durchsetzen, ohne dass wir kämpfen müssen.“ Das hat Vorzüge auch in Haftungsfragen, meint Christoph Roedig: „Da wirkt die GbR wie ein Puffer. Wenn uns ein Bauherr vorwirft, wir hätten schlecht gearbeitet, dann verweisen wir ihn für Mängelansprüche zunächst an die GbR. Denn einen Vertrag haben wir mit ihr, nicht individuell mit ihm. Dann muss er sich auch mit den anderen Wohnungen auseinandersetzen und merkt oft, dass der angebliche Mangel durchaus den Regeln der Technik entspricht.“
Viele Baugruppen-Architekten ziehen in eines ihrer Projekte selbst ein – oft in ihr erstes. Gegen Rollenkonflikte, und nicht nur zu diesem Zweck, empfiehlt Christoph Deimel den Einsatz eines Projeksteuerers. „Dann ist ganz klar, dass die Bauherrenseite professionell vertreten ist.“ Und bei etlichen Projekten treten andere Architekten in die Gruppe ein. Droht da Konkurrenz? Christoph Roedig verneint es: „Wir hatten in jeder Gruppe einen Architekten. Mit dem muss man sich vorher sehr klar unterhalten, dass er Bauherr ist und ich der Architekt. Aber für die Gruppe ist so jemand beruhigend. Sie sagt sich: Wenn der jetzt nicht aufschreit, wird schon alles seine Richtigkeit haben.“
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Danke Herr Stimpfel,
für den engagierten Bericht.
Wir sind selbst in diesem Bereich seit längerem
tätig und wünschten uns, dass mehr Architekten
die Honorarphase 1 Minus selbst in die Hand nehmen.
Habe einen Link in unserer Homepage auf Eure Seite gemacht !