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Zurück Typologien der Nachkriegsmoderne

Die Riesen zähmen

Typologien der Nachkriegsmoderne – Hochhäuser, Megastrukturen – werden vielerorts wieder salonfähig. Zu Recht, oder droht ein Rückfall in alte Fehler?

01.08.20176 Min. Kommentar schreiben
Auf Kirchturm-Niveau: Nach Protesten wurden die Münchner „Friends“ von Allmann Sattler Wappner von 120 auf 53 Meter umgeplant.

Text: Christoph Gunßer

Anfang der Siebzigerjahre vollzog sich nicht weniger als ein Epochenbruch: Auf einen unvergleichlichen Baurausch der Nachkriegszeit, der riesige neue Zentren, Satellitenstädte und Infrastrukturen hervorgebracht hatte, folgte ein Kater, wie ihn die Architektenschaft bis dahin nicht gekannt hatte. Führende Köpfe der Zunft formulierten reumütig, was sie künftig anders machen wollten.

Ein Protagonist, der diesen Bruch in seinem Werk glaubhaft begründet und vorher wie nachher erfolgreich gebaut hat, war der im vorigen Jahr verstorbene Hermann Schröder, 1975–1996 Professor für Gebäudelehre und Entwerfen an der TU München.
Seit dem Ende der Fünfzigerjahre entwickelte er mit Roland Frey und Peter Faller großformatige Terrassensiedlungen in Form von „Wohnhügeln“, von denen er einige in Marl und Stuttgart realisierte. Das Team verstand sie als humane Alternative zu anonymen Hochhäusern, die damals gegen die „große Landzerstörung“ propagiert wurden.

Rückblickend bezeichnete Schröder die Wohnhügel-Planungen indes in der Deutschen Bauzeitung als „sozialräumlich falsch, weil sie nur von der Organisation der Wohnungen her entwickelt waren. Der Bezug zum öffentlichen Raum war nicht gegeben … Da entsteht kein Raum und keine Stadt. Man braucht eine Differenzierung von öffentlichen Räumen und privaten Räumen, braucht Zonungen, um einen Organismus entstehen zu lassen.” Fortan profilierte er sich mit sehr viel kleinteiligeren Projekten, die stärker das soziale Miteinander fördern sollten. Schröder gilt als Vater der viel beachteten bayerischen Siedlungsmodelle der Achtziger- und Neunzigerjahre.

„Superzeichen“ für die Reichen

Blickt man auf die aktuelle Bauproduktion, scheinen Kater und Einsichten jener Jahre vielerorts vergessen. Deutschland ist erneut im Baurausch. Und was besonders hervorsticht, sind Hochhausprojekte: 79 neue Wohnhochhäuser mit knapp 10.000 Wohnungen zählte der Focus kürzlich. Bei näherem Hinsehen haben die Türme eine ganz andere Zielgruppe als in den Sechzigern, wo vor allem die Opfer der Flächenabrisse in den Kernstädten in die „Affenfelsen“ umgesiedelt wurden – mit den absehbaren sozialen Problemen, die zu einer breiten Ablehnung von Hochhäusern führten. Heute handelt es sich bei den aufwendig beworbenen Projekten um reine Eigentumsprojekte für Wohlhabende. Architekten bemühen sich um differenzierte Baukörper, individuelle Grundrisse und hochwertige Materialien. Doormen und Dienstleistungen gehören meist dazu. Geht die „Gated Community“ damit in die Vertikale?

„Die Villa ist verschwunden“, bestätigt der einflussreiche Freiburger Stadtplaner Klaus Humpert, 87, der einst die Qualitäten der parzellierten Stadt wiederentdeckte und erfolgreich auf Neubauviertel anwandte. Er kann den Hochhaus-Boom verstehen. „Die Leute wollen keinen Garten mehr.“ Sie verreisten lieber und suchten pflegeleichte Angebote. Ihre Freunde lebten nicht in derselben Straße, sondern weit verstreut. Zudem verlangten die Städte nach „Superzeichen“, um ihr Stadtbild aufzuwerten. „Nur kleine Leute brauchen kleine Häuser“, meint Humpert plakativ.

Abkehr von der Körnung?

Dass die hierzulande besonders ausgeprägte „Hochhaus-Angst“ unbegründet wäre, lässt sich indes nicht pauschal sagen. Die von allen angestrebte Urbanität gedeiht durch bürgerschaftliche Vielfalt und Engagement fraglos besser als durch schiere Dichte, wie man in den Sechzigerjahren meinte. Doch Gesellschaft und Bauwirtschaft haben sich seit den Achtzigerjahren verändert, als Architekten wie Hermann Schröder ihre kommunikativen Quartiere planten. Es fehlt heute oftmals an den individuellen Bauherren für die Parzellenstadt. Auch wenn Planer längst die „Körnung“, den kleinteiligen Stadtgrundriss, als wesentlichen Faktor für eine lebendige Stadt erkannt haben – realisieren lässt sich diese Stückelung nur mit großem Aufwand, wie er etwa in Modellstadtteilen in Tübingen und Freiburg betrieben wurde – oder als Fake in den Shopping-Malls und Ferienzentren.

Der übliche Investoren-Städtebau sieht anders aus, gröber – und dichter. Man vergleiche nur einmal die quirlige Tübinger Südstadt mit dem öden Stuttgarter „Europaviertel“ hinter dem neuen Hauptbahnhof. Es sind die aus der Ökonomie bekannten Skalen-Effekte, die auch im Städtebau zum Zuge kommen, wenn gestapelte Luxuswohnungen und kommerzielle Binnenwelten den Bürger-Blocks den Rang ablaufen: Sie lassen sich einfach effizienter bauen und vermarkten. Dass gesponserte Lifestyle-Magazine dann platt futuristische Skylines mit Fortschritt und Modernität gleichsetzen, erschwert vollends die bürgerschaftliche Basis-Arbeit. Baugruppen- Quartiere oder Genossenschaften mögen von vielen Stadtverwaltungen als vitaler und stabiler erkannt sein, das Stadtbild prägen jedoch heute andere, kommerzielle, anonyme Bausteine.

Hoch geht auch anders

Ob ein Bau ein lebendiger Teil der Stadt wird, hängt indes nicht nur von der GFZ ab. „Wir müssen über neue Typologien nachdenken“, sagt Architekt und Stadtplaner Klaus Trojan aus Darmstadt und meint die bei Investoren immer noch verpönte Mischnutzung. Aus Beispielen in New York hat er gelernt, dass Hochhäuser durchaus keine sterilen Monster sein müssen, wenn die Sockelzonen dazu genutzt werden, um Leben in den Stadtraum zu spülen. Leider zögen viele Lobbys und Plazas im Gegenteil das Publikum in klimatisierte Innenräume hinein. Auch eine stärkere Mischung von Wohnen und Arbeiten, im Haus oder wohl eher im Quartier, könne  die Sterilität mindern. Und auch wenn die Architektur keinen guten Städtebau ersetze, könne die Fassadengestaltung gegen die Uniformität von Großbauten helfen: „Heute werden diese gerasterten, hocheffizienten Oberflächen als Lehre vermittelt. Es geht auch anders.“ Das hat Trojan
selbst in einem kleinen Hochhaus in der Hamburger Hafencity vor ein paar Jahren gezeigt: Mehrere Geschosse sind hier zu Einheiten zusammengefasst und ergeben differenzierte Cluster.

Der 55 Meter hohe „Marco Polo Tower“ von Behnisch in Hamburg.

Ähnliche Abweichungen vom Raster kultivieren auch neuere Projekte in Frankfurt und München. Türme werden hier nicht als Stapelware, sondern als Skulpturen begriffen. Teilweise entwickeln sich die Baukörper auch aus Blockrandbebauungen, was es übrigens schon in protomodernen Beispielen der letzten Jahrhundertwende und der Dreißigerjahre gab. So lassen sich Projekte, auch wenn sie aus einer Hand entwickelt werden, städtebaulich einfangen und zähmen.

Der 63 Meter hohe Turm „Living Levels“ von nps Tchoban Voss in Berlin.

Trotz des allgemeinen Trends zur Größe halten es Immobilien-Experten gegenwärtig allerdings für eher fraglich, dass der Betongoldrausch bei den Luxus-Türmen noch lange anhält. Für breitere Schichten sei der Bau schlicht zu teuer (auf zehn bis zwanzig Prozent belaufen sich die Mehrkosten gegenüber gewöhnlichem Geschossbau), und der Markt zeige bereits Anzeichen von Sättigung, wozu auch aktuelle Brandkatastrophen beitrügen. Kleinere Projekte reagierten flexibler – nicht nur auf den Markt, sondern auch auf das städtische Umfeld. So weit war man schon einmal, in den Kater-Jahren der Siebziger. Neue Alternativen zum Wohnhochhaus finden sich im Ausland: In Kopenhagen haben BIG Arkitekter (nomen est omen) bereits 2010 große terrassierte Megastrukturen realisiert, die sie auch wieder „Wohnhügel“ nennen, weitere sind derzeit in Aarhus im Bau. Vermehrt finden sich aber auch hierzulande „Groundscraper“: lange Geschosswohnbauten aus einem Guss, wie das Galeriahaus in München-Neuriem oder das Laubenganghaus in München-Forstenried. Die Architektur muss also keineswegs nur in die Höhe gehen, um Dichte zu produzieren. Das unlängst in der Baunutzungsverordnung neu eingeführte „Urbane Gebiet“ gewährt den Planern da mehr Freiheiten als bisher, insbesondere bei der Mischung der Funktionen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Spielräume kreativ und vor allem human genutzt werden.

Christoph Gunßer ist freier Fachautor. Er lebt in Bartenstein (Baden-Württemberg).


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