An einigen Stellen verläuft die Ringbahn über den Straßen von Paris. (Klicken für mehr BIlder)
Sie ist ein Relikt der großen Zeit der Eisenbahnen. Seit 1852 verband die Ringbahn sukzessive die Kopfbahnhöfe von Paris – im Jahr 1900 nutzten sie 39 Millionen Reisende. Verlief die Petite Ceinture (kleiner Gürtel) anfangs noch auf freiem Feld, liegt sie heute ein Stück innerhalb des Boulevard Périphérique – die Stadt ist über sie hinweggewachsen. Und seit sie ab 1934 außer Betrieb ging, weil es schnellere Verbindungen für Reisende und Güter gab, ist die Petite Ceinture ein stiller, oft grüner Restraum inmitten wuseliger Quartiers, fast vergessen, denn hohe Zäune verwehrten den Zugang.
Seit 1992 setzt sich die private Initiative Association Sauvegarde Petite Ceinture dafür ein, diesen linearen Raum im Stadtgefüge zugänglich zu machen – und ihn überhaupt zu erhalten. Denn die französische Staatsbahn SNCF ist weiterhin Eigentümerin und hält sich einerseits die Option einer Reaktivierung der Ceinture offen, ließ die Strecke indes jahrzehntelang verwildern, sodass sie völlig unzugänglich zu werden drohte. Natürlich weckte das Terrain auch immer wieder Begehrlichkeiten bei Immobilien-Entwicklern, und mancher Neubau der Nachkriegszeit rückte sehr nah an die Gleisanlagen heran.
Im Fokus: Naherholung für die angrenzenden Quartiers
Bei der Rückeroberung der 32,5 km langen Strecke (hier einige Karten aus verschiedenen Zeiten) ging die Initiative pragmatisch vor. Eine durchgehende Spazierstrecke rings um Paris war nie ihr Ziel. Denn zwischendurch verläuft die Ceinture durch längere, düstere Tunnel, und ein Abschnitt im Nord-Westen wird seit Kurzem für die S-Bahn RER benutzt. Was die übrigens ohne Subventionen auskommende Association vor allem anstrebte, waren Erholungsräume für die Anwohner. In einigen der Pariser Arrondissements liegt die Siedlungsdichte über 30000 Einwohner pro Quadratkilometer – das ist mehr als in Manhattan.
Acht Abschnitte der Ringbahn schon geöffnet
In den letzten Jahren gelang es, nach und nach rund ein Viertel der Strecke in acht rings um die Stadt verteilten Abschnitten zu öffnen. An deren Enden gibt es meist ziemlich versteckte Rampen oder Treppen, vereinzelt auch Aufzüge, die in die Welt der Ceinture führen (Planung von Saguez and Partners ). Sie wurde weit minimalistischer als frühere, zu bepflanzten Promenaden konvertierte Bahnlinien gestaltet (z. B. die an der Opéra Bastille beginnende coulée verte)
Die zwei Gleise blieben erhalten, auch um sie reaktivieren zu können. Damit es sich leichter gehen lässt, wurde im Regelfall lediglich ein Gleisbett bis zur Oberkante der Gleise mit einem wasserdurchlässigen Splitt-Sand-Gemisch aufgeschüttet und verdichtet. Nur in einem waldartigen Abschnitt im Westen der Stadt, nahe dem Bois de Boulogne, schreitet man auf weichem Häckselgut. Indes: Überall versperren am Ende unüberwindliche Zäune die Promenade. Den Ring im Geiste zu ergänzen, ist eine Übung in Collage City.
Die Ära der Grands Projets ist vorbei
Tatsächlich verfolgt die Pariser Stadtverwaltung unter der seit 2014 regierenden Sozialistin Anne Hidalgo eine stark quartiersbezogene Planungspolitik. Die Ära der Grands Projets, wie sie Francois Mitterand und Jaques Chirac forcierten, ist längst passé. Hidalgo setzt zwar mit der „Vélorution“, ihrer Fahrrad-Strategie, auf Vernetzung, fördert aber vor allem die Végétalisation der Stadt mit dezentralen Grünprojekten: Urban Farming, Pocket Parks, Dachbegrünung
Im Vorfeld der Olympischen Spiele 2024 erlebt die Stadt zwar einen unvergleichlichen Bauboom. Doch auch dem teils stark verdichteten Hochbau wird stets eine gehörige Portion Grün verordnet. Ecoquartier lautet das neue Label der Planer (dazu ein weiterer Artikel auf DABonline.de), das von einem neuen „Ministerium für den ökologischen Wandel“ nach festen Kriterien vergeben wird.
Problem Overtourism: Keine Highline bitte!
Hinzu kommt ein großer Frust: Die Stadtbevölkerung begann in den letzten Jahren unter zu vielen Touristen zu leiden, nicht nur auf dem Wohnungsmarkt, wo immer mehr Apartments temporär vermietet wurden, sondern auch im öffentlichen Raum. Deshalb soll die Petite Ceinture auf keinen Fall ein neuer „Geheimtipp“ für Touristen werden. Den Anwohnern ist nämlich bewusst, dass dies die Gentrifizierung der – meist noch recht intakten – Nachbarschaften an der Strecke befördern würde. So erlebte New Yorks schmuddeliger Meatpacking District seit der Eröffnung der High Line auf einer alten Hochbahntrasse an der Lower Westside einen krassen Immobilien-Boom, der seither viele Alteingesessene verdrängt hat.
Mehr Grün als Nutzer auf der Ringbahn
Wer die einzelnen Streckenabschnitte sucht, hat heute noch ziemlich Mühe, die nicht beschilderten Zugänge zu finden. Ist man in den – meist in Troglage verlaufenden – Freiraum abgestiegen, trifft man außer ein paar Joggern allenfalls Hundebesitzer, die hier im Grünen gassigehen, und junge Leute aus dem Viertel, die auf improvisierten Sitzmöbeln herumhängen. Als Wegeverbindung taugt die Ceinture eben kaum; als gefangener Raum ist sie vermutlich auch nicht ganz „safe“. Graffiti zeugen von der hier wörtlich zu nehmenden Sub-Kultur. Nur an zwei Stellen gibt es Lokale für Nachtschwärmer. Andernorts dominiert das Grün, teils als waldartige Spontanvegetation, teils säumen aber auch Gärten die Strecke.
Fest steht: Der grüne Gürtel beflügelt die Fantasie. Er inspiriert zur Aneignung. Da die Stadt deren Wert inzwischen erkannt hat, lassen wohl weitere Park-Abschnitte nicht mehr lange auf sich warten. Die Initiative hält auf Ihrer Website darüber auf dem Laufenden
War dieser Artikel hilfreich?
Weitere Artikel zu: